23. März 2017 2 Likes

„Die Zukunft ist nicht nur Zuckerschlecken.“

Ein Interview mit Autor und Übersetzer Norbert Stöbe zu seinem neuen Roman „Kolonie“

Lesezeit: 4 min.

Sie gehört zu den zentralen Themen der Science-Fiction: die erste Kolonie auf einem fremden Planeten. Unzählige Romane befassen sich mit den Gefahren und Herausforderungen des interstellaren Reisens, mit der Ankunft am Zielplaneten, mit den ersten Schritten über außerirdische Erde – doch was kommt danach? Was passiert, wenn die Abenteurer alt werden; wenn die erdähnliche Welt, die sie in Besitz genommen haben, nicht kooperiert; wenn die Kinder der Kolonisten seltsame Mutationen aufweisen und die Roboter plötzlich nicht mehr kooperieren? Mit diesen Problemen (und noch einigen mehr) müssen sich die alternden Forscher in Norbert Stöbes neustem Roman Kolonie (im Shop) auseinandersetzen. In einem kurzen Interview verrät er uns ein bisschen mehr über seine Kolonisten auf dem Planeten Corazon:

Ihr neuster Roman Kolonie ist soeben bei Heyne erschienen. Können Sie uns kurz erzählen, worum es geht?

Vor kurzem hat Stephen Hawking den Bau von mit Lichtsegeln ausgestatteten Miniraumschiffen vorgeschlagen, die mit Lasern auf interstellare Geschwindigkeit beschleunigt werden – immerhin ein Ansatz. Ich glaube, dass irgendwann auch Menschen das Sonnensystem verlassen und die gewaltige Entfernung zu einem anderen Planetensystem überwinden werden – ob in einem großen Generationenschiff, im ‚Schlaftank‘ oder als Bewusstseinskopie wie in meinem Roman Morgenröte (im Shop). Mit Kolonie wollte ich ein einigermaßen ‚realistisches‘ Bild einer Siedlung auf einem anderen erdähnlichen Planeten zeichnen. Ich fand es interessant, auch mal ältere Protagonisten einzuführen, die Probleme mit ihren Gelenken haben. Sie kämpfen gegen den Verfall der Station, haben Schwierigkeiten mit ihren mutierten Kindern und den verselbstständigten Bots. Die Zukunft ist eben nicht nur Zuckerschlecken, und Triumph und Scheitern liegen nahe beieinander. Als überraschend ein weiteres Kolonistenraumschiff eintrifft, eskalieren die Spannungen.

 

Sprechen wir über die Roboter: anfangs sollten sie den Kolonisten helfen, aber sie sind intelligent geworden, haben sich in einer Art Schisma von den Menschen abgewandt und verfolgen seitdem eigene Ziele. Wissenschaftler und Technikexperten wie Ray Kurzweil glauben, dass das auf der Erde um das Jahr 2050 herum passieren wird. Was meinen Sie?

Ich persönlich bin fasziniert von Robotern. Ich wünsche mir einen Haushaltshelfer, den man Einkaufen schicken und mit man auch mal eine sinnvolle Unterhaltung führen kann. Bots, oder allgemeiner KI, haben ein gewaltiges Potenzial, aber noch braucht es einen Riesenrechner, um einen Go-Meister zu besiegen. Trotzdem glauben manche, der Mensch sei bereits im Begriff, sich selber abzuschaffen. Fakt ist, dass die Menschheit, bezieht man die Gentechnik mit ein, an einem Punkt angelangt ist, wo sie Einfluss nehmen kann auf die Evolution des Lebens, organisches wie künstliches. Ich denke, auf lange Sicht wird es auf eine Ko-Evolution von Mensch und KI hinauslaufen. Das kann man erschreckend finden, aber ich bin einfach zu neugierig, um pessimistisch zu sein.

 

Was mir an Kolonie besonders gut gefallen hat, ist die Biologie auf Corazon. Nicht nur die einzelnen Pflanzen – etwa die wandernden „Bäume“ – finde ich toll, sondern auch die Namen, die die Kolonisten ihnen geben, zum Beispiel „Erdschweiß“. Können Sie uns ein bisschen mehr darüber erzählen, wie Sie auf diese Pflanzen und ihre Namen gekommen sind?

Die Namensfindung ist eine der leichteren Übungen. ‚Erfunden‘ habe ich die Pflanzen in den Szenen, in denen sie zum ersten Mal auftauchen. Ich habe versucht, zu sehen, was sie Kolonisten sehen, und weil ich gerade durch mein eigenes schlieriges Fenster guckte, kam ich auf das Gewebe, das auf den Fensterscheiben wächst. Die ‚Kinder‘ blicken von ihrem ‚Auslauf‘ auf den nahen Wald. Sie sollten etwas Fremdartiges wahrnehmen, da lag es nahe, dass es wandernde Bäume sind, denn die kann man auch aus der Entfernung gut beobachten. Außerdem sind sie ein Symbol für die Freiheit, die den ‚Kindern‘ vorenthalten wird.


Norbert Stöbe © Foto: privat

In unserem letzten Interview zu Ihrem Roman Morgenröte hatte ich gefragt, ob Sie sich ein Ticket auf dem Raumschiff, das einige ausgewählte Menschen zu einem neuen Planeten bringen soll, kaufen würden, was Sie bejaht haben. Daran anschließend nun die Frage: Würden Sie nach Corazon auswandern?

In Morgenröte ist die Ausgangslage unerträglich, das erleichtert die Entscheidung. In Kolonie ist über die Situation auf der Erde wenig bekannt. Aber Corazon würde mich auf jeden Fall reizen, wenn ich ein junger Astrobiologe wäre und ein Auge auf eine mitreisende Kollegin geworfen hätte. Interessanter als in der marsianischen Wüste ist es dort allemal.

 

Sie schreiben ja nicht nur, Sie übersetzen auch viel (zum Beispiel John L. Campbells Omega Days-Romanreihe (im Shop)). Was machen Sie lieber, und warum?

Übersetzen ist Routine, Schreiben ist Abenteuer. Mir ist beides lieb und wichtig. Ich setze mich jeden Morgen mit Freude an den PC und fange mit der Übersetzungsarbeit an. Schreiben kann ich nur abends.

 

Vielen Dank für dieses Interview!

 

Norbert Stöbe: Kolonie • Roman • Originalausgabe • Wilhelm Heyne Verlag, München 2017 • Taschenbuch • 368 Seiten • € 9,99 • im Shop

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