27. Mai 2016 1 Likes

Ich wäre der schlechteste Astronaut aller Zeiten

„Tracer“: Ein Interview mit dem südafrikanischen Autor und Journalisten Rob Boffard

Lesezeit: 5 min.

In seinem Debütroman „Tracer“ (im Shop) erzählt der Wissenschaftsjournalist Rob Boffard die Geschichte der letzten Menschen des Universums, die auf einer rostigen alten Raumstation namens Außenerde leben (wir berichteten). Das ist an sich schon eine wenig behagliche  Vorstellung, doch als dann auch noch ein Mörder auf Außenerde sein Unwesen treibt, wird es für die Bewohner der Raumstation extrem ungemütlich – und für den Leser extrem spannend. Im Interview spricht Rob Boffard über seine Faszination für den Weltraum, die Tücken des Schreibens und darüber, warum er selbst ein eher schlechter Astronaut wäre.

 

Was hat Sie zu „Tracer“ inspiriert?

Ich war schon immer vom Weltraum besessen und von der Vorstellung, wie es wohl wäre, da oben zu leben. Eines Tages dachte ich darüber nach, was wohl passieren würde, wenn sehr viele Menschen in einer riesigen, autarken Raumstation leben. Solche Ideen gab es in der Science-Fiction natürlich schon vorher, aber was, wenn die Menschen schon seit mehreren Jahrhunderten dort oben leben - ohne Kontakt nach außen? Es würde Chaos herrschen. Die Raumstation wäre stark reparaturbedürftig, vieles wäre verrostet und fiele auseinander. Die Gesellschaftsordnung wäre bestenfalls wacklig. Öffentliche Verkehrsmittel existierten wahrscheinlich nicht, also gäbe es Kuriere, die Pakete und Nachrichten von einem Ort zum andern brächten. Über die Kuriere dachte ich immer länger nach und bekam sie schließlich nicht mehr aus dem Kopf. Sie müssten schnell und intelligent sein, und gute Kämpfer – vor allem weil sie von Zeit zu Zeit brisante Pakete transportieren müssten. Was für Leute wären das? Wie sähe ihre Geschichte aus? Von diesem Punkt aus war es nur noch ein kleiner Schritt, ihre Geschichte  aufzuschreiben. Auf den Namen Tracer kam ich aber erst später. Ein traceur ist eigentlich jemand, der Parkour (eine Art Hindernislauf im urbanen Umfeld, Anm. d. Red.) läuft, doch ich habe das Wort für meine eigenen Zwecke abgewandelt, weil ich finde, dass es sehr gut zu meiner Hauptfigur Riley und ihrem Team passt.

 

Was war die größte Herausforderung, der Sie sich beim Schreiben des Romans stellen mussten?

„Tracer“ hat eine sehr komplexe Handlung. Alle Erzählstränge im Kopf zu behalten und dafür zu sorgen, dass es keine Widersprüche und Löcher in der Handlung gibt, war eine enorme Aufgabe. Ich hatte ja keine Ahnung, wie man einen Roman schreibt – vor „Tracer“ war das Längste, was ich je geschrieben hatte, eine Story für ein Magazin. Ich wusste nichts über Handlungsaufbau, Figurenentwicklung und all die Tricks und Kniffe, die Möchtegern-Romanautoren kennen sollte. Ich bin einfach ins kalte Wasser gesprungen und hatte nicht mehr als eine sehr vage Vorstellung von der Geschichte, an der ich mich orientierte.

 

Wie viel haben Sie für „Tracer“ recherchiert?

Eine ganze Menge. Ich bin Journalist und deshalb sehr akkurat, was die Hintergrundrecherche angeht. „Tracer“ sollte in der realen Welt spielen, also war es für mich sehr wichtig, dass die wissenschaftlichen Details stimmen. Ich mag Gravitationskanonen und Dimensionsportale und Aliens und Laser, aber all das hatte im Universum von „Tracer“ keinen Platz. Meine wichtigste Quelle war der Raketeningenieur Dr. Barnaby Osborne, der mich zu einem Besuch in seinem Labor an der Kingston University einlud, wo ich ihm viele Fragen stellen durfte. Er ist der eigentliche Architekt von Außenerde.  Außerdem sprach ich mit vielen anderen Wissenschaftlern: Experten für Kernfusion, Entomologen und Spezialisten für orbitale Physik. Sie alle halfen mir, meine Welt zu bauen.

 

Welche Ihrer Figuren hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?

Es gibt ja das Klischee, dass Bösewichte viel interessanter sind. Dem kann ich nur zustimmen. Oren Darnell hat mir unglaublichen Spaß gemacht. Ich habe sogar etwas Angst vor ihm, weil Menschen für ihn völlig wertlos sind. Um herauszufinden, warum er so denkt, musste ich einige wunderbar dunkle Orte aufsuchen. Und wo wir gerade über Bösewichte sprechen: Die einzige Figur, die ich noch mehr fürchte als Darnell, ist Janice Okwembu. Darnell ist wie eine Atombombe, während Okwembu wie ein chirurgisch präzises Skalpell ist.

 

Gute Autoren sind meist auch leidenschaftliche Leser. Haben Sie einen Lieblings-Science-Fiction-Roman?

Diese Frage zu beantworten ist so, als müsste man sein Lieblingskind auswählen. Aber ich denke, es ist einer der Klassiker: „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley, weil es der erste Roman war, der mir einen gehörigen Schrecken einjagte – und zwar nicht, weil es eine Horror- oder Abenteuerstory wäre, sondern weil der Roman uns vor Augen führt, wie unsere Zukunft aussehen könnte. Ich bin in Südafrika geboren und aufgewachsen – ich weiß also sehr gut, wie sehr die Politik unser Alltagsleben beeinflussen kann und wie schrecklich ungerecht ein Klassensystem ist. Aber ich liebe den Roman. Er ist brillant.

 

Was machen Sie, wenn Sie gerade keine Romane schreiben?

Als Autor arbeitet man hauptsächlich im Sitzen, also versuche ich so viel Snowboard zu fahren wie möglich. Bis jetzt habe ich dabei auch noch niemanden verletzt außer mich selbst. Obwohl ich in Südafrika lebe und sie in den letzten Jahren nicht besonders erfolgreich waren, bin ich ein eingefleischter Fan des Basketballteams Chicago Bulls. Außerdem bin ich ein großer Hip-Hop-Fan und habe viel Zeit damit verbracht, nach obskurer Musik aus aller Welt zu suchen, um sie dann in meinem Podcast 20/20 zu spielen.

 

Noch eine Frage zum Abschluss: Zu Beginn des Interviews sagten Sie, Sie seien vom Weltraum besessen. Was würden Sie tun, wenn Sie die Gelegenheit hätten, sechs Monate auf der internationalen Raumstation ISS zu verbringen?

Ich wäre wahrscheinlich der schlechteste Astronaut aller Zeiten, weil ich nur aus dem Fenster sehen, Bilder machen und den Ausblick genießen würde. Vermutlich müsste ich im Auftrag der NASA Experimente durchführen, aber das wäre mir egal – ich würde nur auf der Raumstation abhängen und staunen. Ich vermute, dass ich auch dem Rest der Crew gehörig auf die Nerven gehen würde, weil ich ständig Weltraumspaziergänge machen würde. Kurz gesagt: der schlechteste Astronaut aller Zeiten eben.

 

Rob Boffard: „Tracer“ ∙ Roman ∙ Aus dem Englischen von Bernhard Kempen ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2016 ∙ 512 Seiten ∙ Preis des E-Books € 11,99 (im Shop)

 

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