25. April 2016 2 Likes

Fünfzehntausend Jahre Zukunft

Cordwainer Smiths Geschichten über die Instrumentalität der Menschheit erscheinen als E-Books bei Heyne

Lesezeit: 4 min.

„Martel war zornig. Er war so aufgebracht, dass er noch nicht einmal auf die Idee kam, seinen Blutdruck nachzujustieren.“ So beginnt die Story „Scanner leben vergebens“ (im Shop) von einem (damals noch) völlig unbekannten Autor namens Cordwainer Smith, die 1950 in einem kurzlebigen Magazin namens Fantasy Book erschien. Zufällig hatte Frederik Pohl (im Shop) in derselben Ausgabe ebenfalls eine Story veröffentlicht. Beim Durchblättern seines Belegexemplars wurde er auf die „Scanner“ aufmerksam und konnte die Erzählung nicht mehr aus der Hand legen. Sie handelt von dem Scanner Martel, einem Cyborg (auch wenn dieser Begriff nie fällt), der als sogenannter Habermann Raumschiffe durch die Leere zwischen den Sternen leitet. Der „Erste Effekt“ ermöglicht der Menschheit in der Zukunft zwar interstellare Flüge, ist jedoch so schmerzhaft, dass nur Mensch-Maschinen, bei denen die Sinne und Gefühle abgeschaltet wurden, sie ertragen können. Nur für eine gewisse Zeit ist es ihnen möglich, wieder wie ein Mensch zu empfinden, was natürlich die Frage, was das Mensch-sein eigentlich ausmacht, ins Zentrum der Erzählung rückt. Pohl war überzeugt, dass es sich bei Cordwainer Smith um das Pseudonym eines erfahren Kollegen handeln müsse, denn „Scanner“ war viel zu durchdacht, viel zu glatt erzählt für ein Debüt. Außerdem wurde in Halb- und Nebensätzen ein gewaltiges Universum im Hintergrund angedeutet, das unglaublich real wirkt. Wer ist diese „Instrumentalität der Menschheit“, die den Scannern solche Sorgen bereitete? Was um alles in der Welt sind „Manshonyagger“? Oder „Heillose“? Beim Lesen spürt man ihre Bedeutung für Martel, aber eine Erklärung bleibt Cordwainer Smith schuldig.

Pohl sollte erst 1952, als er „Scanner“ für seine Anthologie Beyond the End of Time nachdruckte, erfahren, wer sich wirklich hinter dem Namen Cordwainer Smith verbarg: ein bebrillter Regierungsangestellter namens Paul Linebarger, der „Scanner“ bereits 1945, fünfzehn Jahre, ehe der Begriff „Cyborg“ zum ersten Mal gefallen ist, geschrieben hatte. Pohl verhalf Linebarger zum Durchbruch, indem er dessen Erzählungen aus dem Instrumentalität-Universum im Galaxy-Magazin abdruckte. Die Geschichten erregten die Aufmerksamkeit der Fans, die tonnenweise Leserbriefe schrieben. Doch Pohl gelang es nie, Linebarger dazu zu bewegen, mit seinen Fans Kontakt aufzunehmen. Das lag nicht etwa daran, dass der Politikprofessor, der als Berater in Sachen psychologischer Kriegsführung für die US-Regierung arbeitete (und eines der bis heute maßgeblichen Handbücher zu diesem Thema verfasst hat), die SF-Fans nicht gemocht hätte oder ungesellig gewesen wäre. Es wäre Linebarger nur, erinnert Pohl sich Jahre später in seinen Memoiren, nach einem Treffen mit Fans seiner Non-SF-Romane (Politthriller, die er unter dem Pseudonym Felix C. Forrest verfasst hatte), jahrelang nicht mehr möglich gewesen, auch nur eine Zeile zu Papier zu bringen.

Bis zu Linebargers Tod 1966 im Alter von nur 53 Jahren blieb er mit Fred Pohl befreundet. In diesen 53 Jahren hatte Linebarger jedoch mehr erlebt und gesehen als die meisten anderen Menschen. Seine Kindheit verbrachte der Sohn eines Diplomaten (und angeblich auch Spion) unter anderem in China, Deutschland und Hawaii. Er studierte Internationale Politik, arbeitete für den militärischen Geheimdienst als Asien-Experte und gehörte dem Beraterstab von John F. Kennedy an. Schließlich ließ er sich in den USA nieder und nahm eine Politik-Professur an. Schrieb unter verschiedenen Pseudonymen Kurzgeschichten und Romane. Und war angeblich einer der interessantesten Patienten des Psychotherapeuten Robert Lindner, was im genialen Graphic Novel Das Imperium des Atoms nachgelesen werden kann.

Cordwainer ist ein veralteter englischer Ausdruck für Schuster, Smith bedeutet Schmied – wie ein Handwerker baute Paul Linebarger nach und nach sein Universum der „Instrumentalität der Menschheit“ auf, das fünfzehntausend Jahre in unsere Zukunft blickt. Sein Stil ist oft inspiriert von der klassischen chinesischen Literatur, seine Zukunftsvision durchaus optimistisch, auch wenn die Menschheit nicht immer den geraden Weg aufs Ziel einschlägt, sondern manchmal in dunkle Zeiten abrutscht. Trotzdem findet sie am Ende immer wieder zurück ins Licht, mal alleine, mal mit etwas Hilfe. Die insgesamt siebenunddreißig wunderschönen Erzählungen und Kurzromane, aus denen die Welt der Instrumentaliät besteht, erscheinen am 28.04.2016 als Einzel-E-Books bei Heyne, sind jedoch auch in dem Sammelband Was aus den Menschen wurde (im Shop) erhältlich. Die Geschichten sind einzeln lesbar, aber nur zusammen offenbaren sie eine der nach wie vor grandiosesten Zukunftsvisionen, die sich je ein Mensch ausgedacht hat. Als Appetitanreger gibt es die Story „Die Königin des Nachmittags“ gratis in unserem Shop!

Alle Instrumentalität-Geschichten chronologischer Reihenfolge:
Nein, nein, nicht Rogow! (im Shop)
Krieg Nr. 81-Q (im Shop)
Modell Elf (im Shop)
Die Königin des Nachmittags (im Shop)
Scanner leben vergebens (im Shop)
Die Lady, die mit der Seele segelte (im Shop)
Als die Menschen fielen (im Shop)
Denk blau, zähl bis zwei (im Shop)
Der Colonel kehrt aus dem Nimmernichts zurück (im Shop)
Das Spiel Ratte und Drache (im Shop)
Das brennende Gehirn (im Shop)
Gustibles Planet (im Shop)
Allein im Anachron (im Shop)
Verbrechen und Ruhm des Kommandanten Suzdal (im Shop)
Golden war das Schiff – oh, so golden! (im Shop)
Die tote Lady von Clowntown (im Shop)
Unter der alten Erde (im Shop)
Das trunkene Schiff (im Shop)
Die klainen Katsen von Mutter Hudson (im Shop)
Alpha Ralpha Boulevard (im Shop)
Die Ballade von der verlorenen K’mell (im Shop)
Ein Planet namens Shayol (im Shop)
Planet der Edelsteine (im Shop)
Planet der Stürme (im Shop)
Planet des Sandes (im Shop)
Wanderer durch den Raum (im Shop)
Hinab zu einer sonnenlosen See (im Shop)

Schon gesehen? Unter jedem E-Book im Shop finden Sie einen Kasten mit zusätzlichen Informationen zu Cordwainer Smith und seinem Universum. 

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