26. Mai 2015 2 Likes

Geheimprojekt Ikarus

Eine Sneak-Preview zum neuen großen Roman von Bestsellerautor Andreas Brandhorst

Lesezeit: 4 min.

Er klingt so schön, der Name Independenz. Er verheißt Freiheit und Unabhängigkeit und Fortschritt. Doch in Andreas Brandhorsts neuem Roman „Ikarus“ (im Shop) ist die Independenz ein interplanetarer Staatenbund, der siebzehn von Menschen bewohnte Welten umfasst. Ein Staatenbund, der seit über 400 Jahren strengstens von den Regulatoren, einer mächtigen außerirdischen Spezies überwacht wird. Gelebte Demokratie sieht anders aus. Um die Tyrannei der Regulatoren zu beenden, tüftelt der Regierungsrat Takeder an einem geheimen Projekt namens Ikarus, das den Menschen endlich die Freiheit bringen soll. Doch dann wird Takeder ermordet …

Jede Menge Action, politische Intrigen und ein packendes Abenteuer zwischen den Sternen – mit „Ikarus“ beweist Andreas Brandhorst erneut, dass er der beste Science-Fiction-Autor Deutschlands ist.

„Ikarus“ erscheint zwar erst am 15.6.2015, aber wir möchten euch trotzdem vorab schon mal eine kleine Leseprobe zur Verfügung stellen:

1

TAKEDER

Aus kaltem Wasser auftauchen und nach Luft schnappen, den erstarrten Körper mit neuem Leben füllen, die Kälte abschütteln …

»Hören Sie mich?«

Eine Stimme wie der Wind, der über einen Ozean strich, mit leiser, kühler Beharrlichkeit. »Hören Sie mich?«, wiederholte der Wind. »Wie lautet Ihr Name?«

Die Kälte krallte sich an ihm fest, sie wollte ihn nicht verlassen. Eng legte sie sich um ihn, wie ein Panzer aus Eis. Der Wind veränderte sich, wurde zu einer neuen Stimme. »Die Bioindikatoren bestätigen das Ende des beschleunigten Wachstums. Er ist wach, aber noch desorientiert. Wir hätten ihm mehr Zeit geben sollen.«

»Er hat sich selbst nicht mehr gegeben. Die testamentarischen Verfügungen sind eindeutig. Deshalb bin ich hier. Deshalb sind wir hier.«

Testament, dachte er, der noch immer mit der Kälte rang und zu atmen versuchte, im Eis, das ihn umschlang. Er schaffte es, nach Luft zu schnappen, und als sich die Lunge dehnte, schien sie damit Platz zu schaffen für einen weiteren Gedanken, als wäre das Gehirn in die Brust gerutscht, direkt neben das laut schlagende Herz. Ich habe ein Testament aufgesetzt und akkreditieren lassen. Erst vor ein paar Tagen. Für den Fall …

Etwas war mit ihm geschehen. Er fühlte Schmerz, oder das Echo eines Schmerzes. Testament, dachte er und wollte diesen Gedanken festhalten, denn dahinter, in grauem, kaltem Nebel, warteten weitere Gedanken, wichtiger noch als der erste. Aber etwas sprengte mit wildem Ungestüm den Eispanzer und trug ihn fort, durch Wärme und Staub, der in den Augen brannte, ja, er hatte Augen, und sie waren offen, er konnte mit ihnen sehen, nachdem er sie gerieben hatte und das Brennen nachließ. Was er sah, waren jahrhundertealte Gebäude, ihre Mauern schief und grau, die Fenster und Türen leer. Stille herrschte – selbst der Wind schwieg hier –, bis er, der noch immer keinen Namen hatte, ein leises Summen hörte und etwas bemerkte, das wie ein exotischer kleiner Äquivalent-Vogel mit zahlreichen winzigen Rotoren aussah. Ein Sensorpaket. Die Maschine, nicht größer als eine Hand, flog nur wenige Meter entfernt vorbei, und ihre Sondierungsstrahlen strichen über ihn hinweg, ohne ihn zu erfassen. Er wusste plötzlich: Er trug eine Maske, geschaffen von einem defensiven Sporn; für das Sensorpaket existierte er nicht. Verbotene Technik, den Regulatoren gestohlen, verwendet in der … Verbotenen Zone? Niemand hatte hier Zutritt, nicht einmal ein Holder.

Er dachte: Das bin ich, ein Holder. Ich sollte hier nicht hilflos liegen. Ich sollte …

Die grauen, schiefen Wände mit den leeren Fenstern und Türen, die sich plötzlich verändern konnten, wenn eine temporale Woge der Anomalie bei der Stadt der Zukünftigen darüber hinwegstrich … Sie verschwanden und machten einem Gesicht Platz. Es war ein ernstes Gesicht, in dem es für ein Lächeln keinen Platz gab, und er kannte es. Vandenberg, dachte er. Jurat Vandenberg. Ein vertrauter Name, ein vertrautes Gesicht. »Hören Sie mich?«, fragte dieser Mann.

»Ja«, sagte er mühsam. Er lag nackt in einer Mulde, bemerkte er jetzt, in einem halb mit Flüssigkeit gefüllten Becken, oben warm,

unten, von den Oberschenkeln abwärts, kalt.

»Wie lautet Ihr Name?«

Mein Name?, dachte er und erinnerte sich. Ich bin ein Holder. Ich bin …

»Jamo Jamis Takeder«, krächzte er und hustete Schleim aus. Hände kamen und berührten ihn, die geschickten, kundigen Hände von medizinischen Assistenten. »Was …«, begann er.

»Sie sind ermordet worden«, sagte Jurat Vandenberg, sein Anwalt. »Vor zwei Stunden.«

 

 

Andreas Brandhorst: „Ikarus“ ∙ Roman ∙ Wilhelm Heyne Verlag, München 2015 ∙ 576 Seiten ∙ € 11,99 (im Shop)

 

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