30. März 2017 1 Likes

Style in the Shell

„Ghost in the Shell“ – Schicker sieht Sci-Fi selten aus!

Lesezeit: 4 min.

In den 1980er-Jahren trat nicht nur Cyberpunk-Übervater William Gibson auf den Plan, der mit Romanen und Kurzgeschichten wie „Neuromancer“, „Johnny Mnemonic“ oder „New Rose Hotel“ (alle im Shop) das Science-Fiction-Genre beeinflussen sollte, wie kaum ein Zweiter, in Japan startete fast parallel Manga-Künstler Masanori Ōta unter dem Namen Masamune Shirow seine Karriere, der mit Titeln wie „Appleseed“ und „Dominion“ große Erfolge feierte. 1989 folgte mit „The Ghost In The Shell“, einem Sci-Fi-Thriller über die Jagd der, von Majorin Motoko Kusanagi angeführten, Anti-Terroreinheit Public Security Section 9 nach einem übermächtigen Hacker, sein Meisterwerk. Shirow hinterließ vielleicht nicht ganz so dermaßen große Fußstapfen wie Gibson, übte aber dennoch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss aus, man darf zum Beispiel zu Recht anzweifeln, ob es ohne seine geniale Vorarbeit den US-Superhit „Matrix“ je gegeben hätte.

Als angekündigt wurde, dass „The Ghost In The Shell“ nach für hollywoodsche Verhältnisse verblüffend langer Wartezeit doch noch eine US-Big-Budget-Adaption bekommt und auch noch die Amerikanerin Scarlett Johansson die Hauptrolle spielt, war das Gekreische natürlich groß, von wegen whitewashing und so. Dabei wurde aber ausgeblendet/vergessen/nicht verstanden, dass es sich bei der physischen Präsenz von Motoko Kusanagi eigentlich nur um einen künstlichen Körper handelt, in der ein ganz anderer Geist schlummert. Des Weiteren handelt es sich auch generell nicht gerade um einen in Beton gegossenen Charakter, während der ganzen Franchise gibt es von einander abweichende Kusanagai-Varianten, bereits Mamoru Oshiis geniale Anime-Adaption von 1995 zeigt eine alternative Version, im TV-Serienableger „Stand Alone Complex“ wird sogar angedeutet, dass womöglich nicht mal der Name echt, sondern nur ein Pseudonym ist. Wozu also die Aufregung? Es wurde schließlich nicht Luke Cage zum Weißbrot umgebaut, die Besetzung von Johansson passt durchaus ins Konzept, zudem – mal so ganz pragmatisch gedacht – kann man durchaus nachvollziehen, dass die Produzenten bei einem Projekt dieser Größenordnung dann doch lieber eine dem Publikum vertraute Darstellerin in der Hauptrolle sehen möchten. 

Viel wichtiger ist doch: Hat man es geschafft den Ghost von „Ghost In The Shell“ in den Kinofilm rüberzuretten? Wurde auch der philosophische Unterbau, der sich vor allem um Identitätsfragen in einer von Hightech dominierten Welt dreht, mitgenommen, beziehungsweise hat man den Stoff überhaupt halbwegs würdevoll bearbeitet oder das Ganze zum üblichen US-Blockbuster-Blödgeschoss abgewrackt, das außer CGI-Getöse nichts zu bieten hat?

Die Frage ist ganz eindeutig mit Njein zu beantworten. Erfreulich ist auf jeden Fall, dass den Drehbuchautoren wohl bewusst war, dass man einen direkten Vergleich mit Shirows Vorlage oder Oshiis Adaption nur verlieren konnte, es werden zwar die bekanntesten Stationen des Animes (wie der unvergessliche Kampf im Wasser) abgefrühstückt, aber man bleibt eben nicht sklavisch an der Vorlage kleben, sondern baut soweit um (unter anderem spielt eine Figur aus dem genannten TV-Ableger eine tragende Rolle), dass man zwar trotzdem nicht unbedingt von einer komplett eigenständigen Version sprechen mag, aber der Film durchaus eine Daseinsberechtigung bekommt, was ja schon mal mehr ist, als man von 99,999% aller US-Neubearbeitungen behaupten kann.

Der Stoff wurde aber mit dem Umbau, und das war absolut zu erwarten, natürlich auch gewaltig entschlackt, mit einem Fragezeichen auf der Stirn wird wohl niemand den Kinosaal verlassen, und zudem komplett auf die Hauptfigur zugeschnitten, die hier, mal ganz grob zusammengefasst, lediglich zu sich selbst finden und dann den Oberbösewicht platt machen muss. Der philosophische Unterbau von Manga wie Anime macht hier weitestgehend einer schnöden Konzernkritik Platz. Anderseits – und das ist angesichts der heutigen Blockbuster-Konkurrenz durchaus so einiges wert – verliert sich der Sci-Fi-Thriller auch zu keiner Zeit in bloßem Krawall, sondern platziert seine tollen, wenn auch etwas blutleeren, Actionszenen tatsächlich als aufregende Höhepunkte, hier können sich die Kollegen gerne was abschauen.

„Ghost In The Shell“ erinnert in dieser Neuausrichtung ebenso wie in der fetischisierenden Inszenierung des hocherotischen Hauptcharakters (was wiederum eher auf einer Linie mit Shirows Manga als mit Oshiis Anime liegt) verblüffend an die „Resident Evil“-Filme, vor allem an die vom ewigen Prügelknaben Paul W.S. Anderson inszenierten Teile, wenngleich es deutlich aufgeräumter als bei bad boy Paul zugeht. Ulkigerweise sitzt mit Rupert Sanders ebenfalls ein Brite auf dem Regiestuhl, der nicht nur genauso bildstark inszeniert, sondern ebenso gut das 3D-Format beherrscht und damit auch das größte Pro-Argument liefert: Man kann mit Fug und Recht (auch angesichts des wirklich unfassbar peinlichen „Justice League“-Trailers) schon jetzt die Prognose wagen, dass es sich bei „Ghost In The Shell“ mit Sicherheit um den schicksten Blockbuster 2017 handelt. Der Regisseur ballert mit toll durchkomponierten, unheimlich farbenprächtigen und detailverliebten Bildern nur so um sich, bei denen man – wie zum Beispiel bei den Kamerafahrten durch die Stadt – auch gerne ignoriert, dass so Einiges (mal wieder) klar erkennbar aus dem Rechner kommt; hier tropft aus allen Ecken und Enden einfach so unfassbar viel Style von der Leinwand, dass es vielleicht sogar ganz gut ist, dass der Film nicht durch übermäßige Komplexität glänzt, die Auffassungsgabe eines Menschen ist begrenzt, noch fehlen die passenden Cyberimplantate.

Sicher, Sanders visuelles Prunkstück wird vor allem die Fans der Reihe  eher enttäuschen und durchaus nicht ganz zu Unrecht, die amerikanische Adaption dampft eine extrem vielschichtige Franchise zur verhältnismäßig konventionellen Abendunterhaltung herunter. Der Film ist aber ebenso mit Liebe und Stil gemacht und ermöglicht seinem Publikum einen ungemein beeindruckenden Blick in eine Welt von Morgen. Und auch darum geht es nun mal in „Ghost In The Shell“.

„Ghost In The Shell“ läuft ab dem 30.03.2017 im Kino.

Ghost In The Shell (USA 2017) • Regie: Rupert Sanders • Darsteller: Scarlett Johansson, Pilou Asbæk, Takeshi Kitano, Juliette Binoche, Michael Pitt, Chin Han, Danusia Samal

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