30. November 2015 2 Likes

Lichtschwerter zu Pflugscharen

Wie die Photonenmolekültechnik unsere Welt an den Abgrund brachte

Lesezeit: 6 min.

Einst hatte es geheißen, die Lichtschwerter aus den Star Wars-Filmen seien pure Fantasie und aus physikalischen Gründen niemals realisierbar. Heute jedoch stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer Zivilisation, in der diese Waffen praktisch in jedem Haushalt zu finden sind.

Wie das Goomazon ePaper vom 6. Oktober 2043 berichtet, rufen die Vereinten Nationen daher mit sofortiger Wirkung eine globale Rückholaktion für Lichtschwerter aus. Durchgesetzt wird diese Bestimmung mit Hilfe staatlicher und internationaler Militärtruppen. Es ist zu erwarten, dass zahlreiche private und kommerzielle Besitzer ihre Waffen nicht freiwillig abgeben, also wird unter Umständen Gebrauch von elektromagnetischen Impulsbomben gemacht werden. Die Bevölkerung muss mit längeren Stromausfällen rechnen und sollte Grundnahrungsmittel und Trinkwasservorräte anlegen.

In der Ruine unseres Wohnzimmers fragen meine Familie und ich uns, wie es nur so weit gekommen ist. Wie konnte aus einer fiktiven Drehbuchidee, die zwar pseudotechnische Bauanleitungen präsentierte, aber von jedem ernsthaften Wissenschaftler belächelt wurde, in so kurzer Zeit eine derartige Bedrohung werden?

Ich erinnere mich, wie zu Anfang des Jahrhunderts namhafte Physiker wie Michio Kaku oder Harald Lesch zu Recht auf all die physikalischen Unmöglichkeiten hingewiesen hatten, die mit dem Bau eines Lichtschwerts einher gingen. Es beginnt schon damit, dass dieses aus keinem Lichtstrahl bestehen könne, denn ein solcher wäre unendlich lang und würde nicht einfach nach einem Meter enden. Das Licht müsste also irgendwie gestoppt werden, etwa durch einen Spiegel. Aber wie sollte dieser am Ende der Klinge in der Luft schweben? Auch dass man sich mit solchen Waffen duellieren könne, sei Blödsinn, denn wenn zwei Lichtstrahlen aufeinander träfen, geschähe genau gar nichts: Da Licht beliebig verdichtet werden kann, würden zwei Strahlen, wenn man sie miteinander kreuzt, danach genau so weiter leuchten wie davor; sie passieren sich, ohne sich abzulenken oder anderweitig zu beeinflussen.

Selbst mit einem Laser – also einer Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Photonen – wäre es nicht möglich, die „Klingen zu kreuzen“ oder etwas durchzuschneiden. Denn Laser (die übrigens im Gegensatz zu farbigen Lichtschwertern völlig durchsichtig sind) können Materie zwar aufschweißen oder aufkochen, aber nicht in saubere Streifen schneiden. Und schließlich würde das ganze Drehbuchkonzept schon daran scheitern, dass ein Lichtschwert über enorm viel Energie verfügen müsste: Nach Einsteins berühmter Formel E = mc2 müsste der Lichtstrahl so heiß sein, dass er Antimaterie erzeugt, um Materie zu verdampfen. Hierfür wäre die Röhre des Lichtschwerts jedoch 10 Milliarden Grad Celsius heiß; die dabei entstehende Gammastrahlung könnte der Schwertbesitzer nur mit dicken Bleiplatten davon abhalten, ihn selbst zu verbrennen. Natürlich konnte man solche Temperaturen schon damals erreichen; die deutsche Gesellschaft für Schwerionenforschung etwa benutzte dazu jedoch vier Hallen voller Kondensatoren – sie wurden täglich mit mehreren Megawatt aufgeladen, um genug Energie für einen einzigen kurzen Energiestrahl zu erreichen, mit dem Materie verdampft werden konnte.

Etwas später kam in der Fangemeinde der Filmreihe die Idee auf, dass die Klinge ja nicht aus einem Laser, sondern aus Plasma bestehen könnte, also einem Gas, dessen Bestandteile teilweise oder ganz in Ionen und Elektronen unterteilt sind und das daher sehr energiereich ist. Zusammengehalten könne ein derartiges Gas – im Gegensatz zu Licht – von einem ringförmigen Magnetfeld werden, erzeugt von einem im Haltegriff montierten Elektromagneten. Allerdings brauchte, wie Versuche zeigten, auch eine solche Klinge immer noch eine Temperatur von rund 200 Millionen Grad Celsius. Der notwendige Generator würde also inklusive Kühlsystem und Magnetspulen ebenfalls ein ganzes Gebäude beanspruchen. Und selbst wenn eine Verkleinerung funktionierte, würden sich auch zwei Plasmaklingen nicht abstoßen, sondern höchstens zu einem stärkeren Strahl vereinen; da man, wenn man ein solches Ding ungeschützt in der Hand hielte, binnen Sekunden verdampfte, bekäme man davon aber gar nichts mehr mit. Es sah also ganz danach aus, als bliebe diese Star Wars-Waffe für immer bloßes Wunschdenken, auch wenn Spielehersteller und Laserpointer-Produzenten durchaus beeindruckende Surrogate wie etwa den Laser Saber auf den Markt brachten.

2013 jedoch publizierte ein Wissenschaftlerteam unter Leitung von Mikhail Lukin von der Harvard University und Vladan Vuletic vom Massachusetts Institute of Technology einen Fachartikel mit dem Titel „Attractive photons in a quantum nonlinear medium“ und berichtete von einer kleinen physikalischen Sensation: Im Laborexperiment waren Photonen – also masselose Lichtteilchen – zum ersten Mal dazu gebracht worden, eine Art Molekül zu bilden. Die Forscher hatten ein Medium erzeugt, in dem die Lichtteilchen miteinander so stark wechselwirken, dass sie sich plötzlich verhielten, als würden sie Masse besitzen. Hierzu pumpte man Rubidium-Atome in eine Vakuumkammer und kühlte die Atomwolke mit Hilfe von Lasern bis auf wenige Grad über dem absoluten Nullpunkt ab. Dann schossen die Wissenschaftler mit einem weiteren Laser einzelne Photonen hinein, diese regten mit ihrer Energie einzelne Atome am Weg an und wurden dabei etwas abgebremst. Wann immer allerdings hierbei zwei Photonen gleichzeitig in die Kammer gefeuert wurden, verließen diese die Wolke nicht mehr als getrennte Teilchen, sondern als verbundene Einheit – die sich wie ein Molekül verhielt. Denn durch die Wechselwirkung mit den Atomen in der Kammer begannen sich die beiden Photonen gegenseitig zu schieben und zu ziehen – ganz untypisch für Lichtteilchen. Daraus könnte man, wie die Physiker feststellten, eine Technologie entwickeln, in der die Lichtteilchen wie ein Atomstrahl gelenkt und nach beliebiger Strecke gestoppt würden. Zwar dachten sie dabei eher an so etwas wie Kristalle, die ganz aus Licht bestehen und die man beispielsweise für neuartige optische Computer einsetzen könnte – doch sie hatten nicht mit der High-Tech- und Spiele-Industrie gerechnet.

Die hatte nämlich bis Ende der 2020er Jahre mit immer neuen Spielkonsolen, VR-Games und Online-Angeboten so viel Geld gescheffelt, dass sie mittlerweile Entwicklungslabors betrieb, in denen Physik-Nobelpreisträger mit riesigen Technikerteams arbeiten konnten. Und die schafften es nach und nach, Antimaterie nicht nur zu erzeugen, sondern auch auf kleinstem Raum stabil zu speichern und als fast unerschöpfliche Energiequelle zu nutzen. Als die finanzierenden Firmen die Wahl hatten, diese technische Revolution für a) umweltfreundliche Stromversorgung, b) neuartige Verkehrsmittel, c) Raumfahrt oder d) coole Spiele zu nutzen, entschieden sie sich nach einer kurzen Cost-Profit-Analyse für d).

Und so wurde der staunenden Weltöffentlichkeit vor fünf Jahren das allererste „Original Star Wars Lichtschwert“ präsentiert. Ein Handgriff aus synthetischer Keramik umhüllte eine Nanoblei-Kammer, in der eine winzige Menge Antimaterie als Energiequelle per Knopfdruck einen elektrisch geladenen Photonenmolekül-Strahl erzeugte. Dieser wurde nach Austritt von einem stufenweise einstellbaren Magnetfeld nach entsprechender Länge abgebremst, wodurch sich die typische Lichtsäule ergab. Die im Strahlweg wechselwirkenden Luftmoleküle konnten durch die dabei auftretende Ionisierung (ganz ähnlich wie bei einem Nordlicht) sogar schaltbar ihre Farbe ändern: rot für Bösewichte, blau für Helden.

Was dann geschah, lässt sich wohl mit den Worten „globale Kaufhysterie“ am treffendsten beschreiben. Jeder – ich meine: JEDER – wollte so ein Ding haben. In der Folge sank der anfangs horrende Kaufpreis auf ein lächerlich tiefes Niveau. Was dazu führte, dass bald nicht nur das Militär und private Sicherheitsfirmen über diese äußerst effiziente Waffe verfügten, sondern auch Unternehmen und Haushalte auf der ganzen Welt. Mit absehbaren Folgen: Genau am ersten Jahrestag der Produktvorstellung kam es an einer US-Schule zum ersten Massaker, ausgeführt von zwei minderjährigen „Jedi-Kämpfern“. Arabische Terroristen enthaupteten ihre Geiseln nun mit Photonenmolekülstrahlen. Straßenbanden in Europa und Asien lieferten sich wahre Lichtmassaker. Und irgendwann begannen sich ganze Wohnblocks zu bekämpfen. Da man mit auffrisierten Lichtschwertern mittlerweile nicht nur Haut und Knochen, sondern auch Stahl und Beton durchschneiden kann, steht auch unser Haus nicht mehr zur Gänze und wir blicken aus dem Wohnzimmer direkt auf die glatt abgesäbelten Baumstümpfe unseres Gartens. So gesehen passt es ganz gut, dass die Regierung sämtliche konfiszierten Lichtschwerter in landwirtschaftliche Geräte umfunktionieren will, denn es wird für uns alle einiges zu tun geben.

Wenn um zwölf Uhr mittags die Sirenen heulen und den ersten EMP-Impuls der Armee ankündigen, legen wir also unsere zwei Lichtschwerter (ja, natürlich hatte auch ich meinen Kindern welche gekauft!) brav und mit ausreichend Sicherheitsabstand vor die Haustür. Dann geht wie erwartet der Strom aus und im Ersterben des Autolärms hören wir von weit her das Knallen altertümlicher Handfeuerwaffen.

„Was ist das?“, fragen die Kinder.

„Harmloseres Spielzeug“, antworte ich.

 

Uwe Neuhold ist Autor und bildender Künstler, der sich insbesondere mit naturwissenschaftlichen Themen befasst. Alle Kolumnen von Uwe Neuhold finden Sie hier.

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