11. Februar 2015 5 Likes

Science-Fiction und Berlinale

Filmfestivals und Genre: Warum geht das nicht?

Lesezeit: 4 min.

Nicht nur in Deutschland, aber hier besonders auffällig, wird der Filmbetrieb von einer Trennung in U und E geprägt: Ist ein Film unterhaltsam, eine leichte Komödie oder – noch schlimmer – aus dem Bereich von Horror oder Science-Fiction, wird ihm fast automatisch jedwede Substanz abgesprochen. Beschäftigt sich ein Film dagegen mit „wichtigen“ Themen, wird er unabhängig von der Qualität ernster genommen.

Besonders eklatant ist diese Dialektik bei den großen Filmfestivals, bei denen man Genre-Filme praktisch vergeblich sucht. In der Hochphase des asiatischen Genrefilm-Booms gab es gelegentlich mal einen Gangsterfilm oder ein Schwertkampfabenteuer zu sehen, aber auch diese Zeit ist lange vorbei. Und vor mehr oder weniger deutlicher Science-Fiction schreckt ohnehin jeder Kurator zurück, der um seinen Ruf besorgt ist. Eine geradezu groteske Ignoranz, erzählt doch etwa ein auf den ersten Blick straighter Alien-Invasions-Film wie Steven Spielbergs „War of the Worlds“ ungleich mehr über die Stimmung und die Ängste im Post-9/11-Amerika als die allermeisten Dramen, die sich auf meist rührselige Weise dem Thema annahmen.


Unter elektrischen Wolken

So verwundert es auch nicht, dass man auf der gerade laufenden Berlinale Science-Fiction-Filme an einer Hand abzählen kann. Einen der wenigen hat es erstaunlicherweise sogar in den Wettbewerb verschlagen, den russischen Film „Pod Electricheskimi Oblakami“, auf Deutsch in etwa „Unter elektrischen Wolken“ von Alexey German Jr.. Raumschiffe, futuristische Welten und Mutanten darf man hier allerdings nicht erwarten, statt dessen entwirft German Jr. eine dystopische Welt, die kaum von der unseren zu unterscheiden ist. An realen Schauplätzen in Russland wurde gedreht, in verfallenen Fabriken, heruntergekommen Wohnvierteln, kargen Landschaften, in denen eine Welt evoziert wird, deren kultureller und wirtschaftlicher Zerfall noch weiter vorangeschritten ist als in der Gegenwart. In sieben lose verbundenen Geschichten entfaltet German Jr. ein Panoptikum an Gestaltern, Gewinnern und Verlierern der Krise, reichen, jungen Menschen, die ihr Geld verprassen, Intellektuelle, die den Verlust von Moral beklagen und kaum verhehlen können, dass sie von der gegenwärtigen Situation in Russland reden. Vermutlich nicht zuletzt um der Zensur oder schlimmeren Repressalien zu entgehen verlegte German Jr. die Handlung seines Films in die nahe Zukunft, ein oft angewandter Trick, mit dem man Zensoren offenbar immer noch verwirren kann.

Unmengen an Science-Fiction-Stoffen und andere Genreware kann man jedoch auf dem Filmmarkt entdecken, der nicht nur geographisch etwas Abseits vom Festivalgeschehen am Potsdamer Platz entfernt liegt: Geht es dort um die mehr oder weniger hehre Kunst, so geht es hier einzig ums Geschäft. Wie auf einem Basar bieten Filmhändler aus aller Welt ihre Ware feil, manchmal fertige Filme, manchmal nur Projekte und buhlen um die zahlreichen Einkäufer. Läuft man über diesen Markt, ist man verblüfft, welche Unmenge an Filmen weltweit produziert wird, von denen man nie etwas zu hören bekommt, die mit Sicherheit nicht ins Kino kommen und im besten Fall auf dem Heimvideo Markt ausgewertet werden. Meist sicher auch zu Recht. Denn neben einer potentiellen Perle wie Mamoru „Ghost in the Shell“ Oshiis Patlabor-Fortsetzung „The Next Generation“ finden sich Allerweltsfilme mit Allerweltstiteln wie „R2-9 Resistance will be Erased“, der dem Poster folgend wohl eine Art Robocop-Version werden wird, oder „Iron Girl-Ultimate Weapon“, der halbnackte Asiatinnen mit Cyborg-Elementen verknüpft (ja, es gibt Uninteressanteres …). Besonders umtriebig ist wenig überraschend die Trashschmiede Asylum, die für die nächsten Monate Perlen mit selbsterklärenden Titeln wie „Alien Wave“, „Planet of the Sharks“ oder „Little Dead Rotting Hood“ anbietet.


Atom Heart Mother

Zurück beim „richtigen“ Festival geht die Suche nach Science-Fiction weiter. Fündig wird man in der Nebensektion Forum, wo der iranische Regisseur Ali Ahmadzadeh in „Atom Heart Mother“ einen ähnlichen Ansatz verfolgt wie German Jr.. Gedreht im zeitgenössischen Teheran werden zwei junge Frauen auf dem Heimweg von einer Party begleitet, auf dem ihnen zunehmend merkwürdige Gestalten begegnen. Was als ausgelassenes Porträt der jungen Generation begann, wird zunehmend zum surrealen Trip, der sich am Ende gar in Lynchsche Dimensionen aufschwingt. Nach einer Panne hilft ihnen ein merkwürdiger Mann aus der Patsche, der sich ihnen zunehmend aufdrängt, sie mit ihren Träumen vom Leben im Iran und dem Leben im Exil konfrontiert, ihnen Möglichkeiten der Flucht suggeriert, am Ende aber vielleicht der Satan ist. Futuristisch ist hier äußerlich noch weniger als in „Unter elektrischen Träumen“, das dystopische Element wird allein durch die Dialoge in den Film getragen, was „Atom Heart Mother“ nicht nur zu einer eindrucksvollen Allegorie über das Leben im Iran macht, sondern auch zum Paradebeispiel für die Möglichkeiten des Genrekinos.

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