6. Dezember 2017 3 Likes

Netflix auf Deutsch

Die erste deutsche Netflix-Serie „Dark“ ist sehr Deutsch, sehr Netflix – und gut

Lesezeit: 3 min.

Es dröhnt und brummt unheimlich, der Regen prasselt bedrohlich, Lichter flackern ohne Unterlass, Menschen schrecken schweißgebadet aus Albträumen auf, verstümmelte Leichen werden gefunden, rätselhafte Ereignisse erschüttern die Kleinstadt Winden. In den ersten zwei Folgen der Serie „Dark“ lässt Regisseur Baran Bo Odar (Who am I) nichts, aber auch gar nichts aus. Die von ihm und seiner Partnerin Jantje Friese konzipierte Serie mutet mit ihrer unheimlichen Atmosphäre, der Kleinstadtkulisse, hinter der wie immer Abgründe lauern, den Verweisen auf die 80er Jahre wie eine allzu offensichtliche Kopie des Netflix-Hits „Stranger Things“ an. Allerdings auf Deutsch, mit bisweilen hölzernen Dialogen und Schauspielern und dem offensichtlichen Bemühen, es mit den Großen, also Hollywood, aufzunehmen.

Zwei, zweieinhalb Folgen lang geht das so, wählt Bo Odar im Zweifelsfall die lautere, plakativere Lösung, hat man die Hoffnung fast schon aufgegeben, dass hier etwas wirklich und nicht nur aufgesetzt spannendes, eigenes passiert. Doch dann kriegt „Dark“ doch noch die Kurve, dann öffnen sich auf einmal Räume, Gedankenspiele und Möglichkeiten, die deutlich über das hinausgehen, was zu Beginn angedeutet wurde.

Doch noch einmal zurück zum Anfang: Wir befinden uns in Winden, 2019, ein Junge verschwindet, dessen Vater, der Polizist Ulrich Nielsen (Oliver Masucci) sucht ihn mit zunehmender Verzweiflung, ein anderer Junge, Jonas (Loius Hofmann), hadert noch mit dem Selbstmord seines Vaters und taumelt zunehmend durch die Welt, durch den Raum – und durch die Zeit. Denn wie sich schnell herausstellt, verbindet ein Gang, ein Wurmloch, ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum, das Winden von heute mit dem von 1986 und bald auch mit dem von 1953. 33 Jahre liegen zwischen den Zeiten, nicht 27 wie bei Kings „Es“, doch natürlich bedingt auch hier die Gegenwart die Vergangenheit und umgekehrt.

Es wird viel geraunt vom Wesen des Universums, davon, dass sich alles wiederholt, so wie es einst Nietzsche mit seinem Gedanken von der Ewigen Wiederkunft formulierte, wie es auch im Streit zwischen Kirche und Wissenschaft diskutiert wird, wenn die Frage gestellt wird, was es denn vor dem Big Bang gegeben hat, denn etwas muss es gegeben haben, aus Nichts kann schließlich Nichts entstehen.

Ziemlich ambitioniert ist das alles und auch ziemlich überzeugend, zumindest meistens. So gut „Dark“ oft auch ist: die Qualitätsschwankungen verblüffen doch. So stilsischer Bo Odar meist inszeniert, immer wieder greift er auf visuelle Klischees zurück, übertreibt es mit den langsamen Kamerafahrten, den Flügen über bedrohliche Wälder, dem prasselnden Regen, in dem die Figuren minutenlang stehen bis sie völlig durchnässt sind, so als gäbe es in Winden einen eklatanten Mangel an Regenschirmen, einfach, weil es so stimmungsvoll aussieht, im prasselnden Regen zu stehen. Und auch die übertrieben vollgestopften ersten Folgen rächen sich, allzu viele Figuren und Handlungsstränge wurden eingeführt, die nach den zehn Folgen der ersten Staffel (zwar abgeschlossen, aber die Möglichkeit einer Fortsetzung wird sehr deutlich angekündigt.) in der Luft hängen oder ins Leere laufen.

Doch trotz dieser Schwächen ist „Dark“ sehenswert, stürzt sich mit zunehmendem Verve in die Paradoxien der Zeitreise-Thematik, wie sie in allen Filmen zum Thema, von „Terminator“ bis „Zurück in die Zukunft“, behandelt werden. Zwar weiß man nicht so recht, ob den Machern nicht bewusst ist, in welche Widersprüche sie sich verstricken oder ob sie diese Widersprüche bewusst in den Raum stellen, aber letztlich ist das auch nicht so wichtig: Mit „Dark“ ist ihnen eine stimmungsvolle Serie gelungen, in der sie zwar immer wieder bei ihrem Versuch, an den Stil der großen Vorbilder heranzureichen, übertreiben, am Ende dann aber doch eine gelungene Mischung aus Deutsch und Netflix hinbekommen.

Dark • Deutschland 2017 • Regie:  Baran Bo Odar • Buch: Jantje Friese • Darsteller: Louis Hofmann, Oliver Macussi, Karoline Eichhorn, Anne-Ratte Polle, Angela Winkler

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