15. Januar 2018 2

WTF?

Draußen im Universum gibt es vermutlich einiges – aber nicht alles

Lesezeit: 4 min.

Heute geht es um KIC8462852. (Bitte lesen Sie weiter. Ich schwöre, dass das weder mit Computerprogrammierung noch mit Landschaftsvermessung zu tun hat. Das würde ich Ihnen niemals antun – es sei denn, diezukunft.de erhöht mein Honorar dramatisch.)

Gottlob gibt es unter den vielen, vielen Weltraumforschern und Antriebstechnikern, die sich gegenwärtig für uns um den Rest des Universums kümmern, einige wenige, die sich ein wenig auf Öffentlichkeitsarbeit verstehen. Daher kennt man KIC8462852 außerhalb der NASA-Tabellen als Tabbys Stern. Er ist nach Tabetha S. Boyajian benannt, jener Astronomin an der Louisiana State University, die ihn entdeckt hat. Und wenn es Sie interessiert: Er befindet sich knappe zweitausend Lichtjahre von uns entfernt im Sternbild Schwan (bei +44°27′24.61″, wenn Sie es zu Hause nachprüfen wollen).

Tabbys Stern ist in den heiligen Hallen der renommierten Forschungsinstitute auch als WTF-Stern bekannt, da die Veröffentlichung, in der Boyajian den Stern zum ersten Mal beschrieb, den Titel „Where’s the Flux?“ trug (und nicht „What the fuck?“, wie die Millenials unter den Lesern vielleicht meinen könnten). Wie sich herausstellte, gibt KIC8462852 tatsächlich zu großer Verwunderung Anlass. Oder besser gesagt: das, was vor KIC8462852 vorbeizieht.

Dass etwas vor einem Stern vorbeizieht, ist so ungewöhnlich nicht. So können wir sogar die Zusammensetzung und Position einzelner Sterne bestimmen. Da sie so weit weg sind, wissen wir nur von ihrer Existenz, weil das Licht, das sie abgeben, gelegentlich von Planeten, Meteoren und anderen Himmelskörpern verdeckt wird. Normalerweise ist so etwas allerdings kaum zu beobachten, da die Helligkeit eines Sterns dabei nur um etwa ein Prozent reduziert wird. (Kleine Notiz am Rande: Bill Bryson zufolge waren vor der Erfindung des Computers diejenigen, die nach so etwas Ausschau hielten, hauptsächlich Frauen, da man den männlichen Nachwuchswissenschaftlern eine derart langweilige Aufgabe nicht zumuten wollte. So ist das von Annie Jump Cannon, einer Pionierin der Himmelsbeobachtung, entwickelte Klassifikationssystem noch heute in Gebrauch – übrigens hätte sie sich mit dem Namen prima bei einer Anime-Serie bewerben können). Aber als Boyajian KIC8462852 beobachtete, bemerkte sie, dass seine Helligkeit um zweiundzwanzig Prozent verringert war.

WTF?

Und es war auch kein gewöhnliches Abnehmen des Lichts wie etwa beim Vorbeiziehen eines Planeten. Die Lichtreduzierung fand unregelmäßig und punktuell statt, was auf eine Vielzahl von Objekten hindeutete. Boyajian und ihre Kollegen vermuteten eine Staubwolke, Bruchstücke eines Kometen, einen Ringplaneten und so weiter, doch die Theorie, die (wen wundert’s?) das Internet im Sturm eroberte, lautete: Dieses Phänomen ist der Hinweis auf eine außerirdische Megastruktur, ein gewaltiges Konstrukt, vielleicht Millionen von Meilen groß und dafür geschaffen, die Energie des Sterns zu sammeln. Am Ende gar das Werk einer außerirdischen Zivilisation, die uns den Garaus machen will? Ogottogott!

Selbstverständlich wurden die eher prosaischen Erklärungen – dass die Lichtunregelmäßigkeiten nicht unbedingt bedeuten, dass die Menschheit in Gefahr ist, oder dass die orbitalen physikalischen Gegebenheiten keine stabile, künstliche Struktur dieser Größe erlauben – beiseite gewischt. Es musste sich hier um eine Megastruktur handeln, Punkt. In der Science-Fiction sind solche Dinge ja gang und gäbe, aber bisher konnte mir noch niemand verraten, weshalb es sie auch in Wirklichkeit geben sollte.

Wir denken ja immer, dass außerirdische Zivilisationen der unseren überlegen sein müssen. Dass sie sich Raum und Zeit Untertan gemacht haben und uns um Jahrmilliarden voraus sind. Dabei wissen wir gar nicht, was da draußen alles ist, und wir werden auch noch lange, lange keine Gewissheit haben. Aber wenn wir davon ausgehen, dass die Aliens im selben Universum zu Hause sind wie wir und dieses Universum erst seit 13,8 Milliarden Jahren existiert – warum sollten sie sich dann schneller entwickelt haben als wir?

Ich würde eine Menge Geld darauf verwetten, dass wir nicht allein im Universum sind. Ja, da bin ich mir sehr sicher. Es gibt genug Platz, Planeten und Sterne – da ist es völlig unmöglich, dass wir die einzigen sind. Doch wenn wir uns als Maßstab dafür nehmen (und einen anderen Maßstab haben wir nicht), wie lange der Evolutionsprozess dauert, dann gibt es keinen Grund für die Annahme, dass andere Spezies schneller waren als wir. Sicher, ihre Planeten könnten früher entstanden sein, und selbstverständlich gibt es noch tausend andere Variablen, denen wir uns nicht einmal bewusst sind. Aber: Eine Spezies, die in der Lage ist, eine künstliche Struktur zu bauen, die einen verfluchten Stern verdunkeln kann, wäre nicht das Produkt der Evolution, sondern des größten Quantensprungs in der Geschichte des Universums.

Zugegeben: Alien-Megastrukturen sind cool. Aber wie bei so vielen Dingen in der Astronomie ist vermutlich auch hier die langweiligste Erklärung die richtige – Internet hin oder her.
 

Rob Boffard wurde in Johannesburg geboren und pendelt als Autor und Journalist zwischen England, Kanada und Südafrika. Er schreibt unter anderem für „The Guardian“ und „Wired“. Seine Romane „Tracer“ (im Shop) und „Enforcer“ (im Shop) sind im Heyne-Verlag erschienen. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

 

Kommentare

Bild des Benutzers KingLouie

Vielleicht ist ein anderes Universum gemeint, aber unseres ist doch wohl schon ein wenig älter als 4 1/2 Mrd Jahre...;-)

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Im Namen der Redaktion danke für den Hinweis! Der Fehler wurde korrigiert. Ein bisserl älter ist es schon ...

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