17. Februar 2016 3 Likes

2015 war das beste Weltraum-Jahr aller Zeiten

Ein NASA-Berater und Science-Fiction-Bestsellerautor über die Rückkehr einer großen Liebe: Raumfahrt

Lesezeit: 14 min.

Was zeichnet das Jahr 2015 aus, jetzt, wo es hinter uns liegt? Abgesehen davon, dass es (leider) den Rekord für das bisher heißeste Jahr in der bekannten Geschichte hält? Inmitten guter, schlechter und verstörender Nachrichten erscheint es mir vor allem bemerkenswert, dass 2015 für die Menschen das mit Abstand beste Jahr in Sachen Weltraum war – also im Hinblick auf die Erforschung des uns umgebenden Universums.

Wie ist das möglich? Selbst wenn man zufällig zu den Leuten gehört, denen es etwas bedeutet, mutig dorthin vorzudringen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist, muss man doch den Eindruck gewinnen, dass unsere glanzvollste Zeit, die Ära der Apollo-Mondlandungen, längst hinter uns liegt. Den jungen Leuten von heute entlockt es anscheinend nur ein Gähnen, wenn wir im Fernsehen das NASA-Programm einschalten oder anfangen, von der Besiedelung des Mars zu reden. Die Vereinigten Staaten wenden 0,5 Prozent ihres jährlichen Haushaltsbudgets von 3,8 Billionen Dollar für Raumfahrtprojekte aus (während es in der Apollo-Ära 5 Prozent waren). Die meisten unserer Mitbürger halten die Zahlen für höher, und viele finden, dass wir zu viel für die Raumfahrt ausgeben.

Gleichzeitig müssen diejenigen, denen die Raumfahrt etwas bedeutet, feststellen, dass gerade ihr romantischer – nämlich der bemannte – Teil in anhaltendem Schlummer zu liegen scheint, obwohl man uns verspricht, dass sich das in drei bis vier Jahren ändern könnte. Sind also meine Begeisterungsstürme über ein bestes Weltraumjahr aller Zeiten voreingenommen – zugunsten von Robotern? Als Planetenastronom im Beraterstab der Innovative and Advanced Concepts Group der NASA weiß ich, wie viele erstaunliche Ideen aus kreativen Menschen hervorsprudeln. Und ja, mein anderer Hauptberuf als Science-Fiction-Autor heizt meine Begeisterung noch weiter an.

Tatsächlich möchte ich später in diesem Essay aufzeigen, dass unser wissenschaftliches Programm zur Erforschung des Kosmos die wichtigsten visuellen Kunstwerke der Menschheitsgeschichte hervorgebracht hat.


Der Mars, ganz aus der Nähe: Der Rover Curiosity nimmt bei der Big Sky-Bohrstelle, im Innern des Gale-Kraters, ein Selfie auf. Die Rover-Missionen der NASA tragen weiterhin erstaunliche Hinweise auf eine Zeit zusammen, als noch Meere auf dem Roten Planeten wogten. (Bild: NASA/JPL-Caltech/MSSS)

Aber beginnen wir vorerst mit greifbaren und unbestreitbaren Argumenten dafür, dass einem die Raumfahrt wichtig sein sollte. Pragmatisch betrachtet haben Ablegertechnologien wie die gesamte Solarenergie, Mikrochips und die Computerindustrie ihren Anfang bei der NASA genommen, wie auch die Kommunikationssatelliten, durch die in armen Regionen, wo die Menschen von einem Festnetzanschluss nur träumen können, Mobiltelefone funktionieren. Wir nehmen das globale Ortungssystem GPS, das in der Erdumlaufbahn verankert ist, für selbstverständlich. Durch unsere Satelliten können wir brillante Modelle unserer Atmosphäre entwickeln, durch die die alten Vier-Stunden-Wetterberichte sich in erstaunlich detaillierte 14-Tage-Vorhersagen verwandelt haben. Die Jahresklimavorhersagen helfen Bauern bei der Ernte- und dem Normalbürger bei der Urlaubsplanung.

Ach ja, dann gibt es da noch einen nur selten erwähnten „pragmatischen“ Vorteil der Raumfahrt. Ohne Spionagesatelliten, mit denen sich die Einhaltung von Waffenkontrollabkommen überprüfen lässt, wären wir wahrscheinlich alle längst in irgendeiner nuklearen Katastrophe ums Leben gekommen. Auch nicht zu verachten.

Aber all diese Vorteile resultieren aus langsamen, stetigen Entwicklungen. Was war so besonders am Jahre 2015?

Kunde von Überall

Beinahe wöchentlich versorgen unsere treuen Robotersonden uns mit einem steten Strom epochaler Neuigkeiten. Allein in diesem einen Jahr haben wir so viel über den Merkur, die Venus und die Erde gelernt. Vor allem über die Erde, wo nach unverzeihlichen Verzögerungen eine Schar von Wissenschaftssatelliten wie das Orbiting Carbon Observatory endlich wertvolles Beweismaterial darüber sammeln, was mit unserer Heimatwelt-Oase geschieht.

Aber weiter hinaus! Im letzten Jahr hat einer unserer kleinen Botschafter den Zwergplaneten Ceres mit seinen seltsamen weißen Flecken und möglichen unterirdischen Seen umkreist und kartiert.

Fünf Mars-Orbitalsonden haben uns Hinweise darauf geliefert, was aus der einst so reichhaltigen Atmosphäre jener Welt geworden ist und uns so dabei geholfen, unsere immer besser werdenden Klimamodelle zu verfeinern. Unter anderem haben sie gezeigt, dass gelegentlich noch immer flüssiges Wasser über die Marsoberfläche strömt, so zum Beispiel auch im vergangenen Jahr. Und als wenn das nicht schon eine ganze Menge wäre, haben eben diese Orbitalsonden zwischendurch einen Schwenk gemacht, um sich einen Kometen anzusehen, der am Roten Planeten in einem Abstand vorbeigezogen ist, der sehr viel kleiner war als der zwischen Erde und Mond.

Auch nicht zu vergessen sind unsere tapferen Rover auf der Marsoberfläche, Curiosity und Opportunity, die für uns einhertuckern, auf Berge klettern und Hinweise über die Geschichte des Mars zutage fördern, die bis in die Zeiten zurückreichen, als Meere auf seiner Oberfläche wogten – und die Indizien darauf liefern, wo sich vielleicht immer noch etwas von diesen Wassermassen versteckt. Und dann gibt es nächstes Jahr noch eine Marslandung!

Richten wir den Blick weiter nach draußen. Pläne für eine Mission zur Erforschung der eisbedeckten Meere Europas wurden angekündigt, und auf längere Sicht sollen U-Boote in die Methanseen entlang der wechselhaften Küsten Titans abtauchen. Dieses Jahr ist die Cassini-Sonde dicht am Saturnmond Enceladus vorbeigezogen und dabei in die Wolken eines Wasservulkans eingedrungen, wo sie nach organischen Stoffen gesucht hat.

Dabei wollen wir auch nicht die großen Leistungen unserer Freunde von der European Space Agency (ESA) vergessen, die zum Beispiel eine Landung auf einem Kometen durchgeführt haben! Wir haben eine ganze Menge darüber erfahren, wie diese Himmelskörper sich in Asteroiden verwandeln können, auf denen kühne Unternehmer nach Rohstoffen schürfen könnten. Derweil hat die japanische Raumfahrtagentur JAXA am 7. Dezember 2015 endlich ihre vom Pech geplagte Akatsuki-Sonde in eine Umlaufbahn um die Venus gebracht. Herzlichen Glückwunsch!

Die Krönung war natürlich die New Horizons – es kommt einem fast vor, als wäre sie in einem anderen Jahrtausend von unserer Erde losgeschickt worden, so lange ist es schon her, aber dieses Jahr ist sie endlich am Pluto vorbeigezogen. In abgrundtiefer Finsternis zeigten die Kameras der New Horizons Bilder von solcher Farbenpracht und Schönheit und wissenschaftlicher Faszinationskraft, dass selbst Zyniker in ihren Bann geschlagen wurden: detailreiche Schnappschüsse des Zwergplaneten, unter anderem zusammen mit seinem faszinierenden Mond Charon, vollgestopft mit Datenmaterial und durch gewaltige Teamwork-Leistungen ermöglicht, bei denen alle Beteiligten ihre unvergleichlichen (und dringend benötigten) Fähigkeiten unter Beweis stellten.


Plutos Herz: Vom 5. bis 7. September 2015 funkte die New Horizons-Sonde hochauflösende Fotos und Daten vom Zwergplaneten Pluto. Dieses Foto (in Falschfarben) wurde aus einer Entfernung von ca. 450.000 Kilometern aufgenommen und zeigt Details bis zu einer Größe von 2,2 Kilometern. (Bild: NASA/JHUAPL/SwRI)

Hinzu kommt, dass dabei alles so glatt lief und alle ihre Arbeit so gut machten, dass die NASA die New Horizons nun mit ihren noch immer beachtlichen Treibstoffreserven noch fast zwei Milliarden Kilometer weiter weg schickt, um ein besonders seltsames Objekt im Kuipergürtel zu studieren. Das ist schon fast eine interstellare Reise.

Muss man da noch erwähnen, dass das Hubble-Weltraumteleskop und sein rundes Dutzend Partnergeräte die Astronomie jedes Jahr in großen Sprüngen voranbringen? 2015 ist die Erforschung riesiger, intergalaktischer Gravitationslinsen anscheinend richtig in Fahrt gekommen. Wenn wir nahe Haufen von Dunkler Materie kartieren, können wir beobachten, dass diese Haufen den Raum krümmen und Licht aus den entferntesten Regionen des Universums bündeln, was uns viel über seine Anfangszeiten verrät. Es gibt rasche Fortschritte bei der Entwicklung neuerer, weit besserer Weltraumobservatorien, darunter ein komplexes System, das Gravitationswellen auffangen und entschlüsseln soll. Die erste Testumgebung für diese Technologie wurde 2015 erstellt.

Eine weitere wichtige Front sind, trotz einiger Rückschläge, die Bemühungen findiger Unternehmer, unseren Zugang zur Erdumlaufbahn zu verbessern. Bei Jeff Bezosʼ Blue Origin-Projekt wurde eine Rakete an den Rand des Alls geschickt und kehrte dann zurück, um voll einsatzfähig mit dem Heck auf der ursprünglichen Startfläche zu landen.

Elon Musks SpaceX wollte sich nicht lumpen lassen und hat am 21. Dezember 2015, zur Wintersonnenwende, eine noch schwierigere Rückkehr zum Landeplatz bewältigt. Damit ist der Weg für einen deutlich preiswerteren Zugang zu den Weiten des Alls geebnet.


Der Falke ist gelandet: Zum Erfolg der Mission, den Booster der Falcon-9-Rakete sicher zu landen, fügte Musk hinzu: „Das bringt uns dem Ziel der Errichtung einer Stadt auf dem Mars einen großen Schritt näher. Nur darum geht es.“ (Bild: SpaceX)

Derweil treiben Virgin Galactic und andere die Entwicklung eigener zukunftsweisender Startsysteme voran, darunter auch einige zum verbesserten Transport von Menschen. Amateure und semiprofessionelle Raumfahrtfreunde entwickeln und miniaturisieren sogenante Cube-Sat-Funktionen, was 2015 darin gipfelte, dass die Planetary Society einen vollausgewachsenen Test-Solarsegler in die Umlaufbahn schickte. Zusammengenommen könnten diese beiden Technologien bedeuten, dass das All eines Tages nicht mehr nur ein Spielplatz für Regierungen und Milliardäre sein wird.

Ach ja, im Jahr 2015 haben sowohl Planetary Ressources als auch Deep Space Industries die Absicht erklärt, auf der Suche nach und bei der Verwertung von wertvollen Mineralien (insbesondere Wasser) auf Asteroiden mit der NASA zusammenzuarbeiten.

War’s das? Ganz und gar nicht! Ich würde fortfahren, aber mir geht der Platz aus …

Für Profit, zum Vergnügen und um zu Überleben?

Ich erwähnte bereits Asteroidenbergbau-Startup-Unternehmen wie Planetary Ressources und Deep Space Industries. Andere wollen erneut zum Mond. Die Rohstoffe winken, und das Gewinnpotenzial ist gewaltig. So gewaltig, dass ein einziger Asteroid von der richtigen Sorte (wenn er mit Sonnenenergie aufgetaut und in der Umlaufbahn eingeschmolzen werden kann) einen Großteil des Gesamtbedarfs unserer Wirtschaft an Metallen decken könnte, sodass wir die Notwendigkeit, uns ins Fleisch unserer Mutter Erde zu graben, deutlich reduzieren könnten.

Was einer Rückkehr zur bemannten Raumfahrt ebenfalls Auftrieb geben wird, ist der ungebundene Reichtum unserer wachsenden Kaste von Superreichen. Die ersten Tickets für Suborbital-Abstecher sind bereits über Firmen wie Virgin Galactic verkauft. In meinem Roman „Existenz“ (im Shop) stelle ich dar, wie sich dieses Geschäft zu einer Freizeitindustrie verheißungsvollen Ausmaßes entwickelt.

Aber noch etwas treibt unsere eifrigen Weltraum-Unternehmer an. Es muss zwar oberste Priorität bleiben, unseren Planeten zu retten, aber es ist auch nie falsch, sich einen Notfallplan zurechtzulegen. Kolonien auf dem Mars und auf den Asteroiden würden vielleicht nicht nur Wohlstand produzieren, sondern auch eine Notallalternative für die menschliche Zivilisation darstellen, falls hier unten alles den Bach runtergeht.

SpaceX und der Tesla-Pioneer Musk zitieren oft die alte Redensart: „Man sollte niemals alle Eier in einen Korb legen.“ Auf kurze Sicht wären alle Kolonien jenseits der Erde natürlich ganz und gar auf Unterstützung von zuhause abhängig. Aber auf lange Sicht kann man sich ein Gedeihen der Zivilisation im Sonnensystem durchaus vorstellen – zumindest auf dem Papier. Wie wir nach dem Fukushima-Beben in Japan gesehen haben, braucht selbst eine Insel des Wohlstands manchmal Hilfe. Die Erde und ihre Nachkommen befinden sich vielleicht eines Tages in ähnlicher Abhängigkeit voneinander.

Dieser Traum wird mit jedem Jahr greifbarer. Tatsächlich ist er kein bisschen weniger glaubwürdig, als wenn Commodore Perry (sinngemäß) zum Shogun gesagt hätte: „Lassen Sie uns Freunde sein. Es ist immer gut, Freunde zu haben.“

Kompetenz

Indem man die Errungenschaften der Raumfahrt im Jahre 2015 anpreist, schärft man auch den Blick dafür, wie atemberaubend sorgfältig und gut unsere heldenhaften Ingenieure und Weltraum-Roboter-Entwickler ihre Arbeit machen müssen, um all diese Wunder zu vollbringen. Winzigste Fehler – in der Größenordnung eines Zehntausendstelprozents – hätten dazu geführt, dass die Kameras der New Horizons in den leeren Raum gezeigt hätten, anstatt makellose Bilder einer schwach erleuchteten Welt zu schießen, die schneller als eine Pistolenkugel an ihr vorbeigesaust ist. Was einmal mehr die Frage aufwirft, die sich schon seit dem Beginn des Raumfahrtprogramms stellt:

„Wenn wir all das können, können wir dann nicht auch andere Probleme lösen?“

In unseren Zeiten des reflexartigen, selbstgefälligen Zynismus ist sie vielleicht außer Mode geraten, aber es gibt doch einiges, was für eine zupackende, optimistische Haltung spricht. Die Vorstellung, dass wir Probleme lösen können. Wie sonst lässt sich der spektakuläre Erfolg von Andy Weirs Roman „Der Marsianer“ (im Shop) und seiner Verfilmung mit Matt Damon erklären? Nachdem wir jahrzehntelang Filme gesehen haben, in denen die Helden vor allen Dingen auf der Grundlage ihres rein emotionalen Bauchgefühls, ihres „Instinkts“, handeln, besteht vielleicht ein gewisser Hunger nach anderen Arten von Geschichten. Ein Rezensent beschrieb das Vergnügen, das manche aus Weirs Buch beziehen, als „Kompetenz-Porno.“

Ja! Los, mach noch was Kompetentes. Ja!

Vor langer Zeit, zum 45. Jubiläum der Mondlandung, habe ich einen Artikel aus dem Slate-Magazin empfohlen, verfasst vom Journalisten-Urgestein Joel Shurkin, der anno dazumal über die Apollo-Missionen berichtet hatte. Das vorgebliche Thema des Artikels – was Armstrong hatte zum Ausdruck bringen wollen, als er seine ersten Schritte auf dem Mond gemacht hat – ist eigentlich ziemlich banal. Aber Shurkin trägt ein bewegendes Argument vor:

„Wir sollten das All erforschen, weil wir Menschen das nun mal so machen … wir forschen. Wir sind nicht zufrieden mit dem Ort, an dem wir uns aufhalten, wir wollen wissen, was dort drüben ist. Das ist Teil unserer DNS. Als die großen Entdeckungsreisen auf der Erde begannen, gab es wahrscheinlich auch Leute, die Cook und Magellan und Hudson und Columbus und all den anderen erzählt haben, dass sie bloß Ressourcen verschwendeten, oder dass Gott, wenn er gewollt hätte, dass wir eine Nordwest-Passage finden, Straßenschilder aufgestellt hätte oder so. Aber sie sind trotzdem losgefahren. So sind wir.“

Dazu nicke ich begeistert, habe aber auch einen kleinen zeitgemäßen Einwand. Zusätzlich zu Cook und Magellan und Columbus sollten wir ganz gewohnheitsmäßig auch die Namen anderer, nicht-westlicher Entdecker nennen. Wie den des arabischen Wanderers Ibn Battuta, des großen chinesischen Admirals Cheng-Ho und des polynesischen Pioniers Hotu Matua. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit – und man kann damit ganz pragmatisch den reflexartigen Vorwurf des „männlich-weißen eurozentrischen Chauvinismus“ kontern –, es zeigt auch, dass man selbst einer von denen ist, die den Horizont erweitern. Immer dazu bereit, beim Denken die engen Grenzen der eigenen Erfahrungswelt zu überschreiten.

Damit erweist man sich als jemand, der es würdig ist, mit anderen darüber zu reden, wie man Grenzen, die weit entfernter liegen, durchbricht. Darüber, wie man den Horizont ein ganzes Stück mehr erweitert.

Das All hat letztendlich nichts mit unseren faden politischen Metaphern von links und rechts zu tun. Es hat etwas damit zu tun, zu der Sorte Menschen zu werden, die wir sein wollen. Die Sorte Menschen, die forscht, die den Blick nach außen richtet, die glaubt, dass das Morgen etwas Neues bereithält. Dass es etwas Besseres bereithält. Die Sorte Menschen, die sich die Reise ins All verdient haben werden.

Die Sorte Mensch, die sich vielleicht – irgendwann – als Erste in den interstellaren Raum hinauswagt und herausfindet, warum das Universum dort draußen anscheinend so still ist. Und die vielleicht in Erfahrung bringt, ob ander Spezies ein Problem haben, ob man ihnen helfen kann. Diese Sorte Mensch – von Selbstvertrauen, Neugier und Güte angetrieben – verdient es, die Probleme der Welt zu lösen. Sie kann die Probleme der Welt lösen.

Wir sind die Nachkommen von Entdeckern. Von unseren Philosophen der Aufklärung, die mit 4000 Jahren pyramidenförmiger feudaler Oligarchien gebrochen haben, um zu sagen: Wir werden uns verändern. Wir werden dafür sorgen, dass die Zukunft anders ist als die Vergangenheit.

Vielleicht hat Apollo uns gerettet

Ich bin davon überzeugt, dass die Apollo-Missionen uns geholfen haben, einige der wichtigsten Kunstwerke der menschlichen Geschichte zu erschaffen.

In diesem Zusammenhang möchte ich die gewagte Behauptung aufstellen, dass man „wirkungsvolle visuelle Kunst“ als eine Arbeit oder eine Darstellung definieren kann, die einen Menschen allein durch ihren Anblick unmerklich verändert, die Verstand und Herz eine Wandlung durchlaufen lässt, ohne dass dafür ein verbales oder logisches Überzeugen notwendig ist. Nach dieser Definition gab es im 20. Jahrhundert zwei ungeheuer wirkungsmächtige visuelle Kunstwerke – die uns beide von der Wissenschaft der Physik geschenkt wurden!


Atompilz über Nagasaki

Zum einen hat das entsetzliche Bild der Atombombe unsere jungenhaft-romantische Zuneigung zum Krieg für immer verändert und uns dazu veranlasst, im Umgang mit dieser neuen und ehrfurchtgebietenden Zerstörungskraft ein Stück weit erwachsen zu werden. Die Landesverteidigung wurde zur Angelegenheit vernünftiger Erwachsener. Selbst (und vor allem) bei Soldaten gilt Krieg heutzutage als Ausdruck eines Versagens – eine riskante Maßnahme, die nur aufgrund unzureichender diplomatischer Anstrengungen oder mangelnder Vorbereitung oder Abschreckung nötig wird. Natürlich gab es logische Gründe für diese Veränderung. Aber die Kunst hat sie mit angestoßen. Wir haben uns am Bild des Atompilzes verbrannt. Es hat uns ohne Worte, die daneben blass aussähen, überzeugt.

Ah, aber dann ist da noch das zweite Bild, das uns für immer tief verändert hat.


Erdaufgang über dem Mond, gesehen von Apollo 8. (Bild: NASA)

Dieses große Kunstwerk war ein Geschenk, das uns am Ende eines der schwierigsten Jahre, an die man sich erinnern kann, erreichte – 1968. Jene zwölf verrückten, hektischen Monate haben die meisten Amerikaner – und einen Großteil der Welt – an den Rand der völligen Erschöpfung und Verzweiflung getrieben. Ja, großartige neue Musik ist damals wie eine Flutwelle über uns hinweggespült, zusammen mit Tragödien, Kriegen, Invasionen, Mordanschlägen, Unruhen, Verrat und Forderungen nach einem längst überfälligen Wandel.

Erst ganz am Ende dieses schrecklichen Jahres traf ein letztes bedeutungsvolles Zeichen ein – wie ein Schimmer der Hoffnung am Grunde von Pandoras Büchse –, als die Apollo-8-Astronauten das erste makellose Bild der Erde mit nach Hause brachten, die als blaue Murmel in der grenzenlosen Wüste des Alls schwebt. Ein Bild, das nur die zynischsten Herzen nicht bewegte und unsere Sichtweise auf diese zerbrechliche irdischen Oase für immer veränderte.

Dieses Bild – ein Kunstwerk, dass von der Neugier, der Kühnheit und dem Ehrgeiz des Menschen und von der keuschen, unschuldigen Wahrheitsliebe der Wissenschaft geschaffen wurde – hat uns mehr als alles andere verändert. Vielleicht hat es uns zu besseren, verantwortungsbewussteren Bürgern und Verwaltern der Welt gemacht.

Erst jetzt ist die Schönheit dieses Bildes übertroffen worden. Noch prachtvoller ist das zusammengesetzte Bild, das die NASA am 19. Dezember veröffentlicht hat und das von dem Lunar Reconnaissance Orbiter aufgenommen wurde, als er etwa 134 Kilometer über einem Mondkrater vorbeiflog.


Mondsüchtig: Dieses Foto von der Erde, das der Lunar Reconnaisance Orbiter der NASA aufgenommen hat, als er über einen Krater hinweggeflogen ist, stellt die Sorte Bild dar, die uns „an Herz und Verstand“ verändert, schreibt David Brin.

Ich habe mich lange gefragt, wann wir wieder ein Bild zu sehen bekommen würden, das uns derart erschüttert und uns dazu veranlasst, uns zu verändern. Vielleicht ein deutlicher Ausschlag auf einem Bildschirm des SETI-Programms auf der Suche nach außerirdischer Intelligenz? Das Gesicht eines Roboters, der ein Selbstbewusstsein erlangt hat? Oder vielleicht ein veränderter Affe oder Delfin, der uns in die Augen sieht und Respekt fordert?


Der nächste Schritt: In seinem Uplift-Zyklus stellt David Brind die Frage: Hat sich die Intelligenz der Menschen von selbst entwickelt, oder wurden sie »upgeliftet«? Wenn ja, von wem?

Nachdem ich während des letzten Jahres zugesehen habe, wie sich ein Wunder nach dem anderen vor unseren Augen entfaltet hat – übermittelt von verblüffend hochentwickelten Sonden, deren Kosten sich für den Durchschnittsbürger auf ein paar Cent beschränken –, wurde mir eines klar: Vielleicht wird es nie wieder bloß ein Bild sein. Inzwischen geht so viel auf einmal vor – Schreckliches, Hoffnungsvolles und eine wahre Flutwelle von Wundern –, dass wir lernen müssen, Herz und Verstand zu öffnen, um all das einzulassen. Wir dürfen uns weder im Pessimismus suhlen noch vor unkritischem Optimismus übersprudeln, sondern müssen die wahre Lektion lernen. Dass wir ehrgeizig sein und Probleme lösen können. Dass wir die Dinge anpacken können.

Wir können viele Wege beschreiten, um einander zu helfen, um die Welt unserer Geburt zu retten und in den Himmel aufzusteigen. Nur, indem wir all das tun, können wir uns nach und nach als würdig erweisen, bis schließlich der Tag kommt, an dem die Kinder unserer Kinder den billigen, wütenden Zynismus für immer hinter sich lassen und selbstsicher und motiviert sagen:

„Los geht’s!“
 

David Brin ist Astrophysiker und Autor mehrerer internationaler Romanbestseller, darunter „Der Postmann“, der „Uplift“-Zyklus (im Shop) und zuletzt „Existenz“ (im Shop). Er arbeitet als wissenschaftlicher Berater für die NASA. Mehr Informationen über David Brin auf www.davidbrin.com sowie auf seinem Blog davidbrin.blogspot.com und auf Twitter @DavidBrin. Er lebt in Südkalifornien.

Dieser Essay erschien zuerst auf Nautil.us und wurde ins Deutsche übertragen von Jakob Schmidt.

 

Pluto, schön dich zu sehen: „Sehen Sie sich dieses wunderschön zusammengestellte 16-Sekunden-Video davon an, wie die New Horizons am Pluto vorbeifliegt, und machen Sie sich dabei bewusst, dass Ihre Zivilisation etwas derartig Kompetentes vollbracht hat“, schreibt David Brin.
Falcon 9 legt eine saubere Landung hin: Im Dezember haben SpaceX in Cape Canaveral eine weiche Landung mit ihrer Rakete Falcon 9 durchgeführt. Es ist das erste Mal, dass eine Starttriebwerksrakete erfolgreich zur Erde zurückgekehrt ist.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.