„Eine Lüge ist ein Nicht-Fakt“
Ursula K. Le Guin über Alternative Fakten
Der Begriff ‚Alternative Fakten’ steht symbolisch für die Anfänge der Ära Trump und kurbelte unter anderem die Verkäufe von George Orwells dystopischem Klassiker „1984“ (im Shop) an. In einem Leserbrief an die amerikanische Tageszeitung „The Oregonian“ verglich jemand alternative Fakten mit Science-Fiction. Das ließ Ursula K. Le Guin (Shop), die unermüdliche Grand Dame des Genres, natürlich nicht auf sich und der SF sitzen und schrieb selbst einen Leserbrief als Antwort, um einiges richtig zu stellen.
„Wir Fiction-Autoren denken uns Sachen aus“, schreibt die 87-jährige LeGuin. „Nichts davon ist real, alles ausgedacht, vorgestellt – und wir nennen es Fiktion, weil es keine Fakten sind. Wir mögen manches davon als ‚Alternativwelt’ oder ‚Alternativuniversum’ bezeichnen, doch wir geben niemals vor, dass unsere Fiktionen ‚alternative Fakten’ sind. […] Eine Lüge ist ein Nicht-Fakt, der absichtlich als Fakt geäußert wird. Lügen werden erzählt, um sich selbst zu beruhigen, oder um andere zu täuschen, zu verängstigen oder zu manipulieren. Der Weihnachtsmann ist eine Fiktion. Er ist harmlos. Lügen sind selten vollkommen harmlos, und häufig sehr gefährlich.“
Hier kann man Frau Le Guins kompletten Leserbrief einsehen, und hier die Übersetzung eines längeren Textes, den die SF-Gigantin zum Ergebnis der US-Wahl verfasst hat.
Kommentare
"Alternative Fakten" zu verbreiten ist keine Erfindung von Trump. Lügen tun doch eher die Mainstreammedien, bei uns deshalb auch auch Lügen- oder Lückenpresse genannt.
Den Begriff "alternative Fakten" verwendete die Beraterin von Trump, nicht er selbst. Ursache war, dass die Größe des Publikums während der Amtseinführung von Trump angeblich geringer war als die bei Obamas - "Beweise" waren Fotos, die aber nicht zur selben Uhrzeit aufgenommen wurden (bemerkte übrigens inzwischen auch Ranga Yogeshwar, die Mainstreampresse lieferte aber nie eine Richtigstellung). Das Wetter war dazu noch im Vergleich zu Obamas Amtseinführung schlechter und der typische Trump-Wähler wohnt wohl auch nicht in Washington, sondern tendenziell eher in den ländlicheren Gebieten. Es soll mit den Bildern suggeriert werden, dass Trump im Vergleich zu Obama unbeliebt sei und mit seiner Politik absolut isoliert da steht. Nun ja, kurz zuvor waren demokratische Wahlen. Vielleicht liegt ja hier die Ursache für steigende Verkaufszahlen des Romans 1984? Ich käme nie auf die Idee, wegen Trump diesen Roman zu kaufen, für 'Neusprech' ist Trump doch viel zu direkt - hier wird eine Ursache konstruiert, die nicht wirklich existiert - alternative Fakten eben.
Natürlich war alles vorher schon einmal da. Aber dass - Inaugurationsbesucherzahlen hin oder her - Donald Trump samt Beraterstab schon eine lange Liste ganz offensichtlicher Falschbehauptungen, Widersprüche und populistischer Vereinfachungen angesammelt haben, ist offensichtlich. Was damit erreicht werden soll, ist bestenfalls eine alternative Deutung des objektiven Faktenmaterials. Dass auch die sogenannten Mainstreammedien eine Deutung bieten, ja bieten müssen, ist übrigens keineswegs eine "Lüge", sondern schon immer so gewesen. Insofern ist der "Lügenpresse"-Begriff der Neurechten auch nur eine Verschleierung eines ganz normalen Tatbestands unserer freien Presselandschaft.
Die Ursache zwischen Trumps Regierungsantritt und der "Wiederentdeckung" dystopischer Romane à la "1984" muss gar nicht behauptet werden, sie ist in der Entwicklung der Verkaufsrankings auf Amazon & Co. faktisch vor Augen geführt. Darauf hinzuweisen ist weder Konstruktion noch Suggestion, sondern schlicht Tatsachenbeobachtung. Was diese Tatsache zu bedeuten hat und für wen - das, liebe(r) Prokyon, ist eine ganz andere Sache. Und da kann man ganz unterschiedlicher Meinung sein.
ZITAT: "Aber dass - Inaugurationsbesucherzahlen hin oder her - Donald Trump samt Beraterstab schon eine lange Liste ganz offensichtlicher Falschbehauptungen, Widersprüche und populistischer Vereinfachungen angesammelt haben, ist offensichtlich."
Nein, es ist eben nicht einfach "offensichtlich". Das ist eine Vereinfachung in der Argumentation, es würde sicher zu weit führen, Gründe hier aufzuführen, aber dann stellt man nicht einfach diese Behauptung auf.
Diese "lange Liste" kann man sicher für Clinton (und die Merkel-Regierung) genauso finden, wer sucht, der findet.
"Wir schaffen das!" ist z. B. eine totale, populistische Vereinfachung (dieser Satz steht übrigens sowieso im Gegensatz zu früheren Aussagen Merkels).
ZITAT : "Dass auch die sogenannten Mainstreammedien eine Deutung bieten, ja bieten müssen, ist übrigens keineswegs eine "Lüge", sondern schon immer so gewesen. Insofern ist der "Lügenpresse"-Begriff der Neurechten auch nur eine Verschleierung eines ganz normalen Tatbestands unserer freien Presselandschaft."
Medien müssen keine Deutung bieten, warum denn, wieder nur eine Behauptung. Seriöse Medien unterscheiden in Nachrichten und Meinung (Kommentar) - (lokale) Tageszeitungen kommen dem zumindest näher als gewisse Wochenzeitschriften.
Die Bilder der Besucherzahlen zu Trumps Amtseinführung wurden für politische Zwecke veröffentlicht und missbraucht, wenn dazu alle Fakten geliefert worden wären, z. B. Uhrzeiten, Wetter und Zusammensetzung des Publikums, wäre das so nicht möglich gewesen.
ZITAT: "Die Ursache zwischen Trumps Regierungsantritt und der "Wiederentdeckung" dystopischer Romane à la "1984" muss gar nicht behauptet werden, sie ist in der Entwicklung der Verkaufsrankings auf Amazon & Co. faktisch vor Augen geführt. Darauf hinzuweisen ist weder Konstruktion noch Suggestion, sondern schlicht Tatsachenbeobachtung. Was diese Tatsache zu bedeuten hat und für wen - das, liebe(r) Prokyon, ist eine ganz andere Sache."
Nur weil der Regierungsantritt und die Erhöhung der Verkaufszahlen zeitlich zusammen fallen, kann doch hier nicht einfach eine Abhängigkeit konstruiert werden - solche *scheinbare* Korrelationen lassen sich immer finden. Ausserdem: Trump twittert, vielleicht machen sich die Leute plötzlich Gedanken über das 'Neusprech' der Massenmedien?
Und: Technologiefirmen sind nun mal gegen Trump - Amazon hat das Buch vielleicht einfach kräftig beworben.
Ich fürchte, du hast recht, dass wir die genaue Faktenlage hier nicht erschöpfend klären können. Darum nur kurz zu zwei deiner Aussagen:
Zitat – „Medien müssen keine Deutung bieten, warum denn, wieder nur eine Behauptung. Seriöse Medien unterscheiden in Nachrichten und Meinung (Kommentar) - (lokale) Tageszeitungen kommen dem zumindest näher als gewisse Wochenzeitschriften.“
Das ist einerseits richtig. Und andererseits ist bereits die Auswahl der Nachrichten ein redaktioneller Akt, d.h. mit dem Bericht über bestimmte Ereignisse ist gleichzeitig die Auslassung von anderen verbunden – das ist mit „müssen“ gemeint: nicht im Sinne einer Pflicht, sondern im Sinne einer strukturellen Unvermeidlichkeit. Dass über Ereignisse seriös, d.h. umfassend in den Fakten und objektiv in der Darstellung, berichtet werden muss, darin stimme ich dir zu. Ganz abgesehen bezweifle ich, dass ein Foto von der Amtsvereidigung im politischen Umgang mit Trump und seiner Regierung wirklich weiterhilft.
Zitat – „Nur weil der Regierungsantritt und die Erhöhung der Verkaufszahlen zeitlich zusammen fallen, kann doch hier nicht einfach eine Abhängigkeit konstruiert werden - solche *scheinbare* Korrelationen lassen sich immer finden.“
Kann es sein, dass du mit „Korrelation“ eigentlich Kausalität meinst? Denn die zweifelst du ja offenbar an. Die zeitliche Korrelation zwischen Dystopieverkäufen und Regierungsantritt ist ja da. Ich verstehe nicht, was dein Problem damit ist. Man kann diskutieren, ob die neue Regierung in irgendeiner Weise durch Romane wie George Orwells „1984“ oder Sinclair Lewis’s „It Can’t Happen Here“ adäquat gedeutet werden kann oder ob es sich bei den Buchkäufen nur um einen hysterischen Trend handelt. Dass es ein Trend ist, der mit Trump zusammenhängt, das erscheint mir schlüssiger als eine Manipulation durch „Technologiefirmen“ – das müsstest du dann erst einmal mit (realen) Fakten belegen, bevor du das als (alternative) Deutung vorbringen kannst.