8. Mai 2016 3 Likes

„Ich schreibe gern über makelbehaftete Menschen“

Die Zeitagentin: Interview mit Bestseller-Autorin Kim Harrison

Lesezeit: 6 min.

Mit den Bestseller-Romanen ihrer „Rachel Morgan“-Serie leistete die amerikanische Autorin Kim Harrison einen wichtigen Beitrag zum Boom der Urban Fantasy. Nach über einem Dutzend Bücher mit der Hexe, in deren Welt Vampire, Kobolde, Werwölfe und Pixies zum modernen Alltag gehören, wendet sich Ms. Harrison nun der Science-Fiction zu. Ihre neue Heldin heißt Peri Reed, ist eine Geheimagentin, agiert im Jahre 2030 – und kann eine knappe Minute in der Zeit zurückreisen und die Realität umschreiben, was sie jedoch mit dem Verlust länger zurückliegender Erinnerungen bezahlt. Bei Heyne sind gerade die Erzählung „Zeitspiel“ als E-Book (im Shop) und der erste Roman „Die Zeitagentin – Ein Fall für Peri Reed“ als Paperback mit Klappenbroschur und als E-Book (im Shop) auf Deutsch erschienen. Im Interview spricht Kim Harrison über ihre lebenslange SF-Begeisterung, den kommerziell problematischen Genre-Wechsel, Fans mit Tunnelblick und die multimediale Perspektive der Zeitagentin.

Ihre Fantasy-Romane um Rachel Morgan waren internationale Bestseller und auch hier in Deutschland ausgesprochen erfolgreich. Wieso wechselten sie jetzt ins Science-Fiction-Genre?

Science-Fiction ist das, was ich selbst gerne im TV oder im Kino sehe. Ich bin mit der Lektüre von Science-Fiction aufgewachsen. Als Kind waren meine Buchregale voll von Asimov, Andre Norton, Arthur C. Clarke, Robert Heinlein und Philip K. Dick, um nur ein paar zu nennen. Mein Dad und ich haben zusammen Raumschiff Enterprise geschaut (die originale, grießige halbstündige TV-Serie), und ich liebte die schwarzweiße Twilight Zone. Dazu kam ein High-School-Freund, der mich in den späten 70ern zu öffentlichen Vorträgen an der University of Michigan mitnahm, in denen es um Neuigkeiten in Bezug auf das Weltall ging. Ich kann voller Überzeugung sagen, dass ich meinen Science-Fiction-Background ehrlich erworben habe und eine eingefleischte SF-Anhängerin bin, die sich beim Kochen echte Wissenschaftssendungen aus dem Grund ansieht, weil sie ihr gefallen. Noch heute bleibe ich beim Zappen an Alien oder einem der ersten Terminator-Filme hängen. Und allem mit Matt Damon oder Tom Cruise – nicht, weil ich die Schauspieler so sehr mag, sondern viel mehr, weil ich die Art Filme kenne, die sie machen, und sie gut zu meinem Filmgeschmack passen. Müsste ich mich festlegen, würde ich sagen, „Die Zeitagentin“ ist eine Mischung aus den „Bourne“-Filmen und „Minority Report“.

Hatten Sie trotz Ihrer persönlichen Neigung und Überzeugung Sorge, dass der Genre-Wechsel bei Ihrem Verlag und Ihren Lesern nicht gut ankommen könnte?

Unglücklicherweise hat mir meine Vorliebe für SF keinen Gefallen getan, wenn es um meine amerikanischen Verlage geht, die mich lieber für romantische Leser vermarkten würden. Mir fällt es schwer, zu protestieren, immerhin gibt es eine Menge Leser romantischer Stoffe, die wirklich mögen, was ich schreibe, und tatsächlich waren diese Leser außerordentlich gut zu mir. Ich dachte wirklich, dass ich diese beiden Genres zusammenbringen könnte. Mein Agent war bereit, mir beim Sprung zu helfen, und ich nutzte die Chance und suchte mir einen neuen US-Verlag, da ich wusste, dass der Impuls meines alten amerikanischen Verlags sein würde, mich meiner traditionellen Zielgruppe anzubieten, anstatt mir eine neue zu suchen. Doch in den Staaten den Verlag zu wechseln, hat sich nicht so ausgezahlt wie erhofft, denn es passierte dann doch genau das, was ich befürchtet hatte. Ich hatte auch Sorge, dass einige meiner Leser sich dem Wechsel verweigern würden, hoffte jedoch, dass eine neue Leserschaft die Lücke füllen würde. Es ist schwierig, zu versuchen, dich als Autor zu strecken und nach Mehr zu streben, wenn vom Verlag bis zu den Lesern jeder erwartet, dass du immerzu dasselbe Material beackerst, das sie unterhalten beziehungsweise ihnen Profit beschert hat. 

Denken Sie, die Fans von Rachel Morgan geben Peri Reed keine faire Chance?

Trotz diverser Crossover-Novellen, die dabei helfen sollen, Peri meiner Rachel-Leserschaft vorzustellen, erweisen sich meine amerikanischen Leser bisher als nicht allzu abenteuerlustig, was ihre Lesegewohnheiten angeht, sieht man einmal von einer beherzten, loyalen Gruppe ab. Ehrlich gesagt verblüfft es mich, dass so viele Leser, die Rachel liebten, mir nicht vertrauen, ihnen eine Story zu geben, die sie genießen. Ich habe das Gefühl, dass manche Leser zögern, ein Kim Harrison-Buch ohne Rachel in die Hand zu nehmen, weil sie Angst haben, dass sie es nicht genauso mögen werden. Ich sehe das Körnchen Wahrheit darin. Peri ist natürlich nicht Rachel in einem etwas moderneren Setting. Sie ist eine eigene Figur mit eigenen Problemen. Nicht jeder wird sie mögen. Es schmerzt allerdings, wenn treue Leser annehmen, dass es ohne Rachel gleich gar nichts gibt, dass sie unterhalten wird.

Wie empfanden Sie selbst beim Schreiben die Umstellung von Fantasy auf Science-Fiction – und von Rachel auf Peri?

Der Reiz an den Rachel Morgan-Bücher bestand für mich zum Teil darin, dass ich über Fantasy-Charaktere in einem moderneren Setting schreiben konnte. Über erstaunliche Leute schreiben, die erstaunliche Dinge in einer Zukunft tun, die uns nur ein Stückchen voraus ist, war ein einfacher Schritt. Ich schreibe gern über makelbehaftete Menschen, die aus ihren Möglichkeiten das Maximum herausholen, um ihr Happy End zu finden. Das fällt mir leicht. Bei der Entwicklung von Peri achtete ich darauf, ihre Motivationen und Hürden anders als die von Rachel zu gestalten. Der Rest ergab sich von selbst. Es half, dass Rachel nicht meine erste weibliche Hauptfigur war, lediglich die erfolgreichste. Vorher gab es Alyssa, Madison und Tess, und jetzt Peri und Gracy. Außerdem sind viele meiner Nebenfiguren für mich so interessant wie meine Protagonisten.

Wie viel Spaß machte es, das Setting fünfzehn Jahre in der Zukunft mit technischen Gadgets zu füllen, und inwieweit haben Sie dafür recherchiert?

Das hat eine Menge Spaß gemacht, aber es kann tricky sein, da ich mich nicht auf Materie-Transporter, Raumfahrt oder große Veränderungen im Lifestyle stützen kann, um das futuristische Setting festzulegen. Ich bin auf kleine, identifizierbare Dinge angewiesen, von denen der Leser glaubt, dass sie nur um die nächste Ecke warten. Dinge wie eine stärkere Nutzung von Drohnen oder die Gesetze, die damit einhergehen. Neue Wege, Geld auszugeben, neue Laster, die uns plagen, schnellerer Zugang zum Internet und vielleicht Gefahren, an die wir noch nicht gedacht haben. Ich habe ein bisschen nachgeforscht, welche neuen Technologien womöglich kurz davorstehen, in Produktion zu gehen, habe mich jedoch vor allem auf meine Vorstellungskraft verlassen, um alles auszugestalten und real werden zu lassen. Es ist sogar ein Problem, dass ich manchmal von aktueller Technologie etwas neues ableite, und eine Woche später finde ich heraus, dass es bereits hergestellt wird.

Beim Lesen der Rachel-Bücher dachte ich oft, dass man aus ihr die nächste Buffy im TV machen müsste. Jetzt gibt es neben HBO und Co. auch noch Streaming-Anbieter, und SF ist überall angesagt. Hatten Sie das im Hinterkopf, als Sie Peris Abenteuer konzipierten?

Hatte ich. Ursprünglich schrieb ich Peris Geschichte so, dass sie sich für einen Spielfilm genauso wie für eine TV-Serie mit einstündigen Folgen eignen würde. Ich stattete Peri mit einem starken Willen aus, und zugleich legte ich sie realistisch und äußerst feminin an. Die Novelle „Zeitspiel“ schrieb ich als möglichen Piloten. Die Rechte wurden gekauft, doch wenn man es nicht selbst pusht, passiert nichts. Leider tue ich mir schwer damit, jemandem meine Arbeit aufzudrängen, weshalb die Geschichten von Peri und Rachel auf diesem Gebiet vermutlich stagnieren, während andere, die aggressiver sind, vorankommen.

Wann waren Sie das letzte Mal in einer Situation, in der Sie gerne die Fähigkeit gehabt hätten, eine Minute in der Zeit zurückzugehen und alles umzuschreiben?

Letzte Woche öffnete ich eine Schranktür, und ein Glas fiel auf meinen Fliesenboden und verteilte Scherben auf meinem Schreibtisch und in meinem gesamten Arbeitszimmer. Das hätte ich gerne umgeschrieben. Im Augenblick begeistert mich noch mehr die Möglichkeit, einen ‚langen’ Zeitsprung zu machen, um etwas zu verändern, das mehrere Monate oder Jahre zurückliegt. Also werde ich Peri natürlich ebenfalls über diese Möglichkeit nachdenken lassen. Doch abgesehen von den Hinweisen, die ich in „Zeitspiel“ gebe, müsst ihr bis zum dritten Buch warten, um etwas davon zu sehen (lächelt).

Wir sind gespannt. Danke für das Gespräch!

Autorenfoto: Myra Klarman

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