3. Februar 2017 2 Likes

Imperfekte Zukunft

Die Retrospektive der Berlinale blickt in diesem Jahr in die Zukunft

Lesezeit: 3 min.

In den Hauptsektionen der Berlinale vermisst der genreaffine Zuschauer zwar auch in diesem Jahr wieder Futter, doch dafür widmet sich die in aller Regel interessanteste Sektion des Festivals vollständig der Science-Fiction: Die Retrospektive steht in diesem Jahr unter dem Titel „Future Imperfect“ und ist eine Weiterführung der schon seit einigen Monaten im Berliner Filmmuseum laufenden Ausstellung „Things to Come“. Wie die Titel von Ausstellung und Retrospektive andeuten, geht es nicht in erster Linie um ein Who is Who des Science-Fiction-Kinos, sondern um eine thematische Beschäftigung mit der Farge, was die Science-Fiction über Gegenwart, vor allem aber die Zukunft der Menschheit verrät.

Grob gesagt fallen dabei die in der Retrospektive zu sehenden Filme in zwei Gruppen:  Begegnungen mit dem Fremden und Gesellschaft der Zukunft, also zwei der großen Themen des Science-Fiction-Kinos. Erfreulicherweise sind nur wenige der großen Klassiker zu sehen, wobei die Gelegenheit „Alien“, „Blade Runner“ oder „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“ in makellosen Kopien auf der Leinwand wiederzusehen, natürlich nicht zu verachten ist. Noch interessanter sind jedoch Filme der unbekannteren Art, Ausgrabungen und Wiederentdeckungen, der deutsch-französische Film „Le tunnel“ von 1933 etwa, in dem Jean Gabin einen Tunnel unter den Ärmelkanal gräbt, der 1956 gedrehte japanische Streifen „Die Außerirdischen erscheinen in Tokio“ (Inhalt dürfte klar sein…) oder der älteste Film der Reihe, der 1918 in Dänemark gedrehte „Himmelskibet/ Das Himmelsschiff“ von Holger-Madsen. Eine Reise zum Mars wird darin imaginiert, dargestellt in für die Zeit erstaunlichen Sets, vor allem aber mit einer bemerkenswert pazifistischen Botschaft, in der man getrost den Wunsch der späten Kriegsjahre, nach einer friedlichen Zukunft erkennen kann.


Briefe eines toten Mannes, 1986

Wie sehr gerade Science-Fiction-Filme als Spiegel der Gesellschaft, als Spiegel ihrer Entstehungszeit funktionieren, ist oft bemerkt worden, zeigt sich in der Retrospektive gerade bei den Filmen aus Osteuropa auf frappierende Weise. Wohl nur unter dem Deckmantel der Science-Fiction war es Mitte der 80er Jahre etwa möglich eine so düstere Welt zu zeigen, wie es in zwei Filmen aus Polen bzw. der Sowjetunion geschah. Postnukleare Welten imaginieren der Pole Piotr Szulkin in „O-Bi, O-Ba: Das Ende der Zivilisation“ und der Russe Konstantin Lopuschanski in „Briefe eines toten Mannes“, den Verfall der Ordnung, ein Leben auf bzw. unter den Trümmern einer nuklearen Katastrophe, die kaum verhohlene Metapher für das Siechtum des kommunistischen Systems zu sein scheint. Eigentlich verblüffend, dass der Zensur der Länder die offensichtliche Gesellschaftskritik dieser Filme entgangen sein soll, vielleicht war es zu diesem Zeitpunkt aber auch einfach schon egal. Dass die Nullkopie von „Briefe eines toten Mannes“ – bei dem übrigens der legendäre Boris Strugazki am Drehbuch mitgeschrieben hat – genau am Tag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl fertiggestellt worden sein soll, mag nur eine schöne Legende sein, passen würde es ohne Frage.

Besonders gespannt darf man schließlich auch auf Vorführungen von Hermann Zschoches psychedelisch angehauchtem „Eolomea“ in wunderbar breitem und buntem 70mm sein, aber auch auf „gog“ von Herbert L. Strock, ein 1954 gedrehtes Experiment in 3D.

Abgerundet wird das Programm durch eine Reihe von Gesprächsrunden, z.B. mit dem Produktionsdesigner Alex McDowell, der von seiner Arbeit an „Minority Report“ berichtet oder ein Podium zum Thema „Weltall - Erde - Mensch. Die DEFA und ihre Science-Fiction-Filme“, bei dem unter anderem Hermann Zschoche über seine Erfahrungen berichtet, im real existierenden Sozialismus auf filmische Weise in die Zukunft zu blicken.

Berlinale Retrospektive vom 10.-19. Februar, diverse Kinos, Programm unter www.berlinale.de

Große Abb: Eolomea: © DEFA-Stiftung/ Alexander Kühn

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