23. Oktober 2017

Die Kunst der Esmerik

Eines der wichtigsten Sachbücher über Jack Vance ist endlich auf Deutsch erschienen

Lesezeit: 4 min.

Dass der stets „Jack“ genannte John Holbrook Vance (1916–2013) die Science-Fiction wesentlich bereichert hat, ist bekannt; dass er darüber hinaus jedoch auch als literarischer Autor gelesen werden kann, wird speziell hierzulande gern übersehen. Welchen Aufwand Vance beim Schreiben seiner Bücher nicht nur in Sachen Phantasie, sondern auch in stilistischer Hinsicht getrieben hat, wurde bereits 1986 von Jack Rawlins untersucht, dessen Studie „Demon Prince: The Dissonant Worlds of Jack Vance“ längst zu den einschlägigen Standardwerken zählt. Jetzt ist das aufschlussreiche Buch in der Edition Andreas Irle endlich auch auf Deutsch erschienen.

Jack Rawlins: Der DämonenfürstRawlins, der als Professor für englische Sprache an der California State University in Chico (USA) unterrichtet, unterteilt das Werk von Vance in drei „völlig unterschiedliche Perioden“. In der ersten, die er von 1945 bis in die Mitte der 1950er Jahre datiert, sieht Rawlins in Vance primär einen Imitator, der sich an den gängigen Motiven aus John W. Campbells Magazin Astounding orientiert: „Die Betonung lag hier auf einer cleveren Idee oder provokanten Hypothese als Kern der Geschichte, gewürzt mit harter, technologischer Wissenschaft.“ Die Geburt des eigenständigen Schriftstellers Vance fand erst 1957/58 statt, als Bücher wie „Big Planet“ („Großplanet“) oder „The Languages of Pao“ („Die neuen Sprachen von Pao“) die Linie der folgenden siebzehn Jahre festlegten: die Faszination für fremde Kulturen – und für die durchaus problematische Willkür ihrer Konventionen. Folgerichtig interessierten sich die erdachten Geschichten „immer weniger für technologische Hardware, sondern mehr und mehr für exotische Personen und Orte“. 1973 beginnt dann Vances dritte Periode, die von den beiden Büchern „The Anome“ und „Trullion: Alastor 2262“ (die jeweils den Durdane- beziehungsweise den Alastor-Zyklus eröffnen) eingeleitet wurde. Ab hier löst Vance die Plotstrukturen zunehmend auf: „Die Handlungen führen ins Nichts, die Helden sind der Verwirrung preisgegeben, und Vances Romane beginnen, sich allein den Örtlichkeiten und deren Esmerik zu widmen.“

Vances Wortschöpfung „Esmerik“ ist für Rawlins dann auch jener zentrale Begriff, über den sich dessen Werk erschließt. In seinem Roman „Die Asutra“ (1973) heißt es, das Wort umschreibe „die Assoziationen oder die Atmosphäre, die einem Ort anhaften: die unsichtbaren Geister, die verklungenen Geräusche, die Ablagerungen von Ruhm, Musik, Tragödie, Jubel, Kummer und Schrecken“, die sich niemals verflüchtigen würden. Für Vance ist dieser Begriff so zentral, dass sein gesamtes Werk um ihn kreist. Rawlins beschreibt die verschiedenen Techniken, die Vance hierzu anwendet, und die oft auf einem Weglassen bestimmter Informationen beruhen: „Ein Hauptakzent von Vances Kunst ist, dass mehr verworfen als erhalten wird. Stets erhaschen wir Bilder auf grenzenlose Reiche, die gerade außerhalb unserer Sichtweite lauern.“ Auf diese Weise bleibt das Exotische exotisch, weil die Erklärung, die es seines Zaubers berauben würde, eben nicht erfolgt. Oft sind es nur wenige Worte, die ein fremdes Wertesystem andeuten, aber eben nicht erläutern – weshalb es an der Leserschaft liegt, die unausgesprochenen Details zu rekonstruieren.

Jack Vance
Jack Vance (1916–2013)

Doch damit nicht genug. Tatsächlich kommt der Ausstattung von Vances Welten eine Bedeutung zu, die weit über die Unterstützung des Plots hinausgeht. Die Handlung gerät laut Rawlins oft zu einem reinen Vehikel, „um zum nächsten, detailliert beschriebenen Essen zu kommen, zur Liste von Buchtiteln aus einer Bibliothek, zu den Regeln des örtlichen Feldsports“. Speziell das Motiv der Reise bietet sich an, um die Farbigkeit der beschriebenen Welt in den Mittelpunkt zu rücken. Doch Vance nutzt noch andere Taktiken, etwa indem er aus fiktiven Schriften zitiert oder einen eigenwilligen Stil nutzt, der oft „barock, verschlungen, gewollt behäbig und verschleiernd“ anmutet. Tatsächlich lässt sich Vance aus der Perspektive „guter Prosa“ leicht kritisieren, weil er bisweilen weitschweifig, eckig und unzugänglich anmutet. Doch dies hat mit seinem Konzept zu tun, Sprache nicht allein als Träger von Informationen einzusetzen, sondern ihr eine eigenständige Qualität zuzuweisen. Für Rawlins ist Vance daher „ein Dämonenfürst, der danach strebt, Formen emotionaler Intensität zu erfinden, die bisher unerreicht sind“.

Trotz oder gerade wegen seines wissenschaftlichen Hintergrunds ist Rawlins’ Buch hervorragend lesbar, wobei seine Argumentation durch zahlreiche Zitate aus Vances Werken wirkungsvoll unterstützt wird. Der Verlag hat sich – wie bereits bei dem unentbehrlichen Aufsatzband „Jack Vance – Weltenschöpfer und Wortschmied“ – der nicht unerheblichen Mühe unterzogen, diese mit den deutschen Ausgaben abzugleichen und ein hilfreiches Register zu erstellen, was die Nützlichkeit des ebenso schmalen wie gewichtigen Buchs noch einmal erhöht. Ein Interview, das Rawlins mit Vance geführt hat, bietet zusätzliche (und zum Teil amüsante) Informationen aus erster Hand. Wie immer, so ist auch dieses Buch der Edition Andreas Irle sorgfältig hergestellt worden; Leineneinband und Fadenheftung sind selbstverständlich. Wer ernsthaft an Vance interessiert ist, kommt an dem in nur hundert Exemplaren aufgelegten Band kaum vorbei.

Jack Rawlins: Der Dämonenfürst – Die dissonanten Welten von Jack Vance • Übersetzt von Andreas Irle Edition Andreas Irle 167 Seiten • Limitierte Auflage von 100 nummerierten Exemplaren € 50,-

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