20. November 2017

Die Echsen und der Exorzist

Weiterhin provokant: James Blishs Ausnahmeroman „Der Gewissensfall“

Lesezeit: 3 min.

Ein Planet, der nichts weniger als das Paradies darstellt – und ein katholischer Würdenträger, der genau damit ein Problem hat: Dies ist die Ausgangssituation von „Der Gewissensfall“ (im Shop), einem Roman, der selbst in dem an Ausnahmefällen nicht armen Genre der Science-Fiction eine Besonderheit darstellt. James Blish widmet sich in seinem 1958 erschienenen Buch nämlich einem auch weiterhin bedeutenden theologischen Problem: Kann es eine perfekte Gesellschaft ohne Gott geben?

James Blish: Der GewissensfallLithia ist eine ungewöhnliche Welt. In einer wolkenreichen Atmosphäre und bei beinahe permanentem Nieselregen hat sich hier eine Zivilisation entwickelt, die keine Konflikte zu kennen scheint. Tatsächlich leben die fast vier Meter großen Echsen – die Interkontinentalflüge ebenso kennen wie die Kunst, über einen Nachrichtenbaum zu kommunizieren – in einer erstaunlichen Harmonie mit der Natur. So wirken ihre Städte wie lebende Organismen, womit sie das genaue Gegenteil der irdischen Metropolen darstellen, die größtenteils unter den Erdboden verlagert wurden. Auch haben die Lithier ein hochstehendes Gemeinwesen entwickelt, das nicht nur auf Telefone und Zeitungen, sondern auch auf Nationen oder politische Parteien verzichten kann. Und noch etwas kennen sie nicht: den Glauben.

Pater Ramon Ruiz-Sanchez gehört zu einem vierköpfigen Team von menschlichen Wissenschaftlern, die prüfen sollen, ob der Planet als irdischer Stützpunkt geeignet wäre. Offiziell arbeitet er als Biologe, doch sein eigentliches Spezialgebiet sind Gewissensfragen. Als Jesuit ist er entsetzt darüber, dass eine perfekte Gesellschaft ohne religiösen Überbau existiert, was für ihn nur einen Schluss zulässt: Der Teufel selbst hat diesen Planeten geschaffen, um die Gläubigen an der Existenz Gottes zweifeln zu lassen. Als er diese Gedanken seinen erheblich pragmatischeren Kollegen vorstellt, wird Lithia vorläufig für weitere Forschungen gesperrt, obwohl sich auf dem Planeten reichhaltige Vorräte eines spaltbaren Materials befinden, das für die Herstellung von Fusionsbomben benötigt wird. Für Ruiz-Sanchez ist der Fall damit jedoch nicht beendet. Zur Erde zurückgekehrt, teilt ihm Papst Urban VIII. unmissverständlich mit, dass die Kirche von ihm einen Exorzismus erwartet. Doch kann man einem ganzen Planeten „den Teufel austreiben“?

Der früh verstorbene James Blish (1921–1975) ist heute vor allem für seine Star-Trek-Romane und den Space-Opera-Vierteiler „Die fliegenden Städte“ (im Shop) bekannt. „Der Gewissensfall“ –1953 zunächst im Magazin If erschienen und 1958 in erweiterter Fassung publiziert – gilt als seine bedeutendste Arbeit. Das Buch gehört zu jenen raren SF-Werken, die sich mit Religion auseinandersetzen, was auch für den im Folgejahr publizierten Roman „Lobgesang auf Leibowitz“ von Walter M. Miller jr. gilt. „Der Gewissensfall“ spielt beispielhaft das Modell einer Gesellschaft durch, die für ihre Vollkommenheit keines Glaubens bedarf. Die dahinterstehende Frage, ob eine humanistische Ethik ohne Gott denkbar ist, wird von der Kirche bis heute verneint und in der Öffentlichkeit weiterhin kontrovers diskutiert. Tatsächlich hat das von dem Rationalisten Blish durchgeführte Gedankenspiel nichts von seiner Aktualität (und Schärfe) verloren, was den Roman von seinem Grundkonflikt her zeitlos erschienen lässt.

Allerdings kommt man um die Einschätzung nicht herum, dass Blishs Konzept zumindest teilweise bemerkenswerter ist als das vorgelegte Ergebnis. Erzählerisch hätte manches geschickter und eleganter umgesetzt werden können. Die faszinierende und in ihrer Konsequenz einzigartige Grundidee jedoch verblüfft weiterhin, weshalb es sich lohnt, den nunmehr knapp sechzig Jahre jungen Klassiker erneut in die Hand zu nehmen. Das zeitgenössische Publikum zumindest war sich der Bedeutung des Romans mehr als bewusst: „Der Gewissenfall“ wurde 1959 mit dem Hugo Award ausgezeichnet.

James Blish: Der Gewissensfall • Roman • Aus dem Amerikanischen von Walter Brumm • Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 • E-Book: 2,99 € (im Shop)

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