29. Mai 2014 1 Likes 1

Wir sind der Homo ultimus

Der Mensch der Zukunft in Dmitry Glukhovskys „Futu.re“

Lesezeit: 3 min.

Bei der Wahl vergangenen Sonntag ging es um nichts Geringeres als die Zukunft Europas – und die ist alles andere als gewiss. Dmitry Glukhovskys macht sich in seinem nach dem METRO-2033-Universum lange erwarteten neuen Roman „Futu.re“ ebenfalls Gedanken über dieses Thema – und kommt dabei zu höchst ambivalenten und eher unbequemen Aussichten:

Dmitry Glukhovsky: Futu.reEuropa. Eine enorme Gigapolis, die den halben Kontinent unter sich begraben hat. Erde wie Himmel hat sie rücksichtslos in Besitz genommen. Vor langer Zeit bauten die Menschen einen Turm, der bis zu den Wolken reichen sollte; Gott bestrafte sie für ihren Hochmut, indem er Zwietracht unter ihnen säte und sie verschiedene Sprachen sprechen ließ. Ihr großartiges himmelhohes Bauwerk wurde zerstört. Zufrieden grinsend steckte sich Gott eine Zigarette an. Die Menschen ließen damals vom Himmel ab – aber nicht für lange. Im Handumdrehen hatten sie Gott in eine Ecke gedrängt und schließlich ganz ausquartiert. Heute steht Europa voller babylonischer Türme, aber der Grund dafür ist nicht menschlicher Hochmut; es gibt einfach nicht genug Platz zum Leben.

Auch die Lust an einem Wettstreit mit Gott ist den Menschen längst vergangen, denn die Zeit, als er der Einzige war, ist vorbei. Heute ist er nur noch einer von 120 Milliarden – sofern er in Europa gemeldet ist. Daneben gibt es ja nach Panamerika, Indochina, Japan mit seinen Kolonien, die Latinos und schließlich Afrika: insgesamt eine knappe Billion Menschen. Die Erde ist einfach zu eng geworden, der Platz reicht nicht für Betriebe und Agrofabriken, Büros und Arenen, Badehäuser und Naturpark-Imitate. Wir sind zu viele, deswegen haben wir ihn höflich gebeten, ein wenig beiseitezurücken. Wir brauchen dem Himmel dringender als er.

Europa sieht aus wie ein fantastischer Regenwald: Die Türme gleichen Baumstämmen, viele haben einen Umfang von mehr als einem Kilometer, sind mehrere Kilometer hoch und behängt mit Transportschläuchen, die sich wie Lianen von einem zum anderen spannen. Diese Türme erheben sich über dem Rheintal genauso wie über den Tälern der Loire, sind in Portugal und in Tschechien emporgewachsen. Was früher einmal Barcelona, Marseille, Hamburg, Krakau und Mailand war, ist jetzt ein einziges Land, eine einzige Stadt, eine Welt in sich. Ein jahrhundertealter Traum ist in Erfüllung gegangen: Europa ist endlich wirklich eins – und wer will, durchquert es zur Gänze über Transportschläuche und -tunnel auf der Höhe des hundertsten Stockwerks.

[…] denn nur solche Bauten sind des neuen Menschen würdig, der seinen eigenen Körper aufzubrechen vermochte und damit das Todesurteil annullierte, das der bärtige Naturalist ihm in die DANN eingeschrieben hatte. Diesem neuen Menschen gelang es, sich selbst umzuprogrammieren. Einst ein eher schlecht haltbares Spielzeug seines Schöpfers, hat er heute ewige Jugend erlangt, kennt keinen körperlichen Verfall, ist endlich frei, vollkommen.

Er hat aufgehört Geschöpf zu sein und ist stattdessen selbst zum Schöpfer geworden.

Dmitry Glukhovsky: Futu.re •Roman • Aus dem Russischen von David Drevs • Wilhelm Heyne Verlag, München, 2014 • 925 Seiten • € 13,99 (im Shop)

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

Selbst ein unverbesserlicher Optimist wie ich, wird neugierig auf dieses Buch.
Es tröstet mich, dass der Planet das Wirken auch des homo ultimus überleben wird.
"Über Leben" heißt das Stichwort. Ob der Mensch damit gemeint ist, bezweifle ich.
Aber es stört mich nicht. (Keine Sorge, ich gehe trotzdem sorgfältig mit unserer Welt um!)
Vielleicht findet die nächste, einst entstehende Intelligenz heraus, wie Leben zum Überleben, sprich länger leben, wird.
In ein paar Milliarden Jahren wird es sich zeigen.
Für heute freut es mich, dass es Science Fiction gibt.

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