7. September 2015 4 Likes 2

Alles wird gut – oder auch nicht

Ein Bericht vom Ausflug in eine merkwürdige Parallelgesellschaft

Lesezeit: 5 min.

Wissen Sie schon, dass die Zukunft längst feststeht?

Gut, wenn Sie esoterische Neigungen haben, dann wissen Sie das natürlich. Aber für die eher weltlich-materialistisch orientierten Zeitgenossen (zu denen ich mich meistens zähle) dürfte es eine Neuigkeit sein. Und es ist nicht die einzige Neuigkeit: Denn die Zukunft steht nicht nur fest – sie wird auch ganz wunderbar.

Diese Neuigkeiten ereilten mich, als ich im Frühjahr für ein Buch recherchierte. „Es ist dein Planet“, das ich gemeinsam mit Martina Vogl geschrieben habe, befasst sich, vornehmlich an Jugendliche adressiert, mit der globalen ökologischen Misere; und da ich nicht von Hause aus Umweltexperte bin, habe ich zur Vorbereitung natürlich erst einmal die aktuelle Literatur gesichtet. Und ich habe jede Menge außeruniversitäre Vorträge zum Thema besucht, denn um sich über den Stand einer gesellschaftlichen Debatte zu informieren, gibt es kaum etwas Besseres als „Erwachsenenbildung“: Volkshochschulabende, öffentliche Diskussionsrunden, Veranstaltungen von Parteien und Verbänden. Meine Heimatstadt München hat in dieser Hinsicht einiges zu bieten, und so machte ich intensiv davon Gebrauch.

Womöglich zu intensiv, denn nach einigen dieser Veranstaltungen bemerkte ich ein wiederkehrendes Muster: So rational und stimmig die Ausführungen des jeweiligen Referenten gewesen sein mochten, kaum waren sie zu Ende und die Zuhörer eingeladen, Fragen zu stellen, stand ein Mann auf, ging ans Mikrofon und füllte den Raum mit allerlei Quatsch – dass wir „Tausende von Fusionsreaktoren bauen“ oder „Nanopartikel ins Meer streuen“ oder „gigantische Kohlendioxidfilter errichten“ müssen, um „die Sache mit der Umwelt in den Griff zu kriegen“, denn „letztlich ist das alles eine Frage der Effizienz“. Und so weiter. Es war natürlich nicht immer derselbe Mann, aber es war immer derselbe Typ: mittleres Alter, gutbürgerliche Erscheinung, naturwissenschaftlich gebildet, meinungsstark und sendungsbewusst. Was darauf hindeutete, dass, als hätte es die Diskussion darum, ob wir die Technik nicht mit quasi-religiösen Erwartungen überfrachten, nie gegeben, genau diese Erwartungen in einem bestimmten Milieu weiterhin fröhliche Urständ feiern. Schön, dachte ich, auch das ist ja etwas, was in einem Buch über die globale Misere eine Rolle spielen könnte.

Mit der Zeit allerdings wurden die Wortspenden der grünen Daniel Düsentriebe am Ende der Vorträge ein wenig enervierend, denn keiner von ihnen ließ es sich nehmen, seine „Lösung“ in allen obskuren Details auszubreiten – als an einem Abend etwas Außerordentliches geschah. Nach dem Vortrag eines Ernährungsexperten über die verschiedenen Möglichkeiten, die zehn Milliarden Menschen, die bald auf dem Planeten leben werden, angemessen mit Nahrung zu versorgen, stand wieder einmal der erwähnte Typus auf und ging ans Mikrofon. Doch diesmal legte er sich nicht für eine bestimmte Technik ins Zeug, nein, er sagte kurz und knapp: Macht euch nicht so viel Gedanken, Leute. Die Menschen haben doch immer zur richtigen Zeit das Richtige erfunden und ihre Probleme gemeistert, und das werden sie auch jetzt tun. Es wird alles gut. Lasst es einfach nur laufen.

Für einen Moment herrschte so etwas wie eine heitere Stille. Wo der Mann Recht hat, hat er Recht, dachten wir. Trotz aller Kriege, Krisen und Katastrophen hat es die Menschheit immer wieder geschafft, ist es immer irgendwie weitergegangen – ja, ist es sogar immer besser geworden. Wozu also dieses ganze Räsonieren und Debattieren? Wozu die ganzen Bücher und Vorträge? Lasst es doch einfach laufen! Wir hielten uns an den Händen und sangen gemeinsam Halleluja … Okay, natürlich haben wir uns nicht an den Händen gehalten und gesungen, aber trotzdem konnte ich manch anderem Zuhörer ansehen, dass der Gedanke für ihn etwas Beglückendes hatte: Etliche Jahrzehnte mühsamster „Zukunftsbewältigung“, die heute bleischwer auf unseren Schultern lasten, würden so auf einen Schlag obsolet. Wir brauchen, so das Argument, die Zukunft gar nicht bewältigen – sie kommt schon von selbst.

Vermutlich werden Sie mir zustimmen, dass dieses Argument in der jetzigen Situation ziemlich unsinnig ist. Denn wenn man etwas über die globale Misere des frühen 21. Jahrhunderts sicher sagen kann, dann dass es das Allerdümmste wäre, nichts zu tun. Nichtstun hieße, dass sich diejenigen, die mit ihren Geschäften die Misere angerichtet haben, in keinerlei Weise motiviert fühlen, mit ebendiesen Geschäften aufzuhören – und wenn sie nicht bald damit aufhören, dann werden wir wohl recht schnell den Punkt erreichen, an dem man gar nichts mehr tun kann. Denkt man allerdings etwas genauer über das Argument nach, wird klar, dass der Unsinn einen ausgeprägten Sinn hat, dass hinter diesem Argument eine beinharte Logik steckt, nämlich die exegetische Zuspitzung jener Logik, die sich auch hinter den Fusionsreaktoren, Nanopartikeln und Kohlendioxidfiltern verbirgt: Alles wird gut – für uns. Denn besagte Geschäfte haben uns nicht nur in die Misere geführt, sie haben uns auch auf ein Niveau katapultiert, das es uns überhaupt erst ermöglicht, daran zu glauben, dass alles besser wird. Die expansive Industriegesellschaft hat auf diese Weise ihre eigene Wirklichkeit erzeugt: eine Art Hula-Hoop-Ökonomie, die zwingend davon ausgehen muss, dass wir zur richtigen Zeit schon das Richtige erfinden, damit sich der Reifen nicht zu drehen aufhört. Und sie hat sich ein soziokulturelles Milieu geschaffen, in dem jedes Problem zwingend ein technisches Problem und jede Lösung zwingend eine technische Lösung ist; denn der Reifen muss sich weiterdrehen, nur darum geht es, das ist in Wahrheit das einzige Problem. Dieses Milieu – diese Männer mit ihrer Bildung und ihren Meinungen und ihrem Sendungsbewusstsein –, wird den Teufel tun, um die Voraussetzungen, von denen es zehrt, zu sabotieren: Selbstverständlich wird alles gut, denn das System wurde ja dazu erschaffen, damit alles gut wird.

Für uns. Hier.

Hätte man einige der Flüchtlinge, die Tag für Tag in München eintreffen, gebeten, sich an der Diskussion zu beteiligen und von den Gründen ihrer Flucht, die sich keineswegs immer nur auf Krieg und Terror reduzieren lassen, zu erzählen, wäre die Stimmung an diesem Abend wohl nicht ganz so heiter gewesen. Aber andererseits hätte es den Erkenntnisgewinn geschmälert. Denn seit diesem Abend weiß ich, dass es tatsächlich gesellschaftliche Parallelwelten gibt: in sich geschlossene und sich unablässig in ihrer selbsterzeugten Realität bestärkende Subkulturen. Man findet solche Subkulturen häufig am Rande einer Gesellschaft.

Doch man findet sie auch in ihrer konstituierenden Mitte.
 

Sascha Mamczaks Buch „Die Zukunft - Eine Einführung“ ist im Shop erhältlich.

Kommentare

Bild des Benutzers Shrike

Grade mal ein Jahr her, da erschien "Die Zukunft – Eine Einführung" und nach dieser sehr interessanten und empfehlenswerten Lektüre kam ich in etwa zu den gleichen Schlüssen, wie obiger Artikel. Ohne dass ich es so gut hätte in Worte fassen können, gingen mir eben diese Gedanken durch den Kopf.
Wir Menschen haben nur wirklich schon viel Mist gebaut. Brauche ich esoterische Neigungen, um zu wissen, dass die Zukunft schon feststeht? Man kann es auch Gottvertrauen oder positives Denken nennen und vermutlich ist es auch noch alles, was dazwischen liegt.

Natürlich wäre Nichtstun verkehrt. Nach diesem Artikel besinne ich mich noch mehr auf das „selber etwas tun“ – und möglichst nicht nur einmal.
Das Vertrauen auf die klugen Köpfe, denen noch rechtzeitig die richtigen Schritte einfallen und vor allem das Vertrauen, dass man dann auch auf diese Ideen hören wird, lasse ich mir nicht nehmen. Und bis dahin mache ich damit weiter, vertrauensvoll und positiv zu denken und menschlich zu sein.
Vielleicht macht ja noch jemand mit.
Danke für den Artikel.

Bild des Benutzers Horusauge

Danke Sascha für diesen Artikel.
Und Shrike: du bist nicht allein, Menschlichkeit sollte wieder mehr ins Bewusstsein gerückt werden, da fängt man am Besten bei sich an und hofft darauf, etwas Positives in der nächsten Umgebung zu hinterlassen.

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