27. August 2014 1 Likes 1

Festspiele der Zukunft

Nach Karl May ist alles möglich, einfach alles – Eine Kolumne von Hartmut Kasper

Lesezeit: 3 min.

Dieser Tage verbrachte ich zusammen mit meinem Sohn und einigen Freunden ein wenig Zeit im sauerländischen Elspe, das sich nicht nur viel gesunder Luft und einer Vituskapelle rühmen darf, sondern auch seiner Karl-May-Festspiele. Im Rahmen dieser Festspiele treten nebst vierzig eigens dazu ausgebildeten Pferden annähernd gleich viele Schauspieler auf; Kaskadeure purzeln von Dächern und Felsenklippen; aus übermannsgroßen Lautsprechern ertönt die aus dem Kino der Kindertage bekannte Winnetou-erscheint-auf-dem-Bergesgipfel-Erkennungsmelodie; Basskanonen und krachende Explosionen erfreuen das Ohr. Am Ende werden die Helden auf ihren Rossen mit Beifall überschüttet und die Schurken von Herzen ausgebuht.

In diesem Jahr wird „Unter Geiern“ gespielt, eine aus mehreren Werken Karl Mays komponierte Räuberpistole samt Apachenhäuptling, die im Llano Estacado spielt, einer Wüste zwischen Texas und New Mexico im Jagdgebiet der Komantschen.

Die Wüste wird von der süffig-sauerländischen Natur gegeben, der Gangsterboss und Obergeier von Martin Semmelrogge. Im Zuschauerraum überwiegt die Kombination Oma/Opa-Enkelkinder. Schwer zu sagen, welche Generation die vergnügtere ist. Wahrscheinlich eine schiere Win-win-Situation. Zumal sich die heitere Begeisterung der gesetzteren Generation mühelos auf die 3-, 4- ,5-, 6-, 7-, ja 12-Jährigen überträgt, die die Handlung durchaus nicht nur den älteren Herrschaften zuliebe aufmerksam verfolgen ‒ will sagen: die noch gar nicht so hard boiled, so abgefeimt von Fernsehen, Funk und Spielkonsole sind, wie die Verkünder des alljährlichen Untergang des Abendlandes es fürchten.

Aber was, wenn aus diesen Enkeln einmal Väter und Mütter geworden sind? Wohin werden ihre Ausflüge in die eigene Kinderzeit sie führen? Haben Festspiele wie die in Elspe noch Zukunft, indianersatt und voller Dampflokomotivenrauch? Oder wird die jetzt noch mit Pfeil und Bogen und Erdbeereis bewaffnete Schar eigene Festspiele fordern, um eigene Jugenderinnerungen zu feiern? Wird es eines Tages zum Beispiel das Cosmo & Wanda-Festival von ‒ sagen wir mal ‒ Castrop-Rauxel geben? „Die Simpsons live!“ in Bad Lippspringe? „Star Trek – das Musical“ in der Klosterruine Boitzenburg in der Uckermark? Werden singende Jedi ihre Lichtschwertchoreographien auf der Seebühne Lunz zeigen (natürlich nur im Sommer; über den Winter bleibt die Bühne bekanntlich im Lunzer See versenkt)? Oder die Transfomer ihre Transformationen auf der Waldbühne Otternhagen (einem Ortsteil von Neustadt am Rübenberge im Hannoverschen)? Sind die Power Ranger, die Teenage Mutant Ninja Turtles und die Total Unerschrockenen Fieslängs-Fänger, Fanboy & Chum Chum und die Pinguine von Madagascar, ist Doctor Who, Indiana Jones und Sailor Moon, ist SpongeBob Schwammkopf zukunft-, ja festivaltauglich?

Eigentlich habe ich wenig Zweifel.

Variieren diese (und noch mehr) Produkte menschlicher Phantasie doch nur und zeitgemäß die uralten Schemata unserer Sehnsucht nach dem großen Abenteuer in ferner Fremde (Llano Estacado / Rock Bottom), unter sonderbaren Gestalten (unter Geiern / unter den tiefsee-anglerfischähnlichen Eingeborenen der aphotischen Zone von Rock Bottom), aber gemeinsam mit dem Freund für‘s Leben (Winnetou & Old Shatterhand / SpongeBob & Patrick). Kann also gut sein, dass wir dereinst mit unseren Enkelkindern und bevor die eigentliche Action richtig losgeht auf den Jellyfish Fields Quallen fischen, anschließend nach der uralten Geheimformel gebrauten Krabbenburger genießen und den Kleinen zusehen, wie sie eine Runde in einem Elektromobilunterseebootauto aus Mrs. Puffs Bootsfahrschule drehen. Und uns danach endlich auf die Sitzplätze begeben, wo die Freilichtbühne Bikini Bottom zeigt und wo in diesem Jahr „Bus verpasst“ aufgeführt wird ‒ unser persönliches Lieblingsstück der phantastischen Literatur.

In der Rolle von Patrick gerne Martin Semmelrogge.
 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist.

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

Jaaaaa, Anreise per Tardis, Karten im shop würde ich vorschlagen (nachdem man dort ja auch Lose für das Morgenröte-Projekt kaufen kann, hab ich gelesen).

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