28. September 2017 3 Likes

Fast allES ist gut

Stephen Kings Magnum Opus über die Furcht vor Monstern aller Art in adäquater Filmversion

Lesezeit: 4 min.

Zu seinem 70. Geburtstag am 21. September dieses Jahres bekam Stephen King ein Geschenk, über das er sich zu Recht öffentlich freute: Die neue Filmadaption seines voluminösen Romans Es (1986; im Shop) – für einen erheblichen, wenn nicht den überwiegenden Teil des hingebungsvollen King-Lesepublikums neben The Stand (1978/1990) einer der Großen Dunklen Türme seines bisherigen Gesamtwerks – legte den erfolgreichsten Start hin, der je einem Horrorfilm an den amerikanischen Kinokassen gelang. Und noch viel mehr Anlass zur Freude (und beileibe nicht nur Kings, das sei vorab versichert) gab der Film selbst: Nachdem das Projekt in beunruhigender Parallele zu Nikolaj Arcels Der Dunkle Turm jahrelang in der Development-Hölle zerkocht zu werden drohte, rannte der Autor nach der ersten Sichtung gleich in die zweite Vorstellung, weil er kaum glauben konnte, wie tongetreu und verbindlich rund Regisseur Andy Muschietti sowie das Drehbuch-Team Chase Palmer, Cary Fukunaga und Gary Dauberman die fordernde Vorlage verarbeitet hatten.

Mit der Geschichte um eine gestaltwandelnde Monstrosität, die sich alle 27 Jahre in der Kanalisation der fiktiven Ostküsten-Städtchens Derry aus dem üppigen Verdauungsschlaf erhebt, von Kinderfleisch und Angst ernährt und schließlich am aus sechs Jungs und einem Mädchen im zarten Teenager-Alter bestehenden „Klub der Verlierer“ die Zähne ausbeißt, schuf Stephen King sein nicht unbedingt bestes, aber bezüglich des gütezeichensetzenden Ehrgeizes und breiten epischen Horizonts zweifelsfrei größtes Werk. Es markiert ein für alle Mal etliche der Trademarks und Leitmotive, die man – neben der nach spätestens ca. sechs Absätzen unverkennbaren Erzählerstimme – mit Kings Autorschaft identifiziert: die US-Kleinstadt als Zugriffsoption von Welttotalität; die sentimental überhöhte, aber nachdrücklich empfindsame Darstellung von Adoleszenz als Brennglas wirklicher Humanität; unwirklicher Horror als atmosphärisches Hauptrequisit und Brandbeschleuniger innerer und sozialer Konflikte; all das „durch die Intensität seines Erzählzwangs so glühend heiß“ (Dietmar Dath) gemacht, dass auch Ausfransungen und Grobgeschustertes die beglückende Strapaze der Lektüre nicht schmälern.

Bereits 1990 gab es eine Fernseh-Zweiteiler-Adaption (Regie: Tommy Lee Wallace) von Es, deren gute Absichten ziemlich weit hinter ihrer den diversen TV-Format-Limitierungen geschuldeten, hölzernen Behäbigkeit zurückblieben, der es jedoch immerhin gelang, den tanzenden Clown Pennywise – dies die Gestalt, die Es vorzugsweise annimmt, wenn es nicht gerade seinem jeweiligen Opfer in Form von dessen schlimmster Furcht entgegentritt, ikonischen Schauergestalten die Referenz erweist oder unmaskiert in seiner Höhle eine Mahlzeit einnimmt – mit Tim Curry zu besetzen und dieser Kreatur erst dadurch endgültig Einlass in den Monster-Kanon populärer Genre-Kunst zu gewähren. Abgesehen davon brauchte es offenbar seine Zeit, bis man King-Verfilmungen mit einer anderen als der irrigen Annahme anging, seine Romane seien lediglich Futter für filmische Geisterbahn-Banalitäten, die sorglos auf die eigentlich wichtigen Dinge pfeifen. Lediglich jene Werke, in denen fantastischer Horror keine oder eine marginale bzw. unmittelbar symbolische Rolle spielt – Misery, Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers, Die Verurteilten oder The Green Mile –, gelang es, sowohl den Vorlagen gerecht zu werden als auch eigenständig zu funktionieren.

Muschietti (um ihn der Einfachheit halber mal in die Hauptverantwortung zu nehmen, wofür nicht zuletzt sein geschmackvolles, von u.a. Guillermo del Toro produziertes Langfilm-Debüt Mama spricht, das 2013 erschien), gelingt das ebenfalls. Er macht grundsätzlich vieles richtig und kaum was verkehrt. Er rückt seine jungen Hauptfiguren, deren Präsenz und Interaktion in den Mittelpunkt, und diese Kids sind extrem alright – Jaeden Lieberher als melancholischer „Stotter-Bill“ Denbrough, Jeremy Ray Taylor als unzenreicher Ben Hanscom und Finn Wolfhard als riesenbebrilltes One-Liner-Maschinengewehr Richie Tozier ragen aus der anrührenden Außenseiter-Gemeinschaft hervor, doch die größte Aufmerksamkeit sowohl im Film als auch jenseits der Leinwand zieht eindeutig das im nachdrücklichen Sinne zauberhafte Gesicht und Agieren von Sophia Lillis als Beverly Marsh auf sich. Sie ist Herz- und Glanzstück von Es. Muschietti lässt den Klub der Verlierer viel erfüllende, unter mal positiven, mal negativen Spannungen stehende Zeit miteinander verbringen, unterbrochen von den grausigen Attacken Pennywises (es ist unwichtig, ob das Monsterclown-Design gefällt oder nicht; gelungen ist es allemal) oder der Bande um den soziopathischen Dreiviertelstarken Henry Bowers (dessen Monstrosität der von Pennywise kaum nachsteht). Ob räumliche Gestaltung, Rhythmus oder Soundtrack-Songauswahl: Alles lässt erkennen, dass man sich die richtigen Gedanken gemacht hat. Allerdings drängen sich bisweilen die Bemühungen, den Ton zu treffen, lauter als der Ton selbst in den Vordergrund. Wäre der 135 Minuten lange Film noch eine halbe Stunde umfangreicher, hätten sich Muschietti und seine Leute der Entwicklung ihrer Figuren sowie der signifikanten Stadtkulisse noch ausführlicher gewidmet, statt derlei in ein wenig hastig anmutenden Vignetten abzuhaken – dann blieben womöglich keine Wünsche mehr übrig, wie eben der, dem Klub der Verlierer bei ihrem Kampf (gegen die Angst vor den monströs wuchernden Zumutungen der Erwachsenenwelt, für Freundschaft und wahre Menschlichkeit) deutlich länger zuschauen zu wollen.

„Es“ ist seit dem 28.09. bei uns im Kino zu sehen.

Es • USA 2017 • Regie: Andrés Muschietti • Darsteller: Jaeden Lieberher, Bill Skarsgård, Sophia Lillis, Nicholas Hamilton

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.