6. Oktober 2017 1 Likes

5. HARD:LINE Film Festival

Horror! Splatter! Science-Fiction! Liebe! (?) – und alles in vier Tagen!

Lesezeit: 6 min.

Es ist mehr als ein erfreulicher Umstand, dass seit einigen Jahren die deutsche Filmfestivallandschaft am Erblühen ist, denn wer keine Lust auf Marvel-Fastfood oder französische Weichspülkomödien hat, wird im Kino nur noch selten bedient und dabei gibt es viele, tolle und vor allem bildgewaltige Filme, die eine Auswertung auf der Leinwand weitaus mehr verdient hätten als irgendwelcher Smartphone-Smilie-Animationsquatsch. Aber zum Glück sind da Leute wie Florian Scheurer, der zusammen mit seinem Team seit nunmehr fünf Jahren ein kleines, aber feines Festival auf die Beine stellt, das sich laut Homepage dem „extremen Kino“ verschrieben hat. Eine leicht neblige Bezeichnung, die natürlich erstmal vor allem Horror in den Sinn kommen lässt und das Programm ist tatsächlich stark horrorlastig, wurde dieses Jahr allerdings auch mit Komödien oder gar einem völlig harmlosen, sehr niedlichen Liebesfilm verrührt. Primär geht’s dem Team laut Eigenauskunft jedenfalls in erster Linie darum, kleinen Produktionen eine Chance auf die Leinwand und den oft völlig unbekannten Machern eine Chance auf Öffentlichkeit zu geben und das ist eine Motivation, die man gar nicht genug würdigen kann.

Gar nicht genug würdigen kann man auch die angenehm heimelige Quasi-Wohnzimmer- Atmosphäre des Festivals, die „Hard:Liner“ haben nicht nur interessante Filme im Gepäck, sondern führen außerdem vor, was in Zeiten von Online-Tickets immer mehr verloren geht: Persönlichkeit. Bereits am Eingang wird man von freundlichen Teammitgliedern (oft steht der Chef selbst hinter den Tresen) begrüßt und das ganze Team stellt sich bei Beginn des Festivals noch mal auf der kleinen Bühne vor der Leinwand vor. Sehr süß, auch weil man die Angespanntheit und leichte Nervosität jederzeit merkt – hier sind keine gelangweilten Routiniers am Start, sondern Menschen mit Leidenschaft; Menschen, die noch was wollen. Der stark persönliche Touch zieht sich durch das ganze Programm: Nach den Filmen gab es Frage-Runden mit den eingeladenen Regisseuren, Produzenten und Schauspielern und die Künstler, die nicht kommen konnten, stellten ihre jeweiligen Produktionen mit eigens gedrehten Einführungsvideos vor. Toll!


Das Festivalkino

Ein dicker Vorteil ist natürlich die geniale Location: Das Festival findet im seit 1971 existierenden 1-Saal-Ostentor-Kino statt, dem ersten Programmkino Deutschlands, das 2013 mit einer erfolgreichen Petition vor der Schließung bewahrt wurde – Gott sei dank! Das Kino befindet sich technisch sicherlich nicht am Puls der Zeit (was sich ab und an vor allem beim Sound ziemlich bemerkbar macht), dafür gibt es links neben der Leinwand einen direkten Durchgang zur ebenso alten, total urigen, kleinen Kinokneipe, indem man nach dem Abspann schlechte Filme direkt mit zwei, drei, vier oder auch fünf Bier wieder wegspülen kann – mal ehrlich: Wen interessiert da noch Dolby Atmos? (die Kneipe war weiterhin Veranstaltungsort zweier Aftershowpartys des Festivals, auf denen man in zutiefst entspannter Atmosphäre quatschen und weitere zwei, drei, vier oder auch fünf Bier kippen konnte – erfreulicherweise waren auch die Gäste unter dem partywütigen Volk anzutreffen – offenbar pflegen besonders Kanadier ein extrem inniges Verhältnis zum deutschen Gerstensaft!).

Zum Programm: Natürlich gab es für Sci-Fi-Fans einiges zu entdecken: In der leider viel zu ausgewalzten Fake-Doku „Top Knot Detective“ über eine japanische Serie und dessen extravaganten Hauptdarsteller trifft ein Samurai auf Außerirdische und Penis-Monster, „Cold Ground“ lässt sich am besten als „Blair Witch Project“ im Eis mit leichtem Lovecraft-Touch beschreiben und „Bite“ wildert unoriginell in cronenbergsche Body-Horror-Gefilde.


Bite (© 2017 Breakthrough Entertainment)

Als echte Offenbarung entpuppte sich allerdings das Low-Budget-Sahnestückchen „Domain“, das eine Besprechung ohne heftige Spoiler allerdings extrem schwer macht. Der Plot klingt jedenfalls anfänglich wie eine Billarde Mal da gewesene Durchschnittskost, macht allerdings im letzten Drittel einen heftigen, smarten Schlenker, der einen am besten unvorbereitet treffen sollte, deswegen jetzt mal nur ganz grob: Ein Virus hat nahezu alle Menschen ausgelöscht, eine kleine Anzahl wurde allerdings rechtzeitig in unterirdische, bestens ausgestattete Bunker untergebracht um das Fortbestehen der Menschheit zu sichern. Immer sieben sind mit einem Skype-artigen Kommunikationssystem namens „Domain“ verbunden um aufeinander zu achten, doch eines Tages kommt das soziale Gefüge ins wanken, als einer aus der Gruppe, von der der Film handelt, eine finstere Vergangenheit offenbart, zudem scheint das System immer mehr Störungen zu haben….

„Domain“ verzichtet auf PiffBoomBang, sondern entpuppt sich als reduziertes, gut gespieltes Sci-Fi-Kammerspiel mit Mysteryeinschlag, das sämtliche Klischee-Klippen, die Dystopien so mit sich bringen, elegant umschifft (im Mittelpunkt steht die Bedeutung von Kommunikation und Kontakt, nicht das Ringen um Lebensmittel), auch über den Abspann hinaus noch interessante Fragen stellt und weiterhin mit einer ganz wunderbaren, sehr eindrucksvollen Optik im 70er-/80er-Jahre-Stil plus einem fulminanten Soundtrack besticht – da vergisst man schnell, dass der größte Teil des zudem ziemlich geschickt inszenierten Films eigentlich nur in einem Raum spielt. Ein kleines Juwel, das in den nächsten Jahren sicherlich zum ehrfurchtsvoll weitergeflüsterten Sci-Fi-Geheimtip mutiert – ihr habt’s hier zuerst gelesen!

Das Gleiche gilt auch für „Saving Sally“, der allerdings in eine ganz andere Richtung steuert und trotz aller vertretenen Monster, Psychokiller und Kannibalinnen bei der Abstimmung nicht nur zur Überraschung der Veranstalter zum absoluten Publikumsfavoriten mutierte – es handelt sich hierbei nämlich, um den Regisseur zu zitieren, um eine „ganz normale Liebesgeschichte“! Marty und Sally sind klassische „Nerds“, die in einem futuristischen Manila leben. Er ist Comic-Künstler, der so versunken in seiner Welt ist, dass er seine Umgebung regelrecht aus Comic-Augen sieht, vor allem unliebsame Mitmenschen nimmt Marty als verschiedenartige Monster war. Sie ist Apparaturenerfinderin (was dem Ganzen zudem eine Steampunk-Breitseite gibt) und hat Marty einst vor einem fiesen High-School-Tyrannen gerettet. Seitdem sind die beiden besten Freunde. Wenn da nur nicht die Liebe wäre. Der Comic-Träumer hat sich schwer in Sally verknallt, traut sich’s aber nicht ihr zu sagen. Doch gerade als er endlich den Mut fasst, erfährt er, dass seine Angebetete mit dem arroganten Nick angebandelt hat, ein weiteres Problem offenbart sich zudem noch in Form von Sallys monströsen Adoptiveltern…


Cold Ground (© 2017 Fright House Pictures)

Natürlich, originell geht anders, das Entscheidende an der philippinischen Produktion ist aber nicht das was, sondern das wie: „Saving Sally“ dreht das „Roger Rabbit“-Prinzip um und versetzt seine reale Akteure in eine kunterbunte 2D-Comicwelt, in der alles möglich ist. Und es ist gerade diese wunderbare, herrlich verspielte Optik, die plausibel macht, wieso sich Regisseur Avid Liongoren für eine simple Liebesgeschichte mit unheimlich charismatischen, wirklich süßen Darstellern entschieden hat, denn es ist gerade dieser lebensnahe (alle „Up- and Downs“ mit inbegriffen) Kern, der dem bunten Treiben Bodenhaftung gibt, der dafür sorgt, dass das Geschehen am Zuschauer nicht vorbeirennt, es ist aber auch gerade die fantasievolle, visuelle Gestaltung, die die alltägliche Geschichte ungemein intensiviert – wenn Marty sich in seinen Tagträumen in einen unbesiegbaren Superhelden verwandelt, der sein Mädel retten will, dabei in der Realität aber von seinem Mädel vor einem herannahenden Bus gerettet wird, ist das visuell bezaubernd umgesetzt und nicht unkomisch, allerdings auch nicht flach oder gar  diffamierend, man kann Gefühle dieser Art wohl ohne Probleme nachvollziehen. Sowieso: Regisseur Liongoren, der sein Einführungsvideo mit einer Handpuppe (!) bestritt, steht jederzeit auf der Seite seiner Protagonisten, anders als in vielen US-Produktionen (man denke da nur an „The Big Bang Theory“), die die Nerd-Kultur in erster Linie ausbeuten, liebt „Saving Sally“ seine Protagonisten von ganzen Herzen und es ist gerade diese ehrlich, aufrichtige Natur des Films, der sich auch nie in Zynismus und Plattheiten flüchtet, um über die Runden zu kommen, die ihn einfach so wahnsinnig sympathisch macht. 

Nach dem Abspann wurde noch der ebenso wunderbare Kurzfilm „The Girl and the World“ gezeigt, den man sich unterhalb dieses Beitrags anschauen kann – wer danach Appetit bekommen hat sollte auch unbedingt die offizielle Webseite von Avid Liongoren ansteuern, denn dort gibt’s weitere tolle Sachen zu entdecken!

Jedenfalls: Schön war’s, sehr schön! Das HARD:LINE Film Festival ist ein angenehm uriges, von echten Enthusiasten organisiertes Filmfestival mit stark persönlichem Touch, auf dem Leute, in denen der Entdeckergeist (immer) noch glüht, sich mit Sicherheit pudelwohl fühlen werden.

Großes Bild ganz oben: Domain (© 2017 Atchenson)

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