20. November 2017 3 Likes

Klein und groß

Was bedeutet es eigentlich, auf einem Planeten zu leben?

Lesezeit: 6 min.

Dwight D. Eisenhower hat einmal gesagt: „Wenn du ein Problem hast, das sich nicht lösen lässt, vergrößere es.“ Also gut: Es ist hoffnungslos verkehrt, wenn der Billigsupermarkt um die Ecke Plastiktüten mit der Aufschrift „Save the Planet“ anbietet. Aber natürlich ist das nur eine Petitesse, das eigentliche Problem lässt sich mühelos vergrößern und geht dann so: Wir wissen, dass wir auf einem Planeten leben, doch das heißt nicht, dass wir es auch begreifen.

Es gibt einige ziemlich gute Argumente dafür, dass dies nicht nur ein sehr großes, sondern das größte Problem von allen ist. Und trotzdem würden sich die meisten von uns fragen, wo hier eigentlich das Problem ist. Von den spektakulären Fotografien der Apollo-Missionen über Stewart Brands „Whole Earth Catalog“ und Carl Sagans „Pale Blue Dot“ bis hin zur Standardikonografie internationaler Umwelt- und Klimakonferenzen wie der, die gerade in Bonn zu Ende gegangen ist: Das Bild des so schön wie verwundbar in der Schwärze des Weltraums schwebenden Planeten, den wir „Erde“ nennen (wobei Arthur C. Clarke einmal richtigerweise angemerkt hat, dass er eigentlich „Ozean“ heißen sollte), hat sich tief in das kollektive Bewusstsein eingeprägt. Ja, ist sich nicht jedes Kind darüber im Klaren, dass wir auf einem begrenzten, sich stetig verändernden, kugelförmigen Objekt leben?

Gegenfrage: Waren Sie sich heute schon darüber im Klaren, dass Sie auf einem kugelförmigen Objekt leben? Dass sich der Boden unter Ihren Füßen krümmt und Sie, in welche Richtung Sie auch gehen, irgendwann wieder dort ankommen würden, von wo Sie losgegangen sind? Dass wir gerade Winter haben, weil die Neigung der Erdachse nicht senkrecht zur Ekliptikebene ist? Dass Sie mit über tausend Stundenkilometern um diese Erdachse rotieren und mit über hunderttausend Stundenkilometern um die Sonne kreisen? Dass es schneller gehen würde, die schützende Atmosphäre der Erde zu verlassen als die Münchner Innenstadt, und dass nur wenige Kilometer unter Ihnen ein Inferno toben könnte? Nun, ich vermute, dass dies alles in Ihrem Alltag keine allzu große Rolle spielt, und warum sollte es auch? Sie sind viel zu sehr mit Ihrem Leben beschäftigt (ich übrigens auch). Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, in einer Welt zu leben und nicht auf einem Planeten.

Das ist nämlich nicht dasselbe, ja, es gibt da einen fundamentalen Unterschied: Wir Menschen können in ganz vielen unterschiedlichen Welten leben, aber nur auf einem Planeten. Ganz sicher lebt etwa das Andenvolk der Quechua, das „Mutter Erde“ regelmäßig Rauch- und Trinkopfer darbringt, in einer anderen Welt als ich, und ich habe das Gefühl, mein Nachbar, der in einem Jeep durch die Stadt fährt, lebt ebenfalls in einer anderen Welt als ich – zumindest müssten sich alle Beteiligten reichlich Mühe geben, um diese jeweiligen Welten einander anzunähern (falls das überhaupt möglich ist). Aber wir alle haben gemeinsam, dass wir auf einem Planeten beheimatet sind, der durch ganz spezifische Eigenschaften definiert ist: der eine bestimmte Größe hat, der eine bestimmte Menge an Biomasse trägt, der sich auf eine bestimmte Weise entwickelt hat und weiter entwickelt. Sollte also, wie man so sagt, jeder Mensch sein eigenes kleines Universum sein, so sind alle Menschen doch durch den Umstand miteinander verbunden, dass sie hier sind und nicht woanders.

Genau darauf will uns ja die Standardikonografie der Umwelt- und Klimakonferenzen hinweisen – dass man, wenn man auf einem Planeten beheimatet ist, einige Politikfelder nur zusammen bearbeiten kann: als planetare Gemeinschaft, als „Menschheit“. Ein notwendiger Hinweis, denn bekanntermaßen gibt es im politischen Sinn keine planetare Gemeinschaft, kein demokratisches Weltparlament, das die Angelegenheiten der ganzen Erdkugel verhandelt (außer, wie unlängst in Berlin, als performerisches Ereignis). Was es gibt, ist eine Ansammlung von etwa zweihundert Nationalstaaten, die ihre größeren und kleineren Claims auf dem Planeten abgesteckt haben und sich mit transnationalen Vereinbarungen oder gar Institutionen denkbar schwer tun. Diese Nationalstaaten sehen sich nun aber vor die Aufgabe gestellt, den Planeten – als Ganzes – vor einer Katastrophe zu bewahren, die ihre weitgehend unkoordinierten ökonomischen Aktivitäten verursacht haben.

Das ist etwas völlig Neues. Und es erwischt „die Menschheit“ auf dem falschen Fuß. Denn was bisher (sagen wir, in den letzten dreitausend Jahren, ganz sicher aber in den letzten dreihundert Jahren) geschah, war dezidiert gegen den Planeten gerichtet. Nicht nur, dass sämtliche Weltreligionen, darunter die christliche mit der fatalen Botschaft, sich die Erde „untertan zu machen“, aus einer Zeit stammen, in der man die Vorstellung, die Menschenheimat könnte ein kugelförmiges Objekt sein, als völlig gaga bezeichnet hätte, auch die von uns etablierten rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Regime haben praktisch nichts mit den planetaren Gegebenheiten zu tun; ja, man kann sogar einen Planeten „globalisieren“, ohne ihm gerecht zu werden.

Was also bisher geschah: Wir haben aus dem Planeten eine Welt beziehungsweise viele Welten gemacht und ihn dabei so ausgebeutet, dass er nun – wie der Überraschungsgast auf einer Party, die schon viel zu lange dauert – als politisches, womöglich sogar revolutionäres Subjekt vor der Tür steht. Wie geht man damit um? Schon Stewart Brand hatte damals den Begriff „Treuhandschaft“ in die Diskussion eingebracht, und spätestens mit dem von Paul Crutzen eher beiläufig ausgerufenen „Anthropozän“ hat sich eine Sichtweise etabliert, die der Menschheit die moralische Verantwortung auferlegt, für das Wohl des Planeten zu sorgen. So beginnen Fernsehdokumentationen gerne mal mit den Worten „Unser Planet schreit um Hilfe“, gibt der französische Präsident die Parole „Make the Planet great again!“ aus, hat der Supermarkt um die Ecke Plastiktüten mit der Aufschrift „Save the Planet“ im Angebot.

Und das alles klingt ja auch wunderbar, wer will da schon widersprechen? Aber damit wird ein Identifikationsobjekt auserkoren, das die in Unmittelbarkeiten und Nahbeziehungen denkenden Bewohner dieses Objekts nicht nur heillos überfordert, sondern im Kern auch völlig unpolitisch ist. Denn nicht „die Menschheit“ beutet den Planeten aus, sondern ein ganz bestimmter Teil der Menschheit, der in einer ganz bestimmten „Welt“ lebt. Nicht „die Zivilisation“ hat uns in das aktuelle Schlamassel geführt, sondern eine ganz spezifische Variante von Zivilisation. Je intensiver aber an politische Nicht-Entitäten wie „den Planeten“ oder „die Weltgemeinschaft“ appelliert wird, desto diffuser wird die politische Diskussion und desto mehr kommen unpolitische Vorschläge auf den Tisch, die auf fatale Weise einer anthropozänen Logik folgen: Warum nicht einfach die Stratosphäre mit Schwefel düngen, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren? Warum nicht einfach gigantische Plantagen anpflanzen, um das von uns eingebrachte Kohlendioxid wieder aus der Luft zu holen? Warum nicht einfach GROSS denken?

Genau diese Debatte nimmt gerade an Fahrt auf, und womöglich wäre das ja auch ganz im Sinne von Leuten wie Dwight D. Eisenhower: großes Problem – große Lösung. Nur mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass diese „Lösung“ ein globales Hochrisikounternehmen mit völlig ungewissem Ausgang wäre. Ist das der Weg, den „die Menschheit“ gehen wird? Diese Frage ist, siehe oben, nicht zu beantworten; sie muss lauten: Ist das der Weg, den Sie gehen werden? Oder: Ist das der Weg, den Sie gehen wollen? Und wenn nicht, welche Lösung gibt es eigentlich sonst noch?

Es gibt sie, ich muss sie hier nicht wiederholen, Sie haben sie bestimmt schon tausend Mal gehört, und tausend Mal ist Ihnen in Ihrem Alltag irgendetwas dazwischengekommen, tausend kleine Probleme, die Ihnen unlösbar scheinen, weil sie ein unverrückbarer Bestandteil der „Welt“ sind, in der Sie leben. Na schön, dann machen wir jetzt eben mal einen ganz großen Schritt, hin zu einer denkbar simplen Erkenntnis – dass auf einem Planeten zu leben bedeutet: auf einem Planeten zu leben. Das klingt naiv oder vielleicht auch pathetisch, aber es ist ganz konkret gemeint: Auf einem Planeten existiert kein Außen (jedenfalls keines, das ein Zuhause wäre). Auf einem Planeten kann man auch nichts wegwerfen (wo ist „weg“?). Auf einem Planeten, zumal unseren Typs (ein Planet aus Wind und Wasser und Erde und Biomasse), ist man nicht allein, sondern man bewohnt ihn gemeinsam mit vielen anderen Lebewesen, und kein Lebewesen ist wichtiger als das andere. Auf einem Planeten gibt es nichts zu „retten“ (schließlich ist er über drei Milliarden Jahre lang ohne uns ausgekommen), sondern etwas wertzuschätzen. Auf einem Planeten sind die Dinge klein und groß, begrenzt und endlos zugleich. Auf einem Planeten kommt man immer dort an, von wo man losgegangen ist – aber man ist nicht mehr derselbe, der man war, als man losgegangen ist. Vielleicht denken Sie ja an all das, wenn Sie das nächste Mal zusehen, wie die Sonne am Horizont versinkt.

Es wäre eine große Sache.
 

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