14. August 2017 1 Likes

Der Weltraum im Keller

Was wir aus dem Nachlass eines NASA-Ingenieurs lernen können

Lesezeit: 4 min.

In den NASA-Archiven spielen sich manchmal sehr merkwürdige Geschichten ab.

Sie glauben mir nicht? Dann hören Sie sich folgende Anekdote an: Ende 2015 starb ein pensionierter NASA-Ingenieur in Pittsburgh, und seine Familie beauftragte einen Schrotthändler damit, seinen riesigen Keller auszuräumen. Zu seinem Erstaunen fand der Händler aberhunderte Magnetbänder mit NASA-Logo sowie zwei überdimensionale Computer aus der Apollo-Ära. Die Bänder – so war später auf Ars Technica zu lesen – waren in schlechtem Zustand, verschimmelt und mehr oder weniger unbrauchbar. Die beiden Computer waren so groß, dass man sie mit einem Kran aus dem Keller holen musste.

Was war da los? Hatte der Ingenieur die Bänder und die Computer gestohlen? Waren das möglicherweise wichtige Daten? Wie hatte er es geschafft, zwei Computer von so gewaltigen Ausmaßen aus der NASA-Zentrale in Houston zu schmuggeln? Was befand sich auf den Bändern? Womöglich – und schon rieben sich die Verschwörungstheoretiker die Hände – Beweise dafür, dass die Mondlandung nie stattgefunden hat?

Leider nicht, also beruhigen Sie sich bitte wieder. Der Schrotthändler war vorausschauend genug, sich sowohl bei den Angehörigen wie auch bei der NASA zu erkundigen, ob es sich bei den Bändern und Computern um Diebesgut handelte. „Sie stammen aus der Allegheny-Zentrale von IBM in Pittsburgh“, sagte der Erbe. Tatsächlich hatte die dortige IBM-Filiale damals für die NASA gearbeitet. „Irgendwann zwischen 1968 und 1972 wurde der Bestand ausgemustert. Der Ingenieur fragte, ob er die Bänder und Computer mitnehmen dürfe, und IBM hatte nichts dagegen.“

Wie bitte?

Allein die Vorstellung, dass Archivmaterial aus einer ziemlich bedeutenden Epoche in der Geschichte der NASA – als der erste Mensch den Fuß auf den Mond setzte – dem Erstbesten geschenkt wurde, der es haben wollte, lässt mich beinahe ausflippen. Zugegeben, der Archivar, der das Material nach seiner Entdeckung sichtete, kam zu dem Schluss, dass die Bänder keine historisch bedeutsamen Daten enthielten und vernichtet werden konnten. Trotzdem. Wie zum Teufel konnte so eine Entscheidung getroffen werden?

Die Archivare vom „History Program“ der NASA verstehen ihr Handwerk. Sie sind sehr hilfsbereit und freundlich, wie ich im Rahmen einer anderen Kolumne herausfand; damals hatte ich wissen wollen, wer die vielen Fotos auf ihrer Website freigegeben hatte. Wenn diese Archivare sagen, dass das Material historisch nicht bedeutsam ist, dann glaube ich das ihnen.

Dennoch: Ich denke, dass diese Daten digitalisiert und gespeichert werden sollten, bevor man die Bänder auf den Müll wirft. Sicher, das ist keine besonders aufregende Arbeit, aber irgendwo muss doch ein unterbezahlter Praktikant aufzutreiben sein, der sie erledigt.

Jetzt fragen Sie sich wahrscheinlich, warum mir das so wichtig ist. Irgendein Typ aus Pittsburgh hatte einen Haufen alter NASA-Magnetbänder in seinem Keller liegen, na und? Nun, meine Meinung lautet: Vielleicht sind diese Bänder historisch nicht bedeutsam; interessant könnten sie trotzdem sein.

Ein Beispiel: Das Armstrong Flight Research Center im kalifornischen Edwards, das wichtige Flugtests für die NASA durchgeführt hat, stellte in den letzten drei Monaten sein gesamtes Archiv online zur Verfügung. Bisher kann man sich mehr als die Hälfte des insgesamt fünfhundert Stunden langen Filmmaterials auf YouTube ansehen. Ich möchte wetten, dass nicht alles davon historisch bedeutsam ist – faszinierend ist es aber auf alle Fälle. Wenn man dieses Archiv durchforstet, findet man Aufnahmen der Bell X-1 – des ersten Überschallflugzeugs, geflogen von Chuck Yeager persönlich – sowie der Boeing X-43, des Mondlandungs-Versuchsgeräts und des Space Shuttle. Großartig. Vielleicht nicht von historischer Warte aus, aber ich bin trotzdem froh darüber, dass sich jeder Interessierte diese Filme ansehen kann.

Bevor das ARFC alles aus freien Stücken auf YouTube hochlud, war dieses Material extrem schwer zu bekommen. Natürlich war es nicht im Keller einer Privatperson versteckt, sondern lagerte in der Videobibliothek der Einrichtung – man konnte die Filme auf Anfrage sichten. Allerdings war es unglaublich mühsam, das, was man suchte, auch zu finden. Wie schön, dass diese historischen Dokumente – ob bedeutsam oder nicht – nun der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. (Nicht zuletzt, weil die wackeligen Cinemascope-Aufnahmen der Sechzigerjahre-Ingenieure, die mit Raketen aus der Zeit des Kalten Kriegs hantieren, auch ziemlich lustig sind.)

Zumindest ein Geheimnis um die Computer des verstorbenen Ingenieurs gilt es noch zu lüften. „Die NASA-Computer sind mit der Vertragsnummer NAS5-2154 beschriftet. Die NASA … besitzt keine Unterlagen mehr zu diesem Vertrag. Was nicht weiter überraschen dürfte, immerhin hat es die NASA fertiggebracht, die Filmaufnahmen der Mondlandung von Apollo 11 zu löschen“, schrieb J. M. Porup in seinem Ars-Technica-Artikel.

Also, wenn das kein Aufhänger für eine spitzenmäßige Science-Fiction-Geschichte ist, dann weiß ich auch nicht. Aber nicht vergessen: Es war meine Idee.
 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop) und „Enforcer“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.