23. Mai 2017 3 Likes

Von Junktown nach Punktown

Über die düsteren SF-Städte von Matthias Oden & Jeffrey Thomas

Lesezeit: 4 min.

Der Berliner Journalist und Werbefachmann Matthias Oden (im Shop), der für die „Financial Times Deutschland“ arbeitete, die Redaktionsleitung des Lifestyle-Magazins „Business Punk“ innehatte und als stellvertretender Chefredakteur der Fachzeitschrift „Werben & Verkaufen“ fungierte, lebt heute in München. Sein Romandebüt „Junktown“, das seit Anfang Mai bei Heyne vorliegt, hat der mit dem Hans-Strothoff- und dem Deutschen Journalistenpreis ausgezeichnete Oden im titelgebenden Junktown angesiedelt, einer fiktiven faschistischen Stadt der Zukunft.

Der Nachwuchs zur Wiederbesiedelung des Stadtstaats, in dem Konsum alles ist und Abstinenz Hochverrat bedeutet, wird hier in riesigen, empfindungsfähigen Brutmutter-Fabrikanlagen gezüchtet, während Menschen und Maschinen einander in jeder erdenklichen Hinsicht lieben und sogar heiraten dürfen. Außerdem achtet die alles kontrollierende und überwachende Partei streng darauf, dass jeder mit genug Drogen vollgepumpt ist – und damit sind nicht etwa Alkohol und Nikotin gemeint, sondern der richtig harte Stoff um Heroin – und dass nach der erfolgreichen Konsumrevolution jeder seine Solls in Sachen Kaufen und Müllen erfüllt. Wer in seinem Leben nicht genügend Abfall produziert, lässt ihn sich lieber gegen Bares herankarren und in den Vorgarten kippen, um guten Willen zu zeigen und nicht den Argwohn der denunzierenden Nachbarn zu wecken. In dieser bizarren Umgebung muss der in die Jahre gekommene Inspektor Solomon Cain von der Geheimen Maschinenpolizei, der als Held der Revolution gefeiert wurde, seine Frau an einen gefeierten Goldenen Schuss verloren hat und aufgrund seiner angewachsenen System-Skepsis inzwischen selbst ins Visier des Staatapparats gerückt ist, die Ermordung einer Brutmutter aufklären. Es dauert nicht lange, und Cain kommt einer leichenproduzierenden Verschwörung auf die Spur …


Matthias Oden (Foto © Sarah El-Wassimy)

Der Plot des Hardboiled-Krimis aus Junktown folgt im Geiste also irgendwo dem Klassiker „Vaterland“ von Robert Harris (im Shop). Wichtiger ist freilich, dass Matthias Oden mit seiner schmutzigen, zugedröhnten urbanen und sozialen Vision den traditionsreichen Cyberpunk-Trips und, noch mehr, dem dystopischen Rausch der gegenwärtigen Science-Fiction-Szene einige interessante Ideen abgewinnt. Eine stadtplanerische Rohfassung seines Molochs des Verbrauchs und der psychoaktiven Substanzen fand sich bereits in Odens Weird-Fiction-Kurzgeschichtensammlung „Metamorph“, die 2010 im Atlantis-Verlag erschien und worin der Protagonist Emo-Boy durch das damalige Proto-Junktown wanderte. Das hat Odens aktuellen SF-Roman natürlich massiv inspiriert und gespeist. In der Danksagung zur Romanmutation „Junktown“, die im Paperback mit Klappenbroschur und im E-Book erhältlich ist, erwähnt Oden als Einfluss indes noch den New-Journalism-Gott Hunter S. Thompson („Angst und Schrecken in Las Vegas“), den Musiker Roger McGuinn (speziell seinen Song „Mr. Tambourine Man“), und vor allem den legendären Punktown-Kosmos des amerikanischen Horror-, Weird- und Science-Fiction-Autors Jeffrey Thomas. Ein guter Anlass, um einen kurzen Abstecher von Junktown nach Punktown zu machen …

 


Jeffrey Thomas (Foto © Jade Thomas)

Jeffrey Thomas wurde 1957 geboren und ist ein emsiger Autor von Kurzgeschichten und Romanen. Hierzulande kennt man seine allesamt bei Festa herausgekommenen Bücher „Tagebuch aus der Hölle“, „Der Untergang der Hölle“ und „Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos“. Die bekannteste Schöpfung des Amerikaners ist allerdings zweifellos die futuristische Stadt Punktown, die schon im Laufe der 80er-Jahre in ersten Fanzine-Storys aus Thomas’ Feder auftauchte. Eigentlich heißt Punktown Paxton und liegt auf dem Planeten Oasis, der von den Menschen kolonialisiert wurde. In der düsteren, grotesken Megalopolis der Zukunft leben zudem massig Aliens, Mutanten, Klone, Roboter, Geister und andere. Entsprechend chaotisch und mörderisch geht es in Punktown zu, da am laufenden Band fremde Kulturen, Parameter, Bedürfnisse, Gelüste und Geisteshaltungen aufeinanderprallen, von den üblichen Irren und Psychopathen, die jedes Volk hervorbringt, ganz zu schweigen.

Für seine außergewöhnlichen Punktown-Erzählungen zwischen Science-Fiction und Horror wurde Jeffrey Thomas von Weird-Fiction-Kollegen wie China Míeville (im Shop) und Jeff VanderMeer gelobt und für den Bram Stoker Award sowie den John W. Campbell Award nominiert. Punktown wurde vor einiger Zeit in Form eines Rollenspiels im Umfeld von „Call of Cthulhu“ adaptiert, aktuell entsteht eine via Kickstarter finanzierte Comic-Anthologie. Auf Deutsch erschienen immerhin zwei unterschiedlich zusammengestellte Storysammlungen mit dem Titel „Punktown“. Thomas’ vielseitige, überraschende Erzählungen aus dem außerirdischen Meltingpot besitzen oft beeindruckend melancholische und nachdenkliche Pointen und wurden hierzulande von Lausch als Hörbücher vertont. Dazu kommt der Punktown-Roman „MonstroCity“, der jede Menge Lovecraft in die Cyberpunk-City der Menschen und Aliens – des Horrors und der Science-Fiction – bringt. Diese Übersetzungen kamen vor über zehn Jahren bei Festa, für Ende 2017 ist beim Leipziger Verlag jedoch der nächste Punktown-Roman „Deadstock“ angekündigt, und im Magazin „phantastisch!“ gab es in der Ausgabe 65 zuletzt ebenfalls eine brandneue Punktown-Story zu lesen.

Und Jeffrey Thomas? Der freut sich, dass Punktown einen deutschen Science-Fiction-Roman inspiriert hat! „Das macht mich tatsächlich sehr stolz“, verrät er auf Nachfrage. „Ich wünschte, es gäbe eine englische Übersetzung des Romans zum Lesen. Vielleicht eines Tages! Der Inhalt klingt nach einer faszinierenden Satire unserer Welt (so, wie auch Punktown funktioniert). Zu wissen, dass meine Punktown-Geschichten für Matthias Oden als Inspiration dienten, ist höchst erfreulich, und dass meine Vorstellungskraft dabei geholfen hat, einen Autorenbruder auf der anderen Seite der Welt zu stimulieren, verdeutlicht, wie Fiction uns als Leser berührt und uns als Menschen verbindet.“

Matthias Oden: Junktown • Heyne, München 2017 • 400 Seiten • E-Book: € 9,99 (im Shop)

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