23. Februar 2014 4 Likes 1

Plötzlich Satellit!

Meine Zukunft als Erdtrabant – eine Kolumne von Uwe Neuhold

Lesezeit: 5 min.

Sie nannten ihn UWE. Ausgerechnet! Mein Name ist also jetzt Akronym für „Universität Würzburg’s Experimentalsatellit“ und damit für eine kleine Weltraumflotte (UWE-1, UWE-2 usw.). Bereits Charles Stross beschrieb ja im Roman „Accelerando“ (im Shop ansehen), wie unser Geist auf den Computerchip kleiner Flugsonden hochgeladen wird. Da kann ich mich schon mal in so ein Ding hinein fühlen:

Als UWE-3 startete ich also kürzlich an Bord einer Trägerrakete vom russischen Yasny aus in den Orbit. Mittlerweile habe ich auf die für eine erdnahe Umlaufbahn nötige „Erste kosmische Geschwindigkeit“ von 7,9 km/sec (rund 28.000 km/h) beschleunigt. Träge wie ein Strandurlauber drehe ich meinen mit Solarpaneel bestückten Rücken zur Sonne und starte meine Programme. Sie haben die Aufgabe, Technik zur Lagebestimmung und -regelung im Weltraum zu testen. Das ist natürlich, wie Sie sich vorstellen können, ein unglaublich öder Job. Daher spioniere ich nebenher ein bisschen die Nachbarschaft aus und mache mir halt so meine Gedanken.

Was mir Kopfzerbrechen bereitet, ist die Tatsache, dass mein kleiner Würfelkörper nur 3 Monate halten wird. Aus Kostengründen haben sie nämlich keine strahlungsharten Bauteile verwendet. Waren Sie schon mal kosmischer Gammastrahlung ausgesetzt? Das ist, als hätten Sie eine Jahreskarte fürs Firmensolarium von Fukushima. Dafür kostete meine Herstellung nur 20.000 Euro (wenn Sie einen Gebrauchtwagen zu dem Preis kaufen, hält der auch  nicht länger).

Hey, da fliegt mein Kumpel METEOSAT-10 vorbei. Der Kerl ist mit 7 qm Größe und 2 t Gewicht riesig im Vergleich zu  mir, aber Satelliten sehen das locker. Wir haben hier oben die wirklich „globale Perspektive“, da fallen Vorurteile wegen Herkunft, Größe und Materialfarbe schnell mal weg. Im Gegensatz zu Beamten auf der Erde haben wir zudem totalen Bereitschaftsdienst – ohne Überstundenzulagen, obwohl von uns mittlerweile mindestens genauso viel abhängt.

Stellen Sie sich kurz vor, wir Satelliten würden allesamt einer Gewerkschaft beitreten und dann eines Morgens in Streik treten. Zuerst würde vielleicht nichts Dramatisches passieren, vielleicht bemerken nur die Frühaufsteher, dass das Frühstücks-TV nicht gesendet wird. Im Radio wären plötzlich die Auslandskorrespondenten verschwunden, auch die Sportnachrichten entfielen, nicht allzu schlimm. In irgendeinem US-Bunker jedoch verlöre das Militärkommando den Kontakt zu bewaffneten Drohnen im Nahen Osten. Sämtliche Kriegsschiffe, Bodentruppen und Kampfflugzeuge könnten nicht mehr mit ihren Kommandoeinheiten kommunizieren. Zivilflugzeuge hätten keinen Kontakt zu den Bodenstationen, Frachtschiffe wären genauso abgeschnitten wie Fischerboote und Hilfskonvois. Büroangestellte in Asien und der westlichen Welt könnten keine internationalen Anrufe mehr erledigen. Internet und Email funktionierten noch, würden aber zusehends langsamer. Während spätestens um 10 Uhr weltweit Krisenteams zusammenträfen, würde auch Autofahrern klar, dass etwas nicht stimmt: das Global Positioning System (GPS) wäre nicht mehr erreichbar. Noch schlimmer beträfe der GPS-Ausfall die globale Wirtschaft: Wenn kein exaktes Zeitsignal mehr übertragen wird, entfallen Orders an der Börse genauso wie die Steuerung von Computernetzwerken – und letzteres betrifft mittlerweile riesige Teile unserer Infrastruktur: nicht nur Firmensysteme sondern auch Energie- und Wasserversorgung, Ampelsteuerung, Zugsignale und natürlich die weltweite Telekommunikation. Allein durch den Ausfall der Wettersatelliten und der darauf basierenden Wetterprognosen käme die westliche Landwirtschaft in enorme Schwierigkeiten und in Folge der globale Lebensmitteltransfer. Vielleicht würden die Menschen die erste Woche mit Ach und Krach überleben… aber ihr Dasein wäre nicht mehr dasselbe wie zuvor.

Mann, das war knapp – schon wieder flog mir ein Stück Metall um die Ohren! Strahlung ist nicht das Einzige, was uns Außendienstmitarbeitern hier zu schaffen macht. Was vor 50 Jahren mit ein paar Spionagesatelliten begann, ist heute zu einer orbitalen Riesenparty geworden. Mehr als 17.000 Satelliten haben die Menschen bisher ins All geschossen - wie viele genau, weiß keiner – und die meisten davon sind mittlerweile zu funktionsuntüchtigen Weltraumzombies geworden. Das Air Force Space Command verfolgt auf seinen Computern zur Zeit 21.000 Objekte im Orbit, die größer als 10 cm sind (darunter auch die rund 800 noch in Betrieb befindlichen Satelliten) und schätzt, dass zudem 500.000 kleinere Müllfragmente hier rumsausen. Etwa zwei Drittel davon stammen von Satellitencrashs. Schon heute kommt es im Orbit zu 13.000 Nahbegegnungen pro Woche. Laut Schätzungen werden es 20.000 im Jahr 2019 und 50.000 im Jahr 2059 sein. Satelliten-Operateure werden dann fünfmal so viele Ausweichmanöver vornehmen müssen wie heute.

Klar ist: solange hier oben keiner aufräumt, wird der Müll mehr und macht zukünftige Raummissionen von Mal zu Mal komplizierter. Um ein „Kessler Syndrom“ zu vermeiden – eine von Kollisionen ausgelöste Kaskade weiterer Zusammenstöße, bis fast nichts mehr funktioniert – müssen laut europäischer Weltraumagentur ESA jährlich 5 bis 10 große Trümmer aus dem Verkehr gezogen werden. Müllmann im All – das könnte einer der wichtigsten Jobs der Zukunft sein. Die Science Fiction ist da wieder mal einen Schritt weiter, so beschreibt etwa David Brin in seinem Roman „Existenz“ (im Shop ansehen) genau dieses Szenario (wir können hier oben E-Book-Daten abfangen und verkürzen uns mit Lesen die Zeit).

Die Satelliten der nächsten Jahrzehnte werden mit den heutigen natürlich nicht mehr viel gemein haben. Statt tonnenschwerer Brummer dürften das nur noch fliegengewichtige Kästchen sein. Erste Minisatelliten umrunden schon die Erde: Mit ihren wenigen Kilogramm Gewicht sind sie regelrecht erschwinglich. Für den Spottpreis  von 660.000,- Euro bietet etwa das japanische Unternehmen Astro Research einen kleinen Satelliten-Würfel mit 25 cm Kantenlänge an. Diesen können Sie mit persönlicher Fracht beladen (Geheimdokumente, pikante Urlaubsfotos, die Asche Ihrer Mutter) und ihn von der Firma ins All verfrachten lassen. Auch mein Würzburger Nachfolger UWE-4 wird schon gebaut und soll als erster Picosatellit der Serie mit integriertem Antriebssystem ausgestattet werden.

Die Idee dahinter ist klar: Viele kleine Maschinen, die über den ganzen Orbit ausschwärmen und miteinander in Kontakt stehen, werden weitaus bessere Daten liefern als die bisherigen Einzelgänger-Kolosse. Das ermöglicht etwa die detaillierte Beobachtung bestimmter Erdareale aus verschiedenen Blickwinkeln und daraus die Erstellung dreidimensionaler Bilder. Auch Telekommunikationsnetzwerke werden damit günstiger und auch für wirtschaftliche Schwellenländer zur Option.

Sogar die Energie der Zukunft könnte aus dem Weltraum kommen: Forscher arbeiten bereits an riesigen Solarsatelliten, mit denen sie Sonnenenergie direkt im All gewinnen können – denn hier oben ist es fünf- bis zehnmal stärker und würde geostationäre Satelliten so gut wie immer beleuchten, während Solarpaneele auf der Erde von Bewölkung behindert werden. Solche Solarsatelliten könnten Strom von der Menge eines großen Kernkraftwerks erzeugen.

Auch das hat die SF-Literatur bereits lange vorweg genommen: Murray Leinster erdachte in „Power Planet“ 1931 ebensolche Solarsatelliten, Isaac Asimov 1941 in „Reason“ ebenso. Und die Ideen gehen weiter: Larry Niven etwa beschrieb 1985 in „Limits“, wie Beta Beam Satelliten zur laserunterstützten Abwehr von Killerastroiden eingesetzt werden. Sean McKee schildert in „Defeated“, wie zukünftige Quantenkommunikations-Satelliten ihre Daten in Nullzeit durch den halben Weltraum übertragen. Darüber hinaus werden Satelliten zu bewohnbaren Habitaten, sammeln mit elektrisch leitenden Kabeln Strom aus der Erdatmosphäre, oder entwickeln in riesigen Netzwerkverbänden so etwas wie künstliche Intelligenz. Man könnte sagen, wir Satelliten hätten einen Job mit echter Zukunftsperspektive. In Wahrheit blüht jedem von uns früher oder später beim Wiedereintritt in die Atmosphäre genau das, was kein menschlicher Arbeitnehmer fürchten muss, wenn es aus der Chefetage heißt: „Sie werden gefeuert!“

Kommentare

Bild des Benutzers Hans Schilling

Bitte mehr davon.
Wissensvermittlung in einer kleinen Geschichte ansprechend und witzig verpackt.
So lesen sich (wissenschaftliche) Artikel doch viel leichter und informativer, ohne den Anspruch von Authentizität einzubüßen.
Wie gesagt: BITTE MEHR DAVON!

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