12. April 2014 1 Likes

Grüner Irrsinn

Dietmar Daths und Oliver Scheiblers in buntestem Schwarzweiß blühender Comic „Mensch wie Gras wie”

Lesezeit: 4 min.

„Moores Comics […] legen erschütterndes Zeugnis davon ab, dass dieser Mann die ästhetischen Besonderheiten des Mediums […] bedingungslos respektiert: Stets verlangt er sich und denen, die mit ihm arbeiten, mit äußerster Konsequenz ab, eine Geschichte zu finden, die so nur im Comic, nur als Comic erzählt werden kann.“


Schau an. Selbst Dietmar Dath kann mal leicht danebenliegen. Wenn auch in bester Absicht bzw. jedenfalls dann, wenn er wie hier die Kunst anderer lobt. Niemand schreibt besser Comics als Alan Moore. Ihm stete äußerste Konsequenz bei der Suche nach für keine andere Kunstform als den Comic tauglichen Geschichten zuzuschreiben, geht allerdings zu weit. Moore-Werke wie Top 10, From Hell oder V for Vendetta könnten (ungeachtet der furchtbarerweise existenten, grässlich vermurksten Kinoadaptionen der beiden letztgenannten Arbeiten) durchaus in andere Erzählmedienformen wie Film oder Fernsehserie übersetzt werden, ohne die jeweilige Geschichte groß darunter leiden zu lassen. Das macht sie nicht zu weniger großartigen Comics, so wie souveränes traditionelles Erzählkino, das etwas zu erzählen hat, nicht pauschal weniger großartig ist als normen- und formensprengendes Avantgardekino. Moore kümmert sich bisweilen einfach stärker um seine Geschichten als um die ästhetischen Besonderheiten des Mediums, mit und in dem er sie erzählt; der Text lässt, wie Andreas Platthaus strenger formuliert, „die Zeichnungen an Komplexität und Bedeutungsvielfalt weit hinter sich, was die Ausgewogenheit des Comics verletzt.

„
Das Lustige ist nun, dass der von Dietmar Dath geschriebene und von Oliver Scheibler gezeichnete Comic „Mensch wie Gras wie”, aus dessen Nachwort das einleitende Zitat stammt, seinerseits den bezüglich Moore behaupteten Anspruch sowohl des genuin Comichaften wie auch der Ausgewogenheit von Szenario und Grafik voll erfüllt und dabei weiter geht als die meisten anderen Comics, denen das Label „Graphic Novel“ aufgestempelt wird.


Daths anhängende Liner Notes gehören zum Allerbesten, was es über die spezielle Produktivität der Arbeitsteilung beim Schaffen von Comics zu lesen gibt, und der Comic, der dem Anhang vorausgeht, ist so sicht- und lesbar wie selten das Produkt gemeinsamen und darin hierarchiefreien Schaffens, bei dem im Zweifelsfall dem Zeichner Oliver Scheibler die alles andere als konventionell-linear, aber gerade darin verblüffend süffig erzählte Geschichte gehört.

Diese dreht sich um die Genbiologin Elin Elwert, die ein Forschungsprojekt in Japan beendet, nach Deutschland zurückkehrt, eine entspannte Beziehung mit dem Informatiker Thomas Schäfer sowie eine komplizierte mit Martin/Martina Riede führt und für den undurchschaubar sinistren Großinvestor Farczády an der Entwicklung gentechnisch manipulierter Pflanzen arbeitet. Das Gras, das überall wachsen kann, bringt nicht nur Geld wie Heu und die Möglichkeit einer Lösung des Welternährungsproblems, sondern wird die Welt schließlich sporengleich überwuchern, dem Machtstreben Farczádys und vielleicht auch allem anderen ein Ende bereitend.


„Mensch wie Gras wie” erzählt von Wissenschaftsutopie, von Liebes-, Arbeits- und Machtverhältnissen. Ebenso ist der Comic eine grafische Erzählung über das Geschichtenerzählen in Comicform. Seine sprachlichen Stärken entfaltet er vor allem in den Dialogen. Die Sparsamkeit des Skripts ist als künstlerisch absichtsvolle der Dialogizität wahrer, schöner und guter Teamarbeit geschuldet, inklusive des Wissens um den richtigen Moment, an dem die Bilder vor der Sprache das Sagen haben. Die Front- und Backcoverillustrationen sind sanft psychedelisch kolorierte Vorher-Nachher-Wimmelbilder, die Bewegung des Anfangs und den Stillstand des Endes fixierend. Die die Geschichte dazwischen erzählende Grafik im Inneren ist stures, dabei alle Ordnungsfreiheiten des gleichzeitig-sequentiellen Bilderzählens auskostendes und auf comicbildliche Formgrenzen pfeifendes Schwarzweiß.

Die Varianz von Leitmotiven (Spinnennetze, ganze Panels bis ganze Seiten überwucherndes Gras, grobe Rasterpunkte, ihre eigene Physis beanspruchende statt bloß räumlichen Darstellungseffekten dienende Schraffuren, Codeketten, Zellhaufen und diverse andere so inhaltlich kommunikative wie raumstrukturierende Muster) allein zeigt, was es heißen kann, mit Bildern zu erzählen. Ungefähre Kapitelzäsuren setzt dabei immer wieder das japanische Go-Spiel, an dem, wie die Wikipedia weiß, das „Besondere […] seine hohe Komplexität [ist] – die Zahl der spielbaren Varianten übersteigt selbst die des Schachspiels erheblich, und die Verbesserung der Spielstärke sowie die Verfeinerung des Stils sind Aufgaben, an denen ein Spieler sein Leben lang arbeiten kann. Zum anderen sind die Grundregeln (es gibt nur 4) aber so einfach, dass man sie in relativ kurzer Zeit erlernen kann.“

Kein ganz schlechtes Bild für Scheiblers und Daths (Bild-)Poetik, in deren unmittelbar visueller Emanation Spuren von mal Charles Burns, mal Robert Crumb, mal Maurice Sendak, mal Daniel Clowes, mal Jim Woodring, mal Thomas Ott, mal Greg Irons und die wohl deutlichsten von Gegikas, den im Gegensatz zu den populären Mangas der alternativen, Gegen- oder Underground-Kultur zuzuschlagenden japanischen Comics, zu erkennen sind. Scheiblers so vielgestaltiger wie profilierter Stil ist nicht weit entfernt von einem Gegika-ka wie Imiri Sakabashira, dessen The Box Man ebenfalls eine freie Form grafischen Erzählens pflegt, in der unterschiedliche Comictraditionen gemäß einer multiperspektivischen (und multikulturellen) Arbeitsweise zusammengeführt werden.

Auch bei Scheibler spielt japanisches Motiv- und Strichführungsinventar keine wesentlich unwichtigere Rolle als der Einfluss etwa unabhängiger amerikanischer Comics. Die Brüche, Sprünge und Rätsel von „Mensch wie Gras” wie sind keine mutwillig-prätentiösen oder frei assoziierten. Der Autor übernimmt, wenn die Bilder des Zeichners nicht für sich sprechen; der Zeichner setzt nicht nur das ins Bild, was der Autor sagt, sondern auch das, was Worte schlechter oder gar nicht sagen können. Wer was genau erzählt bzw. erzählerisch verantwortet, bleibt im anregend Unklaren. Das geht tatsächlich so nur im Comic, nur als Comic, der noch dazu in einer Buchgestalt auftritt, mit der sich der dafür verantwortliche Verbrecher Verlag hinter entsprechend maßstabssetzenden Publikationsorten wie Reprodukt, avant oder Rotopolpress nicht verstecken muss.

Dietmar Dath / Oliver Scheibler: Mensch wie Gras wie • Verbrecher Verlag, Berlin 2014 • 200 Seiten • € 24,–

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