15. März 2017 3 Likes

Zwei Frauen gegen den Rest der Welt

„Into The Forest“ – ohne Smartphone geht’s auch!

Lesezeit: 5 min.

Dystopien sind der heiße Scheiß, nahezu wöchentlich flimmern allerdüsterste Zukunftsbilder über die Leinwand oder über den heimischen Empfangsapparat, vor allem die Jugend mag’s offenbar so richtig heftig, dreckig und ultra-pessismistisch, was zur Folge hat, dass so manche young adult fiction den vermeintlichen Erwachsenen-Stoff ganz schön kindisch aussehen lässt.

Wie hip eine zappenduster gezeichnete Zukunft ist, merkt man auch daran, dass „Into The Forest“, eine Dystopie mit einem hoffnungsvollen Ausklang (!), hierzulande nicht ins Kino geschickt, sondern direkt auf Scheibe ausgewertet wurde, aber vielleicht hat auch der eher ruhige Tonfall des Quasi-Zwei-Personenstücks die Verleiher abgeschreckt, an der Qualität des Films kann es jedenfalls nicht wirklich gelegen haben, der hat zwar durchaus seine Macken, hätte aber eine große Leinwand trotzdem mehr als verdient.

„Into The Forest“ basiert auf dem gleichnamigen, bereits 1996 erschienen Young-Adult-Roman von Jean Hegland (hierzulande bei Fischer unter dem Titel „Die Lichtung“ zu haben), der im grassierenden Dystopien-Rausch wieder entdeckt und als eher moderat budgetierte, kanadische Produktion für die Leinwand adaptiert wurde.   

Die Story spielt in der Zukunft, allerdings weisen lediglich zu Anfang Details wie ein Tablet aus Glas daraufhin, der zeitliche Aspekt wird nicht vertieft und spielt für die Handlung auch keine Rolle. An der Nordküste Kanadas fällt der Strom aus, die Wasserversorgung ist ebenfalls unterbrochen. Die Schwestern Eva und Nell, die mit ihrem Vater in den Wäldern im Nordwesten leben, denken sich zuerst nichts Böse dabei. Eva, die eine Karriere als Tänzerin anstrebt, trainiert fleißig weiter und Nell büffelt für ihren Aufnahmetest am College. Doch die Situation verbessert sich nicht, es deutet sich immer mehr an, dass es sich um einen bleibenden Zustand handeln wird. Als der Vater bei einem Arbeitsunfall stirbt, müssen die Schwestern ganz alleine auf sich gestellt, lernen zu überleben, was die Beziehung der beiden immer wieder auf eine Probe stellt, zudem verändert sich nicht nur der bisher so komfortable Alltag drastisch, auch Mitmenschen wie Verkäufer Stan werden zur Gefahr für die beiden jungen, schutzlosen Frauen…

Die Grundidee von „Into The Forest“ ist so einfach wie eindrücklich und könnte gerade – obwohl eigentlich bereits aus den 1990er-Jahren – in unserer heutigen durch und durch bildschirmfixierten Zeit kaum näher am Puls der Moderne liegen: Was ist, wenn die Quelle, die wir alle tagtäglich nutzen, die wir als völlig selbstverständlich, vielleicht sogar gar nicht mehr, wahrnehmen, plötzlich fehlt? Der Film verzichtet dabei dankenswerterweise auf Erklärungen irgendwelcher Art (was eh fast immer in Unglaubwürdigkeiten abgleitet), sondern setzt schlicht und einfach auf die Prämisse „Der Strom ist weg – was nun?“

Regisseurin Patricia Rozema („Mansfield Park“) geht es dabei nicht um möglichst spektakuläre Bilder, die einbrechende Katastrophe wird gerade mal durch Radiomeldungen vermittelt und auch die Geschichte wird relativ linear ohne allzu große Überraschungen von der Schnur geperlt. „Into The Forest“ ist vielmehr ein klassisches Charakterdrama mit dem Touch einer Fallstudie, das einfühlsam und präzise schildert, wie zwei junge Menschen, die alle Annehmlichkeiten der heutigen Zeit gewohnt sind, mit einer sich dramatisch verändernden Umwelt fertig werden. Spätestens mit dem Tod des Vaters ist die Kindheit von Eva und Nell schlagartig zu Ende, die auch in Krisenzeiten noch Sicherheit vermittelnde Instanz fällt weg, von nun an heißt es ohne Netz und doppelten Boden durchs Leben schreiten, was aber nicht ohne große Kompromisse geht, die man vormals nicht unbedingt eingehen musste. Sei es nun in Dingen, die das alltägliche Leben betreffen oder auch einfach nur im Umgang miteinander, die eigene Schwester mag zwar weniger erfreuliche Seiten haben, sie ist aber auch der einzige Mensch, mit dem man durch eine zusehends lebensfeindlicher werdende Umwelt schreiten kann, man erkennt erst, was man einander hat, wenn man niemanden mehr hat.

Es ist diese eher hintergründig eingewobene Botschaft, die Absage an die Egogesellschaft, die dem Film einen großen Reiz verleiht und nicht so sehr die (Rück-) Entwicklung moderner Menschen zu Jägerinnen, Sammlerinnen und Ackerbäuerinnen. Der Weg dahin gestaltet sich dank wunderbarer, filigraner Bilder und tollen Schauspielerinnen zwar durchaus packend, aber auch etwas vorhersehbar, was daran liegt, dass Rozema ihrer Dystopie einen feministischen Anstrich verpasst hat, was auch völlig in Ordnung ist und im Roman nicht anders war, sich hier aber, auch wenn nicht alle männlichen Figuren negativ gezeichnet  werden, etwas arg platt anfühlt: Nicht nur, dass die beiden Mädels und ihr Erzeuger während einer nächtlichen Autofahrt auf waffenschwingende Mordbuben treffen, die allerdings so aussehen, als ob sie auch schon vor der Katastrophe nichts anderes gemacht haben; man wundert sich kaum, dass der schmierig gezeichnete Ladeangestellte Sam, dem das Wort „Vergewaltiger“ regelrecht auf der Stirn zu schimmern scheint,  zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich auftaucht, um Eva zu vergewaltigen. Es ist schade, dass der Film hier nicht den Mut hat die Untiefen von Otto Normalbürger und vielleicht sogar Otto Normalbürgerin auszuloten. Ähnlich flach wummert es leider auf der Soundtrackspur: So bildstark, originell und mit Bedacht (die Vergewaltigungsszene, bei der lediglich das schmerzverzerrte Gesicht Evas gefilmt wird, ist beispielhaft inszeniert und zeigt sämtlichen immer auch ein wenig sleazigen Betroffenheitsdramen den Mittelfinger) sich das intime Katastrophendrama auf visueller Ebene auch gibt, leider erliegt auch „Into The Forest“ – und hier nähert sich die kleine Produktion den großen Kollegen aus Hollywood an – oft der der Versuchung dem Publikum Emotionen mit Indiepop oder Max Richters streicherlastigen Schnulzsoundtrack in die Gehörgänge zu diktieren, anstatt einfach die starken Bildern zu vertrauen.

Trotzdem: Allein die Szene, in der Nell eine Schokoladenpraline entdeckt, mit freudiger Erregung auspackt und mit Genuss vertilgt ist schon die halbe Miete wert – Schokolade als kleines Licht in einer dunklen Welt: Eine längst überfällige Lobpreisung!

„Into The Forest“ ist seit dem 17.02.2017 von Capelight erhältlich.

Into The Forest (Kanada 2015) • Regie: Patricia Rozema • Darsteller: Ellen Page, Evan Rachel Wood, Max Minghella, Callum Keith Rennie, Michael Eklund, Jordana Largy, Sandy Sidhu

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