29. November 2017 2 Likes

Craindre l‘homme papillon!

Stefan Bachmanns „Palast der Finsternis“ vereint Historie, Abenteuer, Horror und Science-Fiction zu einem gelungen Genremix

Lesezeit: 3 min.

Vor ein paar Jahren galt Stefan Bachmann als Wunderkind der Phantastik, das mit seinem Debütroman „Die Seltsamen“ Kritiker und Leser gleichermaßen begeistern konnte. Auf den Erstling folgte kurze Zeit später mit „Die Wedernoch“ die Fortsetzung des Steampunk-Abenteuers aus dem viktorianischen London. Nach einem Abstecher ins Kurzgeschichtenlager („The Cabinet of Curiosities. 36 Tales Brief and Sinister“) erschien mit „A Drop of Night“ wieder eine genreübergreifende Novelle aus der Feder des US-Schweizers, die als „Palast der Finsternis“ nun auf Deutsch vorliegt.

Auch dieses Mal ist sich Bachmann seiner Affinität zu historischen Settings treu geblieben. Wir schreiben den 23. Oktober 1789. Im französischen Péronne erlebt die junge Aurélie du Bessancourt die Revolution hautnah mit. Aufständische verschaffen sich Zutritt zum Anwesen und versetzen ihre Familie in Angst und Schrecken. Als ihre Mutter schwer verwundet wird, flüchtet Aurélie mit ihren jüngeren Schwestern in buchstäblich letzter Sekunde in das unterirdische Schloss, das ihr Vater erbauen ließ. Es sollte an Pomp und Größe Versailles übertrumpfen und ein sicheres Versteck für die Bessancourts werden. Doch – wie so oft – lauert das wahre Grauen nicht an der Oberfläche.

Szenenwechsel: In der Gegenwart folgt der Leser der 17-jährigen Anouk Geneviève van Rijer-Peerenboom. Anouk ist der Inbegriff eines unverstandenen, abweisenden Teenagers aus reichem Haus. Einerseits ist sie gebrochen und bettelt geradezu um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern, andererseits ist sie sprachlich außergewöhnlich begabt und versucht sich von anderen Gleichaltrigen und ihrer Familie abzugrenzen. Zusammen mit Jules, Will, Hayden und Lilly bricht sie in Begleitung des geheimnisvollen Professors Dr. Thibault Dorf nach Frankreich auf. Auf Einladung der ebenso mysteriösen Familie Sapani darf das ungleiche Quartett einer archäologischen Sensation beiwohnen: der Ausgrabung eines unterirdischen Palastes!

An dieser Stelle schrillen bei den meisten Lesern wahrscheinlich die Alarmglocken. Kinder und Jugendliche werden nie ohne Hintergedanken an den Rand einer geschichtsträchtigen Gemeinde geführt, um dort Dinge zu erleben, die Erwachsenen vorbehalten sind. Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: die Heranwachsenden werden betäubt und in den unterirdischen Palast gebracht. Dort sind sie nicht nur Gefangene, sondern auch Gejagte: sie müssen vor geradezu übermenschlichen Jägern fliehen, ausgetüftelten Fallen entkommen und sich dem heimlichen Herrscher des „Palais Papillon“ stellen.

An dieser Stelle verlässt Bachmann dann auch langsam die reine Abenteuer-Szenerie, die ein bisschen an die jugendliche Variante von „Indiana Jones“ erinnert und sich mit der historischen Perspektive von Aurélie abwechselt. Nach und nach halten mehr phantastische Elemente Einzug in die Erzählung. Neben den stummen, nicht-menschlichen Jägern und den durchaus tödlichen Fallen, die selbst ausgefuchste Abenteurer gehörig ins Schwitzen bringen würden, trifft die inzwischen dezimierte Clique auf einen verwundeten und leichenblassen Mann. Der Namenlose nennt sich selbst „Perdu“, „der Verlorene“. Er behauptet über 200 Jahre alt und vor dem „l‘homme papillon“, dem „Schmetterlingsmann“, auf der Flucht zu sein. Können sie ihm trauen und kennt er wirklich den Ausgang aus diesem prunkvollen Labyrinth? Langsam erkunden Anouk und ihre Gefährten den Palast und lüften schließlich das grauenhafte Geheimnis, das den Schmetterlingsmann, seine Schöpfer und sie selbst miteinander verbindet. Ob es aus diesem wahrgewordenen Albtraum eines Dr. Frankenstein ein Entkommen gibt, wird an dieser Stelle nicht verraten.

Durch die Verschränkung der beiden Erzählstränge von Anouk und Aurélie, zwei Gefangenen am selben Ort zu unterschiedlichen Zeiten mit der gleichen aufmüpfigen Grundhaltung, gelingt es Bachmann eine überaus spannende Gruselgeschichte zu präsentieren, die zum einem von dem Charme der Szenerie und zum anderen von der Suche nach der Wahrheit lebt. Stefan Bachmann hat mit „Palast der Finsternis“ eine fast schon klassische Gothic Novel mit französischem Flair vorgelegt. Freunde des etwas gediegeneren Horrors kommen hier jedenfalls voll auf ihre Kosten.

Stefan Bachmann: Palast der Finsternis • Aus dem Amerikanischen von Stefanie Schäfer • Diogenes, Zürich, 2017 •  400 Seiten • 18,00 € • Empfohlen ab 14 Jahren

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