6. November 2017 2 Likes

Um Kopf und Kragen

Die Transplantation menschlicher Köpfe hat Zukunft – aber es gibt da auch ein Problem

Lesezeit: 4 min.

Auf den ersten Blick ist es ein ungemein verlockender Gedanke: Wir könnten dadurch Unsterblichkeit erreichen, dass wir kurz vor dem Lebensende einfach unseren Kopf auf einen jüngeren Körper verpflanzen lassen. Und wenn dieser ebenfalls alt geworden ist, wird die Prozedur wiederholt. Und so weiter, ad infinitum.

Was wie eine fiktionale Mischung aus Mary Shelley’s „Frankenstein“ und H. G. Wellsʼ „Insel des Dr. Moreau“ klingt, steht uns möglichweise näher, als wir glauben. Genauer gesagt will der italienische Neurochirurg Sergio Canavero im Dezember 2017 erstmals den Kopf eines Menschen auf einen anderen Körper transplantieren. Geschehen soll der Eingriff in einem Krankenhaus der chinesischen Stadt Harbin, unterstützt von einem Team um den Forscher Ren Xiaoping. Wessen Kopf es sein wird, unterliegt noch der Geheimhaltung. Ursprünglich war der Russe Waleri Spiridonov als freiwilliger Patient vorgesehen, doch durch die Verlegung nach China änderte sich auch der Kunde. Auch der Körper des Empfängers – wohl eines gehirntoten jüngeren Mannes – ist noch unbekannt.

Freilich wurden in den letzten Jahren bereits allerlei Bedenken geäußert. Das beginnt damit, dass sich bei geschätzten Kosten von zehn Millionen Euro wohl nur Superreiche eine derartige Verlängerung des Lebens leisten werden können. Und was passiert, wenn es keine geeigneten hirntoten Körper als Empfänger gibt? Werden dann mittellose, junge Menschen mit Geld – oder Gewalt – dazu gezwungen, ihren Körper zur Verfügung zu stellen? Oder müssen identitätslose Klone gezüchtet werden, die sich gegen ihre Rolle als Ersatzteillager nicht juristisch wehren können?

Natürlich sind auch medizinisch noch nicht alle Fragen geklärt. Wie man von Organtransplantationen weiß, stößt das Immunsystem des Empfängerköpers das fremde Gewebe ab. Dieses Problem lässt sich noch relativ leicht lösen – mit Medikamenten, die die Immunabwehr unterdrücken.

Um den Blutkreislauf von Gehirn und Körper zu vereinen und dabei Hirnschäden durch Sauerstoffmangel zu vermeiden, will Canavero den Patienten auf zwölf bis fünfzehn Grad Celsius abkühlen, damit die Zellen in einen Ruhezustand übergehen und während der Operation weniger Energie verbrauchen. Auch das ist keine neue Technik und somit durchaus machbar.

Die größte medizinische Hürde für eine gelungene Operation besteht jedoch darin, das Rückenmark von Spender und Empfänger zu verbinden, damit der alte Kopf den neuen Körper steuern kann. Wie er das erreichen will, hat Canavero anlässlich einer Tagung der American Academy of Neurological and Orthopaedic Surgeons in Annapolis in zwei Protokollen dargelegt (nachzulesen hier und hier). Unter anderem mit einem scharfen, geraden Schnitt, der die Verletzungen des Rückenmarks möglichst klein halten soll. Um dann die Nervenfasern wieder zusammenwachsen zu lassen, soll die Chemikalie Polyethylenglykol (PEG) – wie in Tierversuchen bereits erfolgreich gezeigt – die Nervenenden zum rascheren Wachstum anregen. Freilich ist damit noch nicht klar, in welcher Form sich die Nerven verbinden und ob das Gehirn über sie tatsächlich Zugriff auf die richtigen Muskeln etwa für die Atmung oder zur Steuerung der Beine haben wird. Canavero jedenfalls geht davon aus, dass es genügt, zehn bis zwanzig Prozent der Nervenfasern wieder in Kontakt zu bringen, um dem Patienten Bewegung zu ermöglichen.

Experten erwarten angesichts der vielen Unsicherheiten, dass der visionäre Mediziner am Ende der Operation im besten Fall einen lebenden Kopf erzeugt haben wird, der keinerlei Kontrolle über den neuen Körper hat und ohne fremde Hilfe weder essen noch atmen noch reden oder aufs Klo gehen wird können. Was aber in der Diskussion ethischer und technischer Machbarkeit erstaunlicherweise übersehen wird, ist die Frage: Welche Probleme tauchen auf, wenn alles erfolgreich verläuft?

Es ist kein großes Geheimnis, dass menschliche Gehirne mit zunehmendem Alter nicht besser, sondern schlechter funktionieren. Senilität, Alzheimer oder gar die Creutzfeld-Jakob-Krankheit sind Erscheinungen, vor denen auch reiche Senioren nicht gefeit sind. Wie sehr steigt die Wahrscheinlichkeit für ihr Auftreten, wenn das nicht mehr ganz taufrische Gehirn im neuen Körper einhundert Jahre, einhundertzwanzig Jahre oder noch älter wird? Stellen wir uns für einen Moment ein mondänes Luxusressort in Florida oder Shanghai vor, wo eine Schar junger Leute mit Model-Körpern rund um den Pool sitzt – aber keiner mehr weiß, wie er (oder sie) hierher kam, welchen Tag wir heute haben und wer zum Teufel all die anderen sind!

Und was, wenn auch dieses Problem mit Hilfe von Medikamenten und Therapien zur Gehirnzellenerneuerung überwunden wird? Was ist mit Diktatoren, die dann in ihrem neuen Körper den Begriff „gewählt auf Lebenszeit“ neu interpretieren? Firmenpatriarchen, die für die nächsten Jahrhunderte keinen innovativen Nachfolger brauchen? Rockstars, die als wiederauferstandene Boygroup weitermachen … und weiter … und weiter? Darüber sollten wir uns dann doch einen Kopf machen.

Solange es noch unser eigener ist.
 

Uwe Neuhold ist Autor, bildender Künstler, Medien- und Museumsgestalter mit Schwerpunkt auf naturwissenschaftlichen Themen. Alle Kolumnen von Uwe Neuhold finden Sie hier.

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