9. Juni 2015 2 Likes 1

Eigentlich ist alles gut

Über eine Fernsehsendung, die ich nicht kenne, die man aber kennen sollte – Eine Kolumne von Hartmut Kasper

Lesezeit: 4 min.

Die Redaktion von diezukunft.de bat mich, ob ich in meiner Kolumne nicht ein paar Worte über „Newtopia“ verlieren möchte. Das will ich nur allzu gerne.

„Newtopia“ ‒ wer kennt es nicht?

Ich.

„Newtopia“ ist eine Fernsehsendung – eine ganz großartige Fernsehsendung. Ich habe sie zwar noch nicht gesehen und weiß auch nicht, auf welchem Sender sie läuft, aber ich stelle sie mir absolut großartig vor. „Newtopia“ erzählt uns Geschichten von einer neuen Welt, und eine Erneuerung der Welt, da hat Bruder Fernsehen Recht, ist dringend nötig. Ich stelle mir also vor, wie in Newtopia Menschen klug, weise und vorausschauend zusammenleben. Sie zeugen ihre Kinder mir viel Liebe zum Detail, fördern sie sanft ans Licht der Welt und heißen sie dort von Herzen willkommen. Wohnraum, Grün- und Gartenfläche werden nach Anzahl und Bewegungsbedürfnis der Kinder zugewiesen. In Newtopia gibt es jede Menge Spielzeugläden, bestückt von KraussMaffei, Heckler & Koch und anderen am Kindeswohl interessierten Firmen, die sich mit teniferierten Mobiles, mit Schlafmützen aus Schafswolle und anderem Tand eine goldene Nase verdienen ‒ und ein goldenes Ohr dazu, wenn sie mögen. Gut so!

In Newtopia ist übrigens alles Gold, was glänzt; an Gold ist kein Mangel, man wäscht es nach Westmen-Art mit einem Sieb aus den Flüssen, und die Zander, Quappen und Forellen von Newtopia rufen den wackeren Wäschern ein herzliches „Vergelts Gott!“ hinterher. Versteht sich, dass auch anderes Handwerk goldenen Boden hat, und den Glockengießern, Schustern, Schneidern, Köchen, Konditoren, Kesselflickern, den Frisören und Fußpflegern, den Laternenanzündern und Hufschmieden geht es ebenso prächtig wie den Postboten und dem munteren Bofrost-Volk. Man tut, was man kann, und da man viel tut, kann man viel. Übung macht den Meister, sagen die Leute in Newtopia.

Manchmal blättert man, mit den Kindern auf dem Schoß, in alten Versandhauskatalogen. Was es nicht alles so gab! Rauchverzehrer, elektromechanische Sexspielzeuge aus Acrylglas, Malen nach Zahlen, Kuckucksuhren ‒ der wunderliche Krimskrams der menschlichen Frühgeschichte. Die Newtopianer sehen es belustigt an und lachen heiter. Überhaupt herrscht Heiterkeit in Newtopia. Man spielt noch Fußball, aber ohne Schiedsrichter; die Schiedsrichter spielen Flag Football, und beim Flag Football braucht man keine Schiedsrichter (jedenfalls nicht in Newtopia).

Gibt es Geld in Newtopia? Vielleicht. Numismatiker gibt es bestimmt, da bin ich sicher, sowie Philatelisten und Sammler von porzellanenen Nilpferden und dergleichen. In Newtopia stehen auch Lehrer hoch im Kurs – und Lehrerinnen. Sie bringen den Kindern bei, dass der Sinn des Lebens darin liegt, Stoff in Glück zu verwandeln (das weiß ich aus dem Roman „Alexis Sorbas“ von Nikos Kazantzakis), und dass man dennoch mit dem Unglück leben muss. In Newtopia gilt: Großvater stirbt ‒ Vater stirbt ‒ Sohn stirbt. Und wenn es in dieser Reihenfolge geht, ist das in Ordnung.

Gibt es Verbrechen in Newtopia? Mag sein. Eher nicht. Man hat in Newtopia ja keine Gesetze, gegen die man verstoßen könnte. Sicher mopst mal jemand ein Ei, und hin und wieder schaut ein Hochstapler vorbei oder ein sympathischer Heiratsschwindler, auf den die Damen fliegen (oder wenigstens so tun als ob). Schlimmstenfalls schleicht sich ein Spion aus dem befreundeten Ausland ein. Dann tuschelt man ein wenig hinter vorgehaltener Hand, damit der Teufelskerl etwas abzuhören hat und nicht ganz unverrichteter Dinge heimkehren muss. Natürlich wird der Eierdieb erwischt, und jemand (der in Newtopia ein wenig so aussieht wie Gregor Gysi) sagt: „Na hörn se mal, sowas tut man doch nicht, also bitte!“ Dann schaut der Eierdieb nicht nur zerknirscht, sondern ist es auch, und man lädt ihn zu einem tröstenden Brot mit Spiegelei ein, und schon ist die Resozialisierung gelungen.

Gibt es Flüchtlinge nach Newtopia? Allerlei. Man ist davon ziemlich geschmeichelt, schließlich gibt es kein größeres Kompliment, als wenn jemand sein Leben auf Spiel setzt, um in die Nachbarschaft zu ziehen. Wer will, soll bleiben; wer weiterziehen will: gerne. Schließlich steht unser Vaterland weitgehend leer, da ließen sich noch einige New Yorks aus dem Boden stampfen, ohne dass es weiter auffällt. Und in der schönen Nationalhymne von Newtopia heißt es bekanntlich „Es ist genug für alle da“. Und ‒ wieso hat das außerhalb von Newtopia noch niemand gemerkt? ‒ das stimmt!

Ja, eigentlich gibt es alles in Newtopia, jedenfalls mehr als genug: eine große und mehrere kleine Modelleisenbahnen; einen Mann, der die Hunde ausführt; Frauen und Männer, die vor Glück auch mal schreien, aber nicht, weil eine Schuhfirma sie dazu animiert; Regen und Gewitter und im Winter Schnee; Schokoladenstreusel und Kerzen, falls der Strom mal ausfällt (was aber noch nicht geschehen ist). Nicht zuletzt gibt es auch das eine oder andere Gotteshaus ‒ klein, aber fein. Falls Gott mal vorbeischaut, ist er herzlich willkommen, und für ein warmes Abendbrot ist in diesem Fall ganz sicher gesorgt.

Ich finde, „Newtopia“ klingt eigentlich recht interessant. Vielleicht sollte ich es mir demnächst einmal ansehen und finde heraus: Es ist im wirklichen Fernsehen noch schöner, als ich es mir ausmale.

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist.

Kommentare

Bild des Benutzers Alexander Seibold

Lieber Hartmut, der Fernsehdirektor fand Deine Serie „Newtopia“ einfach Spitze! Ich fragte ihn, wieviel er dafür locker machen würde. Seine Antwort war kurz: Wie bitte? Ich wurde konkreter und erbat seine Zusage für einen Produktionsetat über die drei nächsten Wirtschaftsjahre und einen Stab, der neben Kamera und Ton auch Bühnenbau und Maske umfassen sollte. Außerdem ein Team der Telekom für die Telefonzelle von Dr. When und Personal Assistants für den Doktor. Darauf meinte er nur lapidar, der Doktor solle sich seinen Kaffee gefälligst selber holen und außerdem sei er dafür nicht zuständig, der Sender habe jetzt eine Fernsehdirektorin. Ok, lieber Hartmut, was hätte ich tun sollen? Deine Idee hatte mich schon entflammt. Also lief ich wieder los. Der Pförtner am Eingang zum Produktionsgelände fing mich gleich ab und wollte wissen, was denn so anstünde und wohin ich unterwegs wäre. Als ich ihm „Newtopia“ erklären wollte, winkte er nur ab und meinte, das hier sei nicht die BBC. Ähnlich äußerte sich die Köchin in der Kantine des Senders, gab aber dann sofort zu, dass sie gerne ein When-Girl wäre. Darauf wollte ich wissen, woher sie denn wisse, ob Dr. When überhaupt auf Mädchen stünde, zumal er ja in der ganzen Milchstraße herum käme. Aber sie kannte das Lokal Milchstraße nicht und zuckte nur die Achseln. Ich bin dann durch die Redaktionsflure zu den heiligen Hallen der Direktion geschlichen, aber das kann ich nicht erzählen, weil die Kollegen von diezukunft.de die Buchstabenanzahl hier begrenzen…

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