31. August 2017

„Es ist gut, nichts zu fühlen!“

Alain Gsponers Klassiker-Verfilmung „Jugend ohne Gott“ möchte Horváth adaptieren, aber nur ein bisschen

Lesezeit: 3 min.

1937 schrieb der Österreicher Ödön von Horváth seinen Roman „Jugend ohne Gott“, der aus der selbstreflexiven Perspektive eines Lehrers das Wesen eines autokratischen, auf Stärke und Leistung getrimmten Staates schildert, in dem der Lehrer wie so viele andere Mitläufer ist. Für die Zeitgenossen war klar, dass Horváth sich auf die Zustände seiner Gegenwart bezog, also auf die Strukturen des Naziregimes, was sein Werk bald auf die schwarze Liste der Gestapo brachte. 80 Jahre später kommt nun also eine aufwändige Verfilmung, die Grundkonflikte der Erzählung in eine nicht näher definierte Zukunft verlegt, eine Welt, in der die Schere zwischen Reich und Arm immer größer geworden ist. Wieso und warum, wie diese Welt funktioniert, ob es noch Demokratie gibt, auch wie die Auswahl der Menschen funktioniert, die in Sektoren eingeteilt sind, erfährt man in Alain Gsponers Film allerdings nicht, was die erste große Schwäche einer ambitionierten Adaption ist. Horváth brauchte keinen Kontext skizzieren, vor dem er seine moralische Fabel erzählte, in welche Richtung sich das Dritte Reich schon 1937 entwickelt hatte, war unübersehbar. Für einen dystopischen Film – und so einer möchte diese Adaption von „Jugend ohne Welt“ sein – ist eine gewisse Basis allerdings notwendig, zumindest eine Andeutung von der Welt, vor der sich die Geschichte abspielt.

So bleibt allzu lange unklar wer diese jungen Menschen sind, die da aus einer von kaltem Beton und strengen Formen geprägten Großstadt in ein Camp in den Bergen fahren, um von einem Konzern auf ihre Führungsqualitäten getestet zu werden. Anfangs wirkt Zach (Jannis Niewöhner) wie das Zentrum der Erzählung, mit ihm beginnt die Reise in das Camp, mit dem Blick eines offensichtlich etwas Außen stehenden, der nicht so sehr an den Staat glaubt, wie seine Altersgenossen. Doch dann springt der Fokus plötzlich zu Nadesh (Alicia von Rittberg), die nichts mehr will als den Kurs bestehen und ein Zertifikat erlangen, das ihr die Möglichkeit zum Studium an einer der besten Unis ermöglicht und damit ein Leben als Teil der Elite.

Aus ihrer Perspektive entwickelt sich nun die Geschichte, sie beobachtet Zach, der im Wald ein Mädchen namens Ewa (Emilia Schüle) kennenlernt, eine so genannte Illegale, eine Asoziale, wie es den Schülern eingebläut wird. Und dann ist Nadesh plötzlich tot und die Erzählung springt noch einmal an den Anfang, bleibt diesmal bei Zach, dessen Vater sich vor kurzem das Leben genommen hat. Manches wird nun doppelt erzählt, manche neue Perspektive geöffnet, bis nach weiteren 40 Minuten noch einmal zurückgesprungen wird und aus Sicht des Lehrers (Fahri Yardim) erzählt wird, die eigentlich interessanteste, ambivalenteste Figur der Geschichte, die im Film im Gegensatz zum Roman jedoch nur am Rand steht.

Etwas bemerkenswertes gelingt dieser Adaption: Sie macht den Roman komplizierter, erzeugt durch multiperspektivisches Erzählen lange Zeit Konfusion und banalisiert dadurch die moralische Komplexität von Horváths Roman, die vom Verlust der Mitmenschlichkeit erzählt, von einem kalten Geist, der die Schwachen ausmerzt und die Starken protegiert. Dabei liegt es auf der Hand, warum den Produzenten an diesem Stoff lag, warum diese 80 Jahre alte Erzählung so sehr in die Gegenwart passt: Eine zunehmende Kälte durchzieht auch unsere moderne Gesellschaft, das Internet verstärkt Tendenzen zum Mobbing, zu zugespitztem Denken, in dem kaum noch Raum für Zwischentöne ist, das nur richtig oder falsch kennt. Parallel wächst der Erfolgsdruck, der Zwang zur Selbstoptimierung, zum egoistischen Denken. Relevante Themen, die in „Jugend ohne Gott“ immer wieder durchscheinen, auch mal überdeutlich verbalisiert werden. Schade nur, dass diese Verfilmung diesem düsteren Stoff am Ende doch nicht so ganz traut und lieber auf den Markt der Teenieromanze schielt, was man ihm angesichts seiner Riege deutscher Nachwuchsstars zwar nicht verdenken kann, die Vielschichtigkeit von Horváths Roman jedoch verschenkt.

„Jugend ohne Gott“ läuft ab 31.08. im Kino. Abb. © Constantin Film

Jugend ohne Gott • D 2017 • Regie: Alain Gsponer • Darsteller: Jannis Niewöhner, Fahri Yardim, Emilie Schüle, Alicia von Rittberg, Anna Maria Mühe

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