24. April 2015 1 Likes

Der Kitsch-Faktor

Es wird höchste Zeit, die Science-Fiction als ironische Kunst zu entdecken – Eine Kolumne von Adam Roberts

Lesezeit: 6 min.

Manchmal schreibe ich Geschichten, weil mir ein schöner Titel einfällt, dem ich einfach nicht widerstehen kann. Eine dieser Geschichten hieß „Gerusalemme Liberace“. Bitten Sie mich jetzt nicht, dieses Wortspiel zu erklären. Das würde mir das Herz brechen.

Als ich mich hinsetzte, um die Story zu schreiben, beschloss ich, dass sie von einem militärischen Angriff handeln sollte – genau wie es in Tassos ursprünglichem Gedicht um eine Armee geht, die die Invasoren aus Jerusalem vertreiben will. Liberace sollte auch dabei sein, allerdings als Simulacrum: als Android oder Klon. In dieser Zukunft wird Musik als Kriegswaffe und Mittel zur Unterdrückung eingesetzt – wenn man sie hört, wird eines von mehreren „Blits“ im Gehirn erzeugt, das die neuronale Aktivität unterdrückt und den Betroffenen gefügig macht oder lähmt. Die Soldaten, die Jerusalem angreifen, sind ausnahmslos taub … Bei alldem hatte ich die seltene Gelegenheit, eine Menge Kitsch und Camp unterzubringen: zum Beispiel den Triumphzug des Neuen Liberace durch Jerusalem, bei dem er unter dem Jubel der Massen ein mit Straßsteinen besetztes goldenes Klavier spielt. Und ich machte mir gleichzeitig Gedanken, welche Rolle der Kitsch in der Science-Fiction im Allgemeinen spielt. 

Natürlich wurde die Science-Fiction seit ihrem Bestehen größtenteils als genau das abgetan: als Trash und kindische Wegwerfkunst. Diese Auffassung ist nun schon so lang Bestandteil der Kulturgeschichte des Genres, dass sie sozusagen in seine DNA eingeschrieben ist. Die beste gegenwärtige Science-Fiction ist sich ihrer eigenen Lächerlichkeit bewusst – selbst dann, wenn sie das ihr innewohnende Potenzial, was die Erhabenheit der Technologie und den spielerischen Umgang mit der Metaphysik angeht, voll ausschöpft. Eine Science-Fiction, die sich selbst zu ernst nimmt, ist längst nicht so effektiv wie eine, die ihre Kitschigkeit akzeptiert. Hier eine kurze Liste einiger Größen des Genres, die begriffen haben, dass sich Kitsch und großartige Science-Fiction nicht gegenseitig ausschließen müssen: Stanislaw Lem, Douglas Adams, Calvinos „Cosmicomics“, Iain Banks’ „Kultur“-Romane, Joss Whedon, Dr. Who. Sie alle brachten ebenso geistreiche wie wunderbare Science-Fiction hervor; oder, um noch deutlicher zu werden: Science-Fiction, deren Witz erst ihre Wunder ermöglicht.

Ich glaube, dafür gibt es eine tiefere strukturelle Erklärung, und sie hat damit zu tun, dass die Science-Fiction die Welt eher ironisch als mimetisch betrachtet. Die Science-Fiction ist für mich eine ganz und gar spielerische Kunstform (insofern, als sie ihre Spielchen mit unseren Grundannahmen die Realität und die Physik betreffend treibt), und es verblüfft mich, dass so viele SF-Autoren und -Leser ihre Kunst so bierernst nehmen. „Ironie“ umfasst natürlich sehr viel mehr als nur Kitsch; und obwohl der Kitsch seine Wirkung aus seiner ironischen Beziehung zu allem Ernsthaften bezieht, stellt er doch eine spezifische kulturelle Kategorie dar und sollte auch als solche behandelt werden. Die Kulturwissenschaftlerin Celeste Olalquiaga hat die Ursprünge des Kitsch provokanterweise im neunzehnten Jahrhundert verortet, als (wie sie sich ausdrückt) „die Industrialisierung die Natur in ein künstliches Reich im Miniaturformat verwandelte“. Diese Ästhetik ist für Olalquiaga „sowohl erheiternd als auch melancholisch“. Sie geht zwar nicht direkt auf die Science-Fiction ein, aber das Prinzip ist das Gleiche: der Wunsch, den Kosmos zu gestalten, ihn auf ein durchschaubares Arbeitsmodell zu reduzieren (eine Prozedur, die unter SF-Jüngern als „Worldbuilding“ bekannt ist). 

Das deutsche Wort „Kitsch“ wird auch im Englischen häufig gebraucht. Diese Sprache verfügt aber noch über einen anderen Begriff, der sich mit „Kitsch“ semantisch nicht ganz deckt: naff. Die Science-Fiction ist in gewissem Sinne naff. Zumindest scheint der Mainstream den SF-Fan dafür zu halten, man denke nur an den Comicbuchverkäufer aus den Simpsons. Dabei kann naff auch erlösend sein. In „Gerusalemme Liberace“ ging ich sogar so weit, dem Titelhelden Worte aus Susan Sontags gefeiertem Essay „Anmerkungen zu Camp“ (1964) in den Mund zu legen, weil sie – wie eigentlich der ganze Essay – meisterhaft zusammenfassen, worin die Kraft der Science-Fiction liegt: Camp ironisiert sein Quellenmaterial, spielt damit, treibt Witz und Scharfsinn auf die Spitze.

Vermutlich geht es mir hier um eine alternative Kulturgeschichte der jüngeren Science-Fiction. Für viele, die sich eher akademisch mit dem Genre befassen, bildet der mehr oder weniger peinliche SF-Kitsch (angefangen von den Schundheftchen der 1930er, in denen sich insektenäugige Monster auf hilflose Sternenprinzessinnen in knappen futuristischen Kostümen stürzen, über Flash Gordon, Godzilla und den unglaublichen Abenteuern der Comic-Superhelden der 50er und 60er, bis hin zum unglaublichen Erfolg von Star Wars) einen krassen Gegensatz zu der „ernsthaften“ Ausrichtung des Genres. Zu letzterer gehören neben Aldous Huxley und Olaf Stapledon auch die Autoren der „New Wave“ der Sechziger wie etwa J. G. Ballard, Ursula K. Le Guin und Samuel R. Delany sowie der dezidiert ungeschminkte Quasi-Realismus des Cyberpunk und literarische Genreüberschreitungen wie Kazuo Ishiguros „Alles, was wir geben mussten“ oder Cormac McCarthys „Die Straße“. Gegen die Auffassung, dass die zweite Ausrichtung der ersten überlegen ist oder sie auf gewisse Weise überschreibt, muss ich allerdings entschieden protestieren.

„Die Romantik ist veraltet“, behauptete einst Jacques Sternberg, „der Symbolismus hat ausgedient und der Surrealismus war immer nur für eine winzige Elite von Interesse. Aber Kitsch findet man überall. Und in der heutigen, auf exzessiven Konsum ausgelegten Zivilisation ist er stärker und unverwüstlicher denn je.“ Dabei konsumiert nichts so gierig wie die Science-Fiction, die mit erstaunlicher Energie durch alle Konzepte und Konstruktionen pflügt, die der menschliche Geist nur ersinnen kann. Sie erschafft planetengroße Todessterne, die in einem funkensprühenden Feuerwerk explodieren (wie es in der ersten Star Wars-Trilogie gleich zwei Mal geschieht), aber zuvor in der Lage sind, mühelos ganze Welten und sogar Universen zu zerstören. Leider ist hier nicht genug Platz, um Sternbergs Zitat weiter zu diskutieren (zum Beispiel gibt es eine interessante Beziehung zwischen dem „Symbolismus“ und der Methode der Science-Fiction, neue Elemente bereits semantisch aufgeladen einzuführen; die bizarreren SF-Kreationen haben viel mit dem Surrealismus gemeinsam; und einen gewissen romantischen Idealismus scheint das Genre noch immer nicht abgeschüttelt zu haben).

In meiner Geschichte der Science-Fiction, die ich vor längerer Zeit veröffentlichte, stelle ich die Behauptung auf, dass das Genre älter ist, als man gemeinhin annimmt (ich datierte seinen Ursprung in die Reformationszeit, als sich neuartige „Fantastika“, die sich der gerade im Entstehen begriffenen wissenschaftlichen Sprache bedienten, von dem älteren, umfangreicheren Werkkorpus der katholischen „magischen Fantasien“ abspalteten). Des Weiteren war ich der Ansicht, dass die Science-Fiction der Lyrik näher steht als den konventionellen Erzählungen, da sie eine eher metaphorische als metonymische Literatur darstellt. Außerdem behandelte ich so nachhaltige poetische Bilder wie den Knochen aus 2001: Odyssee im Weltraum, der sich im Flug in ein Raumschiff verwandelt, oder den letzten Absatz aus Arthur C. Clarkes Kurzgeschichte „Die neun Milliarden Namen Gottes“. Genauso gut hätte ich Bilder heraussuchen können, die einer Kitsch- oder Camp-Logik folgen, aber einen ähnlich anhaltenden Einfluss ausüben. Spontan fallen mir da die Rakete ein, die im Gesicht des bedauernswerten Mondes in Georges Méliès’ Le Voyage dans la Lune steckt, das elegante Design des Roboters Maria in Fritz Langs Metropolis, Mike Hodges‘ Flash Gordon-Interpretation von 1980 oder das geistreiche Pastiche der Zeichentrickserie Futurama.

Natürlich ist die Science-Fiction nicht nur Kitsch. Dennoch bin ich zunehmend der Ansicht, dass der Kitsch eines ihrer wertvollsten Elemente darstellt. In John Varleys „Der Dämon“ von 1984 (der dritte Teil seiner „Gäa“-Trilogie, ein exzellenter, wenn auch größtenteils vernachlässigter Beitrag zur SF der 1980er) fällt eine mit Bewusstsein ausgestattete, in der Umlaufbahn des Saturn kreisende Weltraumstation dem Wahnsinn anheim und manifestiert sich in sich selbst als ein fünfzehn Meter großer Avatar von Marilyn Monroe. In einem der ersten Kapitel liegt diese Riesin nackt auf einem der Hügel von Gäa und wird von einer Armee aus Zombies und menschlichen Sklaven mit Seifenwasser und Schrubbern saubergewaschen. Dies ist sozusagen die Kehrseite zu der eindeutigen Erhabenheit von Kubricks Knochen/Raumschiff-Sprungschnitt und transportiert etwas, zu dem ihr „seriöses“ Gegenstück nicht in der Lage ist: Diese Szene besitzt dieselbe Dimension und erschreckende Faszination, verfügt aber auch über eine gewisse Gonzo-Energie und Respektlosigkeit, die ihre Wirkung noch verstärken. Größe und Würde sind hier mit einem beinahe unschuldigen, ans Alberne grenzenden Pathos garniert. „Der ganze Sinn des Camp liegt in der Entthronung des Ernstes“, schreibt Susan Sontag. „Camp ist spielerisch, anti-seriös. Genauer gesagt, Camp zeichnet sich durch eine neue, komplexere Beziehung zum ‚Ernsthaften‘ aus.“ Diese Beziehung – sei sie nun ironischer oder metaphorischer Natur – ist ganz genau die Struktur der Science-Fiction. Wie Sontag notiert, kann man sowohl das Frivole ernsthaft als auch das Ernste frivol betrachten. Dass die Science-Fiction eine alberne, halbstarke, übersteigerte und oft absurde Kunstform ist, stellt keinen Makel dar, sondern einen Vorzug.

 

Adam Roberts ist eine der vielversprechendsten Stimmen in der neueren britischen Science Fiction. Geboren 1965, studierte er Englische Literatur in Aberdeen und Cambridge und arbeitet derzeit als Dozent an der University of London.

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