14. Februar 2017

Gipfel der Eiszeitgötter

Der erste Band von Jiro Taniguchis SF-Manga „Ice Age Chronicle of the Earth“

Lesezeit: 3 min.

Am 11. Februar 2017 verstarb der große japanische Comic-Künstler Jiro Taniguchi im Alter von 69 Jahren. Beim Hamburger Verlag Schreiber & Leser ist mit „Ice Age Chronicle of the Earth – Band 1“ nur wenige Tage vor dem überraschenden Tod des Manga-Meisters eines seiner frühen Science-Fiction-Werke erstmals auf Deutsch erschienen.

Darin wird die Erde der Zukunft von der achten Eiszeit beherrscht. Mitten in der Arktis liegt die Insel Nunatak, in deren gefrorenem Inneren die Mine Tarpa errichtet wurde, die zur Megalopolis Abyss gehört. Im Hightech-Bergwerk von Morgen suchen die Männer und Frauen, die sich für eine gewisse Zeit im ewigen Eis verpflichtet haben, nach Bodenschätzen. Während die Arbeiter in ihrer Freizeit trinken, raufen und herumhuren, bricht die alte computergesteuerte Mine langsam aber sicher auseinander. Außerdem braut sich über der Insel und der Schlucht mit der Station ein übler Sturm zusammen. Bald erfährt nicht nur der junge, undisziplinierte Takeru, dass der Welt anscheinend große klimatische Veränderungen bevorstehen. Nach einer heftigen Explosion muss die Mine evakuiert werden, doch der anrückende Frachter wird von Packeis-Piraten gekapert. Also machen sich Takeru und eine kleine Mannschaft auf, um Hilfe zu holen. Auf sie warten eine mörderische Kletterpartie, Raubtiere, Stürme und alles, was ihnen die gnadenlos feindselige Umgebung aus Eis und Kälte sonst noch entgegenwirft. Allerdings erfährt Takeru auf der Odyssee auch von der Legende ehrvoller blauer Alien-Götter, deren Rückkehr kurz bevorstehen soll …

Schreiber & Leser arbeitet sich weiter durch das manchmal mächtig trashige, in jedem Fall immer ordentlich genrelastige Frühwerk des japanischen Manga-Maestros Jiro Taniguchi, den man im Westen vor allem für seine jüngeren, ruhigen bis nachdenklichen Comics gefeiert hat und noch eine ganze Weile feiern wird (obwohl das viel beachtete „Vertraute Fremde“, das von Sam Garbarski verfilmt wurde, ebenfalls eine Zeitreise-Geschichte war). Nach dem großformatigen Hardcover-Album „Ikarus“ – Taniguchis Zusammenarbeit mit dem französischen Comic-Gott Moebius aus den späten 90ern – folgt als deutsche Erstveröffentlichung nun „Ice Age Chronicle of the Earth“ in zwei Bänden und im gewohnten A5-Paperback mit Klappenbroschur. Taniguchis eisige, in Graustufen gehaltene Science-Fiction-Vision der Erde entstand Ende der 80er und ist im ersten Teil ein cooles klassisches SF-Abenteuer für alle, die z. B. auch dem frostigen Reiz von Chuck Dixons „Winterwelt“ oder Alan Dean Fosters „Eissegler“-Romanen (im Shop) erlegen sind. Am Anfang versprüht „Ice Age Chronicle of the Earth“ trotz seines irdischen Settings paradoxerweise zudem fast den Charme einer mustergültigen Space Opera, in der eine in fremder Umgebung zusammengewürfelte Besatzung vorgestellt wird, die sich mit allerhand Katastrophen und Gräueln auseinandersetzen muss. 

Ungeachtet der ganzen Action und des unkomplizierten Abenteuers in der zukünftigen Eiszeit kann man bereits im ersten Band Parallelen zu Jiro Taniguchis späterem, anspruchsvollerem Schaffen als Autor und Zeichner ziehen. Die Szene mit einem eingeborenen Jäger und seinem Sohn, die von einem gewaltigen Eiswal überrascht werden, und die Konfrontation mit einem massigen Eisbären erinnern so etwa an Taniguchis höchst lesenswerte, bestens für den Erstkontakt geeignete Kurzgeschichtensammlung „Der Wanderer im Eis“, die im Original 2004 erschienen ist. Anno 2006 war die deutsche Ausgabe bei Schreiber & Leser das erste Werk des 1947 geborenen Jiro Taniguchi, das ins Deutsche übersetzt wurde. Die brenzlige Kletterpartie von Takeru und Co. oberhalb der Mine wies dagegen schon 1988 in Richtung der fünfbändigen Serie „Gipfel der Götter“, die Taniguchi nach dem Jahrtausendwechsel inszenieren sollte und die von S & L zwischen 2007 und 2008 veröffentlicht wurde – wie „Der Wanderer im Eis“ Manga-Kost, die selbst ohne Erfahrung mit fernöstlichen Comics beeindruckt und begeistert. Sowohl in den Kurzgeschichten als auch in der großen Bergsteiger-Saga des japanischen Superstars geht es um das Ringen des Menschen mit sich selbst und mit der atemberaubenden kalten Natur, bei der Schönheit, Gefahr und Grausamkeit Hand in Hand gehen. Und das lässt sich eben genauso über die Arktis als treibende Kraft im relativ klar und realistisch gezeichneten „Ice Age Chronicle of the Earth“ sagen.

Der finale zweite Band, der dann leider schon posthum erscheint, ist für Juli angekündigt.

Abb. © Jiro Taniguchi 2002

Jiro Taniguchi: Ice Age Chronicle of the Earth Bd. 1 • Schreiber & Leser, Hamburg 2017 • 270 Seiten • Paperback m. Klappenbroschur: 16,95 Euro

 

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