1. Juni 2016 2 Likes

Die Stadt der Zukunft

John Scalzis Story „Utere nihil non extra quiritationem suis“ erzählt vom künftigen urbanen Leben

Lesezeit: 3 min.

Zu Beginn möchte ich kurz auf den Titel von John Scalzis Story „Utere nihil non extra quiritationem suis“ eingehen. Er ist lang und auf Latein, und vermutlich wird der ein oder andere sich – so wie ich – erst einmal fragen, was das bitteschön heißen soll. Die Erklärung dafür liefert der Autor in der Story selbst, und weil diese auch gleichzeitig eine der herrlichsten Pointen der Geschichte ist, möchte ich sie nicht vorwegnehmen. Ich bitte Sie also vorab, sich nicht durch den komplizierten Titel von der Lektüre der Story abhalten zu lassen.

Nun aber zum eigentlichen Thema der Geschichte: der Stadt. Schon immer ist sie für die Menschen eine Art Sehnsuchtsort gewesen. Im antiken Griechenland hatten nur vollwertige Bürger ein Mitspracherecht, was die Gestaltung der Polis betraf; für die alten Römer war ihre Stadt sowieso der Nabel der Welt, und im Mittelalter genoss man als Bürger einer Stadt zumindest einen gewissen Schutz vor der Willkür des Landadels. Die Stadt bedeutete Reichtum und – wenn man an die Signorie der italienischen Renaissance, wie z.B. Florenz, denkt – vor allem Macht. Und außerhalb der Stadt? Da war der Kampf ums Überleben um einiges härter als innerhalb der schützenden Mauern. Heute gibt es den krassen Gegensatz zwischen Stadt und Land nicht mehr, die Übergänge sind fließender geworden.

Doch wie könnte die Stadt der Zukunft aussehen? Dieser Frage spürt John Scalzi zusammen mit einigen anderen preisgekrönten Science-Fiction-Autoren in der von ihm herausgegebenen Anthologie „Metatropolis“ (im Shop) nach. In seiner Story „Utere nihil non extra quiritationem suis“ nimmt Scalzi den Leser mit nach New Saint Louis, das sich auf den ersten Blick – von den Hochhäusern mal abgesehen – gar nicht so sehr von einer Stadt des Mittelalters unterscheidet: New Saint Louis ist umgeben von einer gewaltigen Mauer, die Stadt betreten darf nur, wer das Bürgerrecht hat, und regiert wird sie von einer Ratsversammlung. Außerhalb der Stadt herrscht Chaos, denn die „Landbevölkerung“ ist in einen quasi-primitiven Zustand zurückgefallen und steht kurz vor einer Hungerrevolte.

Wirklich „frei“ sind allerdings auch die Stadtbewohner nicht, denn jeder hat seinen Beitrag zur streng organisierten Gesellschaft zu leisten. Wer einfach nur in den Tag hineinträumt, wird ruckzuck ausgebürgert und muss hinaus in die Wildnis. Wer keine Arbeit findet, bekommt eine zugewiesen – ob ihm die Tätigkeit nun gefällt oder nicht. Das muss auch Benjamin Washington zu seinem Leidwesen feststellen. Nachdem der verwöhnte Bengel aus gutem Hause alle Fristen, sich auf einen Job zu bewerben, verstreichen ließ, ist er gezwungen, eine Stelle als Biosystem-Interface-Manager anzutreten, wenn er seine Staatsbürgerschaft nicht verlieren will. Was ein Biosystem-Interface-Manager ist, soll an dieser Stelle nicht verraten werden, nur so viel: Es hat mit dem Titel der Geschichte zu tun und ist eine geruchsintensive Angelegenheit. Wider Erwarten ist Benji sogar richtig gut in seinem neuen Job und wird am Ende sogar zum Helden seiner Stadt.

Scalzi verzichtet weitgehend auf die Beschreibung großartiger technischer Errungenschaften, vielmehr führt er dem Leser anhand von Benjis Geschichte vor Augen, was es bedeutet, in einer Stadt der Zukunft zu leben. „Utere nihil non extra quiritationem suis“ ist eine unglaublich kluge und humorvolle Story, die zeigt, dass Vergangenheit und Zukunft, Stadt und Land, Staatsbürger und Außenseiter vielleicht doch mehr gemeinsam haben, als es zunächst den Anschein hat. Immerhin geht es dabei immer um Menschen.

John Scalzi: „Utere nihil non extra quiritationem suis“, aus: John Scalzi: „Metatropolis“Erzählungen ∙ Aus dem Amerikanischen von Bernhard Kempen ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2011 ∙ 416 Seiten ∙ E-Book: € 7,99 (im Shop)

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