31. August 2016 5 Likes

Der lange Marsch ins All

Science-Fiction aus China macht zusehends international auf sich aufmerksam

Lesezeit: 3 min.

2015 gewann der chinesische Autor Cixin Liu für The Three-Body Problem den Hugo Award in der Kategorie Bester Roman. Dieses Jahr durfte seine Landsmännin Jingfang Hao die renommierte Trophäe in der Kategorie Beste Kurzgeschichte mit nach Peking nehmen, das sie in ihrer Story Folding Beijing alle 24 Stunden faltet und gegen ein anderes Peking austauscht. Spätestens jetzt dämmert uns im Westen, dass sich im Reich der Mitte in Sachen SF einiges zu tun scheint. Aber was? China hat der Science-Fiction-Fan bisher so gar nicht auf der Genre-Landkarte. Das wird sich demnächst ändern, wenn Die drei Sonnen (im Shop), so der deutsche Titel von The Three-Body Problem, auch hierzulande erscheint.

Als ersten chinesischen Science-Fiction-Roman führt Wikipedia ein unvollendetes Werk mit dem Titel Mondkolonie aus dem Jahr 1904 an, verfasst von einem unbekannten Autor mit dem klangvollen Pseudonym „Alter Fischer vom Einsamen Fluss“ (荒江釣叟, wer’s genau wissen will). Seit 1903 wurden die Romane von Jules Verne und H. G. Wells ins Chinesische übersetzt und erfreuten sich durchaus großer Beliebtheit. China war fasziniert von der Technologie des Westens, von der es hoffte, dass sie dem Land dringend benötigten Fortschritt und Wohlstand schenkte und es aus der Kolonialherrschaft befreite – Tendenzen, die man in der SF-Story des Verne-Übersetzers und gescheiterten Hundert-Tage-Reformisten Liang Qichao mit dem Titel Eine Chronik der Zukunft des Neuen Chinas überdeutlich ablesen kann. Die Begeisterung riss auch nach dem Ende der Qing-Dynastie 1911 nicht ab: bis in die Fünfziger- und Sechzigerjahre produzierten chinesische Schriftsteller Science-Fiction-Romane und -Kurzgeschichten. Nach der Gründung der Volksrepublik 1949 änderte sich das zwar nicht, aber der sowjetisch inspirierte sozialistische Realismus war vorherrschend. Interessanter Weise gibt es keine chinesisch-kommunistische Gesellschaftsutopien (etwa wie Jefremows Andromedanebel (im Shop) aus Russland). Die SF wurde in den Fünfziger- und Sechzigerjahren vor allem für Kinder und Jugendliche geschrieben und sollte Interesse an Wissenschaft und Technik wecken, die überwiegend positiv dargestellt wurden. Eine ernsthafte kritische Auseinandersetzung, gar auf einem akademischen Niveau, fand nicht statt. Mit der Kulturrevolution 1966 verschwand die Science-Fiction nahezu komplett von der Bildfläche, weil nur noch publiziert werden durfte, was dem Klassenkampf förderlich war – ein Schicksal, das auch andere Genres traf.

Die chinesische Science-Fiction war also ein Instrument zum Erreichen konkreter Ziele, sei es die Befreiung Chinas von der Kolonialherrschaft oder der Glaube an eine glorreiche Zukunft unter der roten Sonne. In den Achtzigerjahren, nach Deng Xiaopings Reformen, gelangte die westliche Science-Fiction wieder nach China. Allerdings war das Genre nach wie vor mit dem Makel behaftet, keine ernstzunehmende Literatur zu sein. Das änderte sich erst langsam. Die kleine, aber aktive Fan- und Autorengemeinde erlebte in den Neunzigern eine Art Renaissance ihres Genres, das sich sozusagen in zwei Strömungen aufgespalten hatte: Die einen stellten eher die „Fiction“ in den Mittelpunkt und vermischten Realität mit Fantastischem. Die anderen konzentrierten sich auf die „Science“ und schrieben Hard SF. Dieser sehr erfolgreichen Strömung gehört auch Cixin Liu an, der in China bereits neun Mal mit dem Yinhe-Award (Galaxy Award) und einmal mit dem Xingyun (Nebula) ausgezeichnet wurde, ehe er den Hugo bekam. Aber selbst dieser so erfolgreiche Autor war überrascht, wie populär Die drei Sonnen wurde. In China, wo die Science-Fiction so lange marginalisiert worden war, diskutierten plötzlich Leute in Internetforen über Die drei Sonnen und die Nachfolgebände, die zuvor noch nie etwas mit SF am Hut gehabt hatten.

Ende des Jahres erscheint Die drei Sonnen auf Deutsch, und ich hoffe, dass das erst der Anfang sein wird. Science-Fiction sei Weltliteratur, so Cixin Liu in einem Interview, weil sie sich mit Themen befasst, die die gesamte Menschheit betreffen. Deswegen wolle er, dass seine Romane gelesen werden, weil sie Science-Fiction seien, und nicht, weil es chinesische Science-Fiction ist. Ich muss zugeben, dass chinesische Science-Fiction bisher gar nicht auf meinem Genre-Radar aufgetaucht ist. Die Bilder, die Cixin Liu in seinem Roman evoziert, erscheinen mir einerseits so fremdartig, als hätte Valentine Michael Smith diesen Roman geschrieben, und andererseits auch wieder so genuin chinesisch, dass es schon fast klischeehaft ist. Vor allem aber sind sie eines: genial, innovativ und alles andere als das, was wir seit Jahrzehnten aus den USA gewohnt sind. Ich freue mich auf viel, viel mehr SF aus China, die hoffentlich ihren Weg nach Deutschland finden wird – ob mit Hugo oder ohne.

Cixin Liu: Die drei Sonnen • Roman • Aus dem Chinesischen von Martina Hasse • Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 • Paperback • ca. 450 Seiten • € 14,99 • ab 12.12. in unserem Shop

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