20. Januar 2018 2 Likes

Von der Würde der Tiermenschen

John Crowleys „Geschöpfe“ ist ein exzellentes Beispiel für humanistische Science-Fiction

Lesezeit: 3 min.

Eine USA, die in untereinander rivalisierende Kleinstaaten zerfallen sind, und eine Gruppe von Löwenmenschen, für die in dieser Welt kein Platz mehr ist – so lässt sich die Grundidee von „Geschöpfe“ (im Shop) beschreiben, dem zweiten Science-Fiction-Roman von John Crowley, mit dem dieser nach „In der Tiefe“ von 1975 (im Shop) seine Rolle als vielversprechendes SF-Talent weiter ausbaute. Im Hinblick darauf, wie – gerade in Krisenzeiten – mit Minderheiten umgegangen werden soll, liest sich der ambitionierte Roman verblüffend gegenwärtig.

John Crowley: GeschöpfeDie USA irgendwann im 21. Jahrhundert: Vor zehn Jahren ist ein langer Krieg durch die Neuaufteilung des Staatsgebiets in große Autonomien und mehrere Stadtstaaten beendet worden. Eine Zentralregierung gibt es zwar noch, aber sie dient lediglich als Mittler und Schlichter bei den zahlreichen Konflikten; eine Rolle, die sie nur sehr bedingt auszufüllen vermag. Das Land ist wieder weit und wild geworden, zumal Technik eine zunehmend geringere Rolle spielt. Über die verwaisten Ebenen streifen Tiermenschen, die aus jahrzehntelang zurückliegenden genetischen Experimenten stammen. Damals wurde festgestellt, dass sich menschliche Zellen besonders gut mit denen von Löwen kombinieren lassen, was die „Leos“ hervorbrachte – intelligente, stolze und irritierend ruhige Geschöpfe, die meistens unter sich bleiben. Doch die Leos sind ein Problem, denn sie jagen und nehmen sich, was sie zum Leben brauchen. Das schafft Konflikte. Zudem ist in ihrer Mitte Painter aufgetaucht, eine charismatische Erscheinung, die durchaus die Kraft zu einer Führerpersönlichkeit hätte.

Die Situation spitzt sich zu, als Dr. Jarrell Gregorius, der „Direktor“ der Nördlichen Autonomie, bei einem Attentat ums Leben kommt. Er hatte sich auf Verhandlungen mit der Zentralregierung eingelassen, die auf eine Wiedervereinigung des Staats hinauslaufen sollen; doch die entsprechende Konferenz wird nun gar nicht erst stattfinden. Hinter den Vorgängen steht der Fuchsmensch Reynard, der offiziell ein Berater von Gregorius ist, tatsächlich aber ganz andere Pläne verfolgt. Und zu diesen gehören auch Painter und seine Zukunft.

„Geschöpfe“ erschien erstmals 1976 und damit zu einer Zeit, in der Science-Fiction nicht nur für faszinierende Geschichten stand, sondern auch erzählerisch einen großen Formenreichtum zuließ. Crowley vertritt diesen Ansatz, und so steht nicht allein Painter im Mittelpunkt des Buchs. Tatsächlich verteilt sich die Handlung auf mehrere vielschichtig gestaltete Figuren, deren jeweilige Perspektive das entsprechende Kapitel maßgeblich prägt. Da ist etwa Loren Casaubon, ein Verhaltensbiologe, der sich zunächst mit Falken beschäftigt und dann eher notgedrungen Lehrer der beiden Kinder von Gregorius wird. Die Waise Caddie hingegen arbeitet als Leibeigene eines Wirts, der sie überraschend an Painter verkauft, von dem sie rasch eigentümlich fasziniert ist. Der Dokumentarfilmer Meric Landseer schließlich wohnt wie seine Freundin Bree in „Candy’s Mountain“, einem riesigen Bauwerk, das mitten in einem nur mäßig gewellten Grasland steht. Von dort aus sieht er eines Nachts einen meilenweit entfernten Lichtfunken, der zu einem Lager der Leos gehört – und sein Leben in eine neue Richtung führen wird.

John Crowley, dessen Roman „The Translator“ (2002) soeben als „Die Übersetzerin“ bei Golkonda erschienen ist, gilt als Meister einfühlsamer Charakterisierungen, die er ebenso subtil zu schildern versteht wie jene farbenprächtigen Szenen, die bereits aus seinen frühen Büchern herausleuchten und eine Ahnung davon geben, warum sein Interesse seit „Little Big oder das Parlament der Feen“ (1981) in erster Linie der Fantasy gilt. Für Crowley steht der Mensch im Mittelpunkt. Typisches SF-Inventar interessiert ihn weniger, was den 1942 geborenen US-Amerikaner aber nicht davon abgehalten hat, drei bemerkenswerte Genreromane vorzulegen, von denen „Maschinensommer“ (1979; im Shop) vielleicht der außergewöhnlichste ist.

„Geschöpfe“ besticht durch die Grundkonstellation und die stilistische Raffinesse, wohingegen die Plotentwicklung bisweilen stockt und gerade gegen Ende etwas zu kurz kommt. Trotzdem lohnt es sich, den Roman neu zu entdecken – zum einen wegen der zeitlosen Aktualität seines humanistischen Anliegens, zum anderen, weil er einmal mehr aufzeigt, wie viele Möglichkeiten in der Science-Fiction stecken. Man muss sie bloß zum Zuge kommen lassen.

John Crowley: Geschöpfe • Roman • Aus dem Amerikanischen von Hans Maeter • Wilhelm Heyne Verlag, München 2017 • E-Book • € 3,99 (im Shop)

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