11. Mai 2013

Der Mars von Gestern

„John Carter - Zwischen den Welten“ und zwischen den Stühlen

Lesezeit: 4 min.

Edgar Rice Burroughs’ »Barsoom«-Romane über den eigensinnigen Kavalleristen John Carter, der kurz nach Ende des US-Bürgerkriegs ein Portal entdeckt, das ihn (oder vielmehr eine Kopie seines Körpers) direkt zum Mars befördert, gehören zu den einflussreichsten Werken der SF-Fantasy-Literatur. Im Kern wahre Pulp-Prototypen präsentieren Bücher wie »A Princess of Mars« (1912), »The Gods of Mars« (1914) oder »The Warlord of Mars« (1918) Konzepte und Ideen, die nicht nur in Werken weiterer großer Autoren wie Ray Bradbury, Carl Sagan oder Robert A. Heinlein deutliche Spuren hinterließen, sondern auch in Klassikern des modernen Kinos von George Lucas’ Star Wars bis hin zu James Camerons Avatar sowie in zahlreichen Golden-Age-Comics, die Burroughs Geschichten das Element des außerirdischen Superhelden entnahmen und modernisierten.

Angesichts dieser Ausnahmestellung innerhalb der fantastischen Literatur ist es bemerkenswert, dass es abgesehen von kleineren Projekten wie dem filmischen Auffahrunfall Princess of Mars aus dem Jahr 2009 (mit Ex-Pornostar Traci Lords) in hundert Jahren kein großes Studio schaffte, den eigentlich dafür prädestinierten Stoff mit großem Budget einer angemessenen Blockbusterbehandlung zu unterziehen.

Das änderte sich im letzten Jahr mit John Carter – Zwischen zwei Welten. In seinem Realfilm-Debüt wagte sich Pixar-Veteran Andrew Stanton (Findet Nemo) an eine 250-Millionen-Dollar-Adaption des Stoffes – und landete prompt einen der größten Flops der Kinogeschichte. Bereits kurz nach Kinostart verkündete das produzierende Disney-Studio einen erwarteten operativen Verlust von 200 Millionen Dollar, ein beeindruckendes Debakel, das sich in seinen verheerenden Ausmaßen durchaus nicht vor legendären finanziellen Desastern wie Joseph L. Mankiewiczs Cleopatra (1963), Michael Ciminos Heaven’s Gate (1980) oder Kevin Reynolds’ Waterworld (1995) verstecken muss.

Aber woran liegt’s? Ist es tatsächlich die abschreckende Wirkung, die der rote Planet auf das weltweite Kinopublikum zu haben scheint? Um ihrem Film das Schicksal von Flops wie Red Planet, Ghosts of Mars oder Milo und Mars zu ersparen, verbannten die Macher jedenfalls schon vorsorglich jeden Bezug zu unserem Nachbarplaneten aus dem ursprünglich geplanten Titel John Carter of Mars. Ein gänzlich sinnloses, vielleicht sogar kontraproduktives Unterfangen, denn bei dem Namen John Carter denkt eine TV-geschulte Öffentlichkeit heutzutage eher an Emergency Room als an hundert Jahre alte SF-Klassiker. Was soll’s, das kann jedenfalls nicht der Grund sein für diesen glorreichen Untergang an den Kinokassen.

An der Qualität des Films kann es im Grunde aber auch nicht liegen, denn was Stanton und eine kleinstadtstarke Crew aus Meistern ihres Fachs hier vorlegen, ist durchaus sehenswertes, grundsolides Abenteuerkino. Ordentliche Schauwerte, CGI-Effekte, die zwar nur zeitweise Star-Wars-Prequel-Dimensionen erreichen, aber durch gutes Voice-Acting von Könnern wie Willem Dafoe oder Samantha Morton aufgewertet werden, ein charismatischer Held wider Willen, der durchaus ansehnlich von Taylor Kitsch verkörpert wird, eine planetarische Fantasy-Story inklusive Prinzessin, fiesen mystischen Gestalten und gut choreografierten Action-Sequenzen – alles total kompetent gemacht und schick anzusehen. Die Burroughs-eigene Mars-Mythologie mit diversen nativen Stämmen, Städten und kämpfenden Fraktionen ist zwar gelegentlich etwas schwer nachzuvollziehen, aber geschenkt – das hat Millionen von Fans schließlich auch nicht davon abgehalten, sich verschwurbelten Schlock wie die Herr der Ringe-Filme gleich mehrfach reinzuziehen.

Wahrscheinlich müssen Filme dieser Größenordnung heutzutage einfach ein eingebautes Publikum mitbringen, um erfolgreich zu sein. Anders als bei Blockbuster-Kino-Originalen der Vergangenheit wie etwa der Indiana-Jones-Reihe, deren Geist Stanton hier teilweise evoziert, reicht im Jahr 2012 Qualität einfach nicht aus. Ein zugegebenermaßen hinkender Vergleich, denn John Carter kann sich mit Spielbergs meisterhaften Abenteuerfilmen wahrlich nicht messen. Aber schlecht ist das auch nicht, was er abliefert. Sein Problem ist einfach, dass er sich offenbar zu sklavisch an eine literarische Vorlage hält, die in der Öffentlichkeit nicht besonders präsent ist. Anders als Harry Potter, Hunger Games, Twilight oder demnächst Shades of Grey sind Burroughs Romane eben kein literarisches Zeitgeist-Phänomen, das unmittelbar in filmische Erfolgsgaranten überführt werden kann, sondern eben hundert Jahre alte Pulp-Storys, die nicht stapelweise bei Hugendubel rumliegen.

Insofern ist es bedauerlich, aber traurigerweise auch verständlich, dass John Carter baden ging. Ihm wurde Plagiarismus vorgeworfen, weil im Lauf der Kinogeschichte natürlich viele Elemente der Romane Eingang in das Abenteuer-SF-Kino fanden. Dass Stanton sich nun ausgerechnet mit der ersten »richtigen« Verfilmung des Stoffes derartig in die Nesseln setzte, war angesichts eines weltweiten Publikums, das sich von einer mittelmäßigen Bestseller-Reihe zur nächsten liest, fast absehbar. Wäre man zynisch, könnte man das für einen Sieg der Literatur über das Kino halten.

John Carter - Zwischen den Welten • USA 2012 · Regie: Andrew Stanton · Darsteller: Taylor Kitsch, Lynn Collins, Willem Dafoe, Samantha Morton, Mark Strong, Dominic West, Ciarán Hinds

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.