16. Januar 2013 1 Likes

Aufziehmädchen, go!

Paolo Bacigalupis „Biokrieg“

Lesezeit: 4 min.

Der US-Amerikaner Paolo Bacigalupi, der sich bisher als Journalist und Kurzgeschichtenautor hervorgetan hat, legt mit „Biokrieg“ (im Shop ansehen) einen Debüt­roman vor, der nicht nur den John W. Campbell Award erhalten, sondern auch noch weitere wichtige SF-Preise wie den Locus Award und den Compton Crook Award, natürlich den Hugo Award und schließlich noch den Nebula Award eingeheimst hat. Was muss ein Roman bieten, um derart einzuschlagen?

Erstens: ein bedeutendes Thema. Bacigalupi erzählt, wie die zunehmende Hybridisierung und genetische Manipulation von pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln in naher Zukunft zu globalen Seuchen führen kann, die ganze Ernten vernichten und auch auf den Menschen überspringen. Im 23. Jahrhundert, wo die Handlung des Romans einsetzt, versuchen Biotechniker und -spione wie der Protagonist Anderson Lake verzweifelt, irgendwo auf der Welt Genproben zu finden, die immun gegen die neuartigen Erreger sind. Bacigalupis Buch schildert diese Arbeit mit all ihren Eigenheiten, Tricks und Risiken so eindringlich, dass es bereits als »Biopunk« bezeichnet wurde und damit eine ganze inhaltliche Nische des SF-Genres erneuert, wenn nicht gar neu begründet hat.

Zweitens: ein interessantes Setting. Manche Geschichten leben von der geografischen und gesellschaftlichen Atmosphäre, in die sie getaucht sind. Bei »Biokrieg« ist es die Welt des zukünftigen Königreichs Thailand, das als einzige Nation (durch konsequente Abschottung und Quarantäne) die Bioseuchen eindämmen und gesunde Pflanzen bewahren konnte. Gleichwohl leben auch die Thai in einer Dystopie: Der Großteil der Tiere ist auch hier ausgestorben, teils regieren präindustrielle, feudalistische Zustände, Arme und Ausländer werden praktisch zur Sklavenarbeit gezwungen und leiden unter einer Art Kastensystem, ausländische Biokonzerne schnappen sich die Früchte ihrer Arbeit, und über allem dräut die schwüle, schweißtreibende Luft des Monsuns. Man merkt, dass der Autor sich stark mit dem Land auseinandergesetzt und wahrscheinlich längere Zeit dort gelebt hat. So schwelgt er beispielsweise in einheimischen Idiomen und Slang-Ausdrücken (was wiederum oft zu viel des Guten wird, etwa wenn in einem kurzen Satz drei thailändische, mir völlig unbekannte Wörter auftauchen).

Drittens: gute technologische Ideen. Hoppla, an denen mangelt es leider! Obwohl wir uns im 23. Jahrhundert befinden und lebensechte weibliche Androiden als Sexsklavinnen – sogenannte »Aufziehmädchen« (daher der englische Originaltitel »The Windup Girl«) – durch Bangkok tingeln, wirkt sämtliche sonstige Technologie seltsam antiquiert und daher unglaubwürdig. Zwar erzeugen genveränderte Riesenelefanten (»Megodonten«) in Fabriken durch Pumpen und Drehen große Mengen kinetischer Energie, die in biotechnisch veränderten Spiralen gespeichert wird (die dann wiederum zum Antrieb von Fahrzeugen und Maschinen dienen) – doch man fragt sich: Wozu dieser Aufwand, der noch dazu als ziemlich schwierig und gefährlich geschildert wird? (Elefanten trampeln Fabrikarbeiter zu Tode, Spiralen lösen sich aus der Verankerung und flitzen Köpfe ab­säbelnd durch die Gegend.) Okay, die Gesellschaft kann seit der »Großen Ölkontraktion« offenbar nicht mehr auf fossile Energieträger zurückgreifen (was Bacigalupi jedoch nicht so genau erklärt), aber wo sind all die alternativen Energien – Windkraft, Solarthermie, Fotovoltaik, Gezeitenkraft etc. – geblieben? Konzernmitarbeiter laufen in großen Luftschiffen in Bangkok ein (was an Steampunk erinnert), aber wieso müssen die anderen mit seltsamen Aufziehfederautos und -booten fahren, wo es statt Öl doch auch Wasserstoff, Ethanol und vielleicht ganz neuartige Kraftstoffe gäbe? Auch hier hält sich der Autor bedeckt, wie er leider überhaupt nur sehr wenig über die Welt außerhalb Thailands verrät. Nicht weil Thailand das einzig überlebende Land wäre, sondern weil die anderen ihn im Rahmen der Handlung offenbar nicht interessieren.

Dafür erfahren wir auf über 600 Seiten praktisch alles über thailändische Politik, thailändische Kulinarik, thailändische Arbeits­umstände, thailändische Pflanzen … Irgendwann ist es einem dann tatsächlich zu viel, sodass zumindest ich ein paar Seiten voller regionaler Schilderungen übersprungen habe, die zwar als Reiseliteratur interessant sein mögen, jedoch mit der Handlung nicht das Geringste zu tun haben. Überhaupt ist es die Schwäche dieses vielgepriesenen Debütromans, dass sich – ich muss es leider sagen – ganze Abschnitte durch gähnende Langeweile auszeichnen: Das Setting bleibt gleich, die geschilderten Arbeiten bleiben gleich, selbst die Protagonisten verändern sich kaum. Jedes zweite Kapitel besteht fast zur Gänze aus Dialogen (mal in einem Büro, dann in einer Bar, dann während einer Rikschafahrt …) und die Dialoge drehen sich meist um das Gleiche: Anderson Lake forscht über Hunderte Buchseiten hinweg nach den Herstellern einer speziellen virusresistenten Frucht (Ngaw genannt), die er zu Beginn entdeckt; das Aufziehmädchen Emiko setzt sich die ganze Zeit mit ihrem leidvollen Dasein als Sexsklavin auseinander und redet unentwegt davon, demselben entfliehen zu wollen; andere Handlungsträger unterhalten sich in durchaus gut geschriebenen, aber durch ihre Länge dennoch ermüdenden Dialogen über Besonderheiten, Vor- und Nachteile gentechnisch veränderter Früchte oder über irgendwelche Aussagen der »grahamitischen Religion«, die ein generelles Verbot gentechnisch veränderter Lebensmittel propagiert. Jede und jeder denkt stets über ein und dasselbe nach, es fehlt an persönlichen Entwicklungen und mitreißenden Szenen – irgendwann scheint die exotische Atmosphäre dann eigentlich nur noch Selbstzweck zu sein, um von einer recht ereignislosen Handlung abzulenken. Selbst das actionreiche Ende kann nicht über einen eher langweiligen Gesamteindruck hinwegtäuschen, besonders da am Schluss zahlreiche Fragen offen bleiben.

Als Warnung vor biotechnischer Sorglosigkeit, als exotische Landesschilderung, als ungewöhnliche Dystopie für Leser, die Freude an Details haben, funktioniert »Biokrieg« sehr gut. Ja, die atmosphärischen und zwischenmenschlichen Aspekte überwiegen sogar so stark, dass das Buch auch von Mainstream- und Reiseliteratur-Lesern geschätzt werden könnte – als spannende Story mit erkenntnisreichen Einfällen würde ich es jedoch nicht bezeichnen.

Paolo Bacigalupi: Biokrieg · Roman · Aus dem Amerikanischen von Hannes Riffel und Dorothea Kallfass ·  Wilhelm Heyne Verlag, München 2011 · 608 Seiten · € 8,99 (E-Book, im Shop ansehen)

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