6. Oktober 2017 2 Likes

Atari Noir – „Blade Runner 2049“

Denis Villeneuves epische Reise ins Herz der Finsternis

Lesezeit: 4 min.

Natürlich kann man sich die Frage stellen, was das alles soll. Star Wars, Alien, Dumm und dümmer – allesamt Klassiker, die kürzlich nach teilweise jahrzehntelanger Pause Fortsetzungen erhielten. Mit größtenteils ziemlich enttäuschenden Ergebnissen. Im Falle von Blade Runner 2049 nun scheinen sich hingegen alle einig zu sein: Der fast makellose Rotten-Tomatoes-Score zeigt eindeutig in Richtung Meisterwerk. Und tatsächlich ist das fast dreistündige Sequel eines der einflussreichsten (und seltsamsten) SF-Filme aller Zeiten tatsächlich ein absolutes Muss für jeden, der auch nur ansatzweise Bock auf Kino hat.

35 Jahre nach Ridley Scotts sehr freier Verfilmung des Philip-K.-Dick-Romans Träumen Androiden von elektrischen Schafen? übernimmt der absolut wasserdichte Denis Villeneuve das Ruder von Sir Ridley, was sich als großer Glücksgriff erweist. (Man muss sich nur mal aktuelle Interviews mit dem faltigen Briten ansehen, dann versteht man sehr gut, warum Alien: Covenant wirkt wie der wirre Fiebertraum eines betrunkenen Glasgowers.) Was sich in Villeneuves bisherigen Kollaborationen mit Kameragott Roger Deakins Prisoners und Sicario bereits andeutete, wird hier zur Meisterschaft perfektioniert: Mit ihrem handverlesenen Heer aus Produktionsdesignern und Effektspezialisten bringen sie eine dystopische, retrofuturistische Welt auf die Leinwand, die nicht nur inhaltlich dem Geist des Originals verbunden bleibt, sondern auch in puncto visionärer Gewalt. Die Schauwerte (und im SF-Kino sind diese ja ausnahmsweise vom Dünkel befreit) evozieren spektakuläre Fortschreibungen der detailliert texturierten Umgebungen ihrer früheren Werke und erschaffen in Verbindung mit dem zerebralen Score von Hans Zimmer und Es-Komponist Benjamin Wallfisch ein transzendentales Tableau voller „sense of wonder“-Momente, die man in dieser Form wahrscheinlich seit dem 82er Original im Kino nicht mehr gesehen hat.

Wobei der beste Special Effect wohl die Zeit ist, die Villeneuve sich nimmt. Bei der Inszenierung des verschlungenen Plots (der in bester Hardboiled-Manier u.a. wieder vom Autor des Blade Runner-Drehbuchs Hampton Fancher ersonnen wurde) gibt er allen nötigen Entwicklungen genug Raum und vertraut zurecht auf die Kraft seiner Bilder. Innen- und Außenwelten verschmelzen, und besonders ein orange-saturierter Trip ins Herz der Finsternis (sprich: Las Vegas) wird zu einer großartigen Reminiszenz an die SF-Meisterwerke seines großen Vorbilds Andrej Tarkovski. Natürlich gibt es obligatorische Action – auch Ridley Scotts Film jagte Harrison Ford diverse Treppen rauf und runter –, doch immer im Dienst der Story und in den Flow der Geschichte eingewoben. World-Building an allen Ecken und Enden.

Es ist ein diesiger Brocken von einem Science-Fiction-Film, den man sich gerahmt an die Wand hängen möchte, während aus High-End-Lautsprechern das Sounddesign Walfisch-große Räume flutet. Eine wunderbar aufgeblasene Atari-Noir-Kulisse der pompösesten Art, in der man versinken will. Und der perfekte Rahmen für die großen Themen, die Villeneuve behandelt und die (Achtung: Fortsetzung!) natürlich noch größer sein sollen als die des Originals. Und hier erliegt Blade Runner 2049 leider dem Matrix Reloaded-Fluch – und wenn man ehrlich ist auch der Konventionalität, die diese ganzen Messias-Geschichten so mit sich bringen.

Denn ohne zu viel zu verraten: Auch den Machern des technisch in jeder Hinsicht faszinierenden Meilensteins reicht es nicht, die großen Problemkomplexe, die sie behandeln, nur implizit darzustellen. Nein, es geht ganz explizit um das Ende der Welt und die Ankunft des Erlösers. So als wäre der Malteser Falke nicht nur ein exotischer MacGuffin, sondern die Reinkarnation von Jesus Christus. Dass dabei der mit Abstand schwächste Aspekt des ersten Blade Runner, die nicht mal ansatzweise überzeugende „Liebesgeschichte“ zwischen Officer Deckard und der Replikantin Rachael, zum Dreh- und Angelpunkt der dramatischen Entwicklungen wird, nimmt dem Sequel viel von seiner Kraft. Emotionalen Puch entwickelt der Film eher an anderer Stelle – so sorgt beispielsweise eine Szene, in der eine Art futuristischer USB-Stick von einem Stiefel zertreten wird, für einen der bittersten Kinomomente des Jahres. In diesen scheinbar kleinen Vignetten brilliert BR 2049: Die Szenen mit Officer K.s (wie in Philip K. Dick? Oder Franz K.? Man weiß es nicht) virtueller Lebensgefährtin Joi etwa sagen in ihrer beiläufigen Alltäglichkeit tausendfach mehr über das Wesen der Identität und die Notwendigkeit einer wie auch immer gearteten Seele aus als alle frisierten, weltschweren und apokalyptischen Monologe des wie immer viel zu laut spielenden Jared Leto in der Rolle des Tyrell-Erben Niander Wallace. Bei all der Schwere tut es ganz gut, wenn Gosling und Ford bei ihrer ersten Begegnung im verlassenen Show-Saal eines postnuklearen Kasinos zwischen größtenteils lautlosen Elvis-, Marilyn- und Liberace-Hologrammen ganz altmodisch die Fäuste fliegen lassen, um dann beim Whisky ein lakonisches Männergespräch zu führen. Leider kommt ihnen dann ziemlich schnell wieder der überkandidelte Plot mit Replikantenarmeen, Jesus-Metaphern und jeder Menge philosophischem Raunen in die Queere. Was soll’s.

Denis Villeneuve hatte nach eigenem Bekunden sehr großen Respekt vor der Aufgabe, dem essenziellen (wenn auch nicht unumstrittenen) SF-Klassiker eine adäquate Fortsetzung zu bescheren. Sollte ihn das bei der Arbeit gehemmt haben, sieht man es Blade Runner 2049 in keiner Sekunde an. Es ist ein Villeneuve-Film durch und durch, der gleichzeitg fast alles richtig macht, um den Spirit und vor allem das geniale Welt-Design des Originals zu bewahren und für eine neue Kino-Ära zu adaptieren. Es ist ein fantastischer Trip, der trotz besagter Mängel ziemlich hoch über allem thront, was man in dieser Preisklasse sonst zu sehen bekommt. Dass die ambitionierten Macher mehr wollten, als ihnen gut tat, liegt da wahrscheinlich in der Natur der Sache. Kleine Makel sind nur menschlich, denn die allzu perfekten Replikanten enden meist mit Tränen im Regen.

„Blade Runner 2049“ ist seit dem 5. Oktober bei uns im Kino zu sehen.

Blade Runner 2049 • USA / UK / Can 2017 • Regie: Denis Villeneuve • Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Robin Wright, Jared Leto, Dave Bautista, Ana de Armas

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