15. Dezember 2017 1 Likes

Der Biograf von George Lucas

Im Gespräch mit Autor Brian Jay Jones

Lesezeit: 7 min.

Drei Jahre Recherche, über 400 Buchseiten und mehr als 1500 Endnoten mit Quellenangaben: In seiner viel gelobten George Lucas-Biografie, die vor Kurzem bei Edel auf Deutsch erschienen ist, zeichnet Autor Brian Jay Jones den Weg eines hingebungsvollen Märchenonkels der Moderne, eines unternehmerischen Neuerers der Filmbranche und eines visionären Gestalters der Popkultur nach. Dafür tauchte der Amerikaner tief ein in das Leben des Mannes, der die galaktischen Träume mehrerer Generationen geprägt hat. Jones selbst war neun Jahre alt, als der erste Star Wars-Film ins Kino kam – und damit genau die Zielgruppe. Derzeit fungiert Jones, der viele Jahre im Umfeld des US-Senats arbeitete und in Washington sogar einen politischen Think Tank leitete, als Biographer in Residence an der University of Mary Washington. Wenn es ums Schreiben geht, zählt er den Biografen Robert Caro sowie Comic-Gott Alan Moore zu seinen größten Vorbildern. Vor der gelungenen Biografie von George Lucas verfasste Jones, der mit seiner Frau in Virginia lebt, bereits Bücher über die Leben von Washington Irving und Jim Henson. Er ist überzeugt, dass Han zuerst geschossen hat, und spricht im Interview über die Wichtigkeit seriöser Quellen, umgedichtete Geschichte und seinen dramaturgischen Ansatz als Biograf.

 

Hallo Brian. Hast du je einen Menschen getroffen, der Star Wars nicht kannte?

Ich kann mich nicht erinnern, jemanden getroffen zu haben, der nicht weiß, was Star Wars ist, aber ich habe mehrere Menschen getroffen, die den ersten Film nie gesehen haben. Das sind meistens Leute, die in ihren 30ern waren, als er 1977 herauskam, nie in den Zeitgeist hineingesogen wurden und ihn danach nie gesehen haben. Dennoch schleicht sich Star Wars in ihre Referenzen, ob sie es wissen, oder nicht – selbst diese Menschen sagen Dinge wie „Es gibt kein Versuchen“ oder „Möge die Macht mit dir sein“. Star Wars ist wahrlich in uns allen.

Würdest du es als die größte Mythologie unserer Zeit bezeichnen?

Es steht definitiv ganz oben, in guter Gesellschaft mit Der Herr der Ringe, Star Trek und den Universen von DC und Marvel. Das alles sind Mythologien mit einer gigantischen Leinwand, einer enormen Anzahl Figuren und ausufernden Erzählbögen.

Ist George Lucas der größte unserer Mythenschöpfer?

Er ist derjenige, der die Star Wars-Mythologie eigenhändig erschaffen und die Geschichte und die Grundregeln niedergeschrieben hat. Wenn ihn das allein schon nicht zum größten Mythenschöpfer aller Zeiten macht, dann ist er zumindest allemal im Rennen.

Lucasfilm und Disney stehen in dem Ruf, legal ganz schön bissig zu sein. Hat dir das bei der Arbeit an deiner Biografie jemals Sorge bereitet?

Nicht einen Moment, denn ich war mir sicher, alles richtig zu machen, und ihnen keinen Anlass zu geben. Dieses Buch war eine unglaubliche archivarische Tiefenbohrung. Ich habe natürlich Menschen interviewt, doch größtenteils verließ ich mich auf Zeitungen, Magazine, Bücher, DVD-Kommentare, Dokumentationen. Alles ist gründlich recherchiert und sorgfältig mit einer Quelle belegt – in meinem Buch gibt es keine ‚anonymen Quellen’. Dass sowohl Lucasfilm als auch Disney mich nach Erscheinen in Ruhe ließen, bedeutet wohl, dass ich es richtig gemacht habe.

Du hast George Lucas nie getroffen. War das ein Problem?

Dass Lucas nicht involviert war, hat das Buch in meinen Augen wesentlich besser gemacht. Erstens hätte ich mir bei Lucas’ Mitwirken Gedanken machen müssen, ob er über den Inhalt bestimmen will. Das hätte bedeutet, Lucas die editorische Kontrolle zu überlassen, was etwas ist, das er bei keinem seiner Filme wollte – wieso sollte ich das also bei meinem Buch wollen? Zweitens ist es so, dass 40 oder 50 Jahre nach den Ereignissen Erinnerungen verblassen, Details weggelassen werden; außerdem stellen wir uns selbst gern als die Helden unserer eigenen Geschichten dar, reden Fehler fort, spielen Beiträge anderer herunter oder stellen glückliche Zufälle als Absicht hin. Sich so gut wie möglich auf die damaligen Berichte zu verlassen, anstatt auf heutige Rückblicke, macht das Buch viel spannender. Wenn man heute mit Lucas spricht, wird er z. B. erzählen, dass er immer wusste, mit Krieg der Sterne einen gewaltigen Hit zu landen. Doch es ist viel interessanter, ein Interview zu lesen, das Lucas 1976 einem kleinen Magazin gab, als er nicht wusste, was mit seinem Film passieren würde, und er wegen finanzieller Dinge sauer auf Fox war, weil man nicht an ihn glaubte, während er sich selbst Sorgen machte, dass sein Film keinen Cent einbringen mochte. Als Leser wissen wir, dass Lucas einen Riesenerfolg in Händen hielt. Lucas weiß das 2017, aber er weiß es nicht 1976. Es ist viel aufregender, den 1976er-Lucas die Geschichte erzählen zu lassen.

Dialoge und Zitate sind eh ein wichtiger Teil deines Konzepts, oder?

Absolut. Ich finde, großartige Biografien können und sollten sich wie Romane lesen. Selbstverständlich sind es zwei verschiedene Dinge, doch Leser einer Biografie mögen es genauso wie Romanleser, sich auf Charaktere einzulassen, und sie wissen ebenfalls gute Dialoge zu schätzen, die obendrein vermitteln können, was jemand wirklich denkt. Sie mögen es, wenn die Hauptfigur zu ihnen spricht, und hören gerne andere, die hinter ihrem Rücken über diese zentrale Figur sprechen. Ich könnte natürlich einschreiten und erzählen, was passiert, aber dann wird es eher ein Handbuch als eine Biografie. Indem sie ihre Zitate mit Bedacht auswählen, können Biografien ihr Subjekt und dessen Umfeld die Geschichte auf deutlich interessantere und dramatischere Weise erzählen lassen.

Gab es Quellmaterial, das du wie Indiana Jones aufspüren musstest?

Ich wollte unbedingt die Lokalzeitung „The Modesto Bee“ lesen, die Lucas und seine Eltern lasen, als er aufwuchs. Sie online zu finden, war eine Herausforderung, und selbst dann war nicht jede Ausgabe verfügbar, sodass ich mich auf mehrere Bibliothekare in Modesto verlassen musste, die mir Scans mailten. Bibliothekare sind die besten. Ich wollte die Zeitung vor allem deshalb lesen, um eine Geschichte zu prüfen, die Lucas seit Ewigkeiten erzählt. Er sagt immer, dass er nur einen TV-Sender in Modesto empfangen konnte, und alte Film-Serials in einer Sendung namens Adventure Theater sah – Serials wie Flash Gordon, das Star Wars inspirierte, und Don Winslow of the Navy, das Indiana Jones inspirierte. Beim Lesen der „Modesto Bee“ entdeckte ich, dass es tatsächlich fünf TV-Sender gab, und nirgends ein Adventure Theater lief. Ich bin mir sicher, dass Lucas die alten Serials im Fernsehen in Modesto gesehen hat, aber die von ihm gelieferten Details halten keiner Prüfung stand. Stattdessen erschuf Lucas seine eigene Version der Geschichte. Und darum liebe ich es, alte Zeitungen zu lesen!

Ist das Internet dann Fluch oder Segen für einen Biografen?

Der Zugang zu vielen verschiedenen Archiven, die man nicht körperlich besuchen muss, ist ein Segen, obwohl man in vielen Fällen dafür zahlen muss. Du kannst das Netz auch nutzen, um via LinkedIn, Facebook oder sogar Twitter potentielle Quellen aufzustöbern. Der wahre Fluch des Netzes ist der gelegentliche Informations-Overload – und dass du diesen Infos oft nicht trauen kannst. Also musst du immer skeptisch sein gegenüber dem, was du online liest. Verfolge es zu seiner Originalquelle zurück, wenn du kannst. Kannst du das nicht, pass auf – oder noch besser, nutz es nicht.

Welche Erkenntnis in Sachen George Lucas hat dich am meisten überrascht?

Wie waghalsig er mit seinem Geld umging. Er nimmt alles, was er mit American Graffiti eingenommen hat, und pumpt es in Star Wars, womit er sein gesamtes Kapital für ein Projekt aufbraucht, das niemand versteht. Nach dem Erfolg von Krieg der Sterne investiert er alles in Das Imperium schlägt zurück und in den Bau der Skywalker Ranch. Regisseur Irvin Kershner sagt er, dass er alles verliert, wenn Imperium floppt. Kein Druck, was? Und dann, in den späten 90ern, als er die Prequels und die digitale Technologie dafür entwickelt, verschleudert er wieder 100 Millionen Dollar von seinem eigenen Geld! Und dennoch hat er die Unverfrorenheit, Francis Ford Coppola ständig darüber zu belehren, wie leichtsinnig er mit Geld umgeht! Wie Spielberg einmal richtig anmerkte: „George hat eine Bank namens Star Wars. Francis nicht.“

Was war die schlimmste Erfahrung während der Arbeit am Buch?

Um Haaresbreite ein Interview mit Harrison Ford und Steven Spielberg zu bekommen, und dann weigern sich beide im letzten Moment, mit mir zu sprechen, weil „George nicht an Bord ist“. Ich war so nah dran!

Hat das Buch deine Beziehung zu Star Wars verändert?

Es ließ mich noch mehr wertschätzen, wie glücklich wir sein dürfen, es zu haben! Wir vergessen, dass Krieg der Sterne weitgehend ein Independent-Film war. Seine Entwicklung, inklusive der Spezialeffekte, wurde aus George Lucas’ eigener Tasche bezahlt. Doch das Studio hatte wenig Vertrauen, und Lucas musste an allen Ecken und Enden Handlungsstränge, Figuren und Orte einsparen – und der Film wurde sogar besser und besser. Es war wirklich ein Stehaufmännchen von einem Film, und er hatte Erfolg wegen Lucas’ Entschlossenheit, so viel wie möglich von seiner Arbeit zu kontrollieren, und so viel wie möglich von seiner Vorstellung auf die Leinwand zu bringen. Dass es so ein Erfolg wurde, ist ein Zeugnis seiner Hartnäckigkeit und seiner absoluten Hingabe an seine kreative Vision.

Wenn du Lucas treffen und ihm nach all deiner Beschäftigung mit seinem Leben eine Frage stellen könntest – welche wäre das?

„Bist du glücklich?“ Und damit meine ich: „Bist du zufrieden mit deinem Platz im Universum?“ Sein gesamtes Leben lang hat Lucas gegen Das System gewettert, für kreative Unabhängigkeit gekämpft, und jetzt, mit 72, hat er das Spiel nach seinen eigenen Regeln gewonnen, die Firma verkauft und sich mit seiner Frau und seiner Tochter zur Ruhe gesetzt. Er hat Milliarden Menschen so viel Freude mit seiner Arbeit bereitet, da verdient er es, glücklich und zufrieden zu sein. Ich hoffe, er ist es.

Brian Jay Jones: George Lucas – Die Biografie • Edel, Hamburg 2017 • 480 Seiten • Hardcover: 24,95 Euro

Autorenfotos: © Karen Pearlman Photography

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