27. April 2014 1 Likes

Mit Dienstmarke gegen Armageddon

Starker präapokalyptischer Cop-Krimi: Ben Winters „Der letzte Polizist“

Lesezeit: 3 min.

In den letzten Jahren haben wir ein paar Mal anscheinend einfach nur großes Glück gehabt, was verheerende Asteroideneinschläge angeht – dem kleinen gallischen Dorf sowie dem Rest der Menschheit hätte durchaus der Himmel auf den Kopf fallen können! Die Gefahr und die Veränderungen einer Welt im Wissen um den unausweichlichen großen Einschlag, wie sie Ben Winters in seiner Roman-Trilogie um Detective Henry Palace beschreibt, ist also gar nicht so weit hergeholt. Und dann wurde der amerikanische Autor für den zweiten Band seiner Serie zwischen Krimi und Science Fiction gerade auch noch mit dem Philip K. Dick-Award ausgezeichnet. Alles in allem sind das mehr als genug gute Gründe, sich Detective Palace’ ersten in Buchform veröffentlichten Fall, der vor wenigen Monaten als „Der letzte Polizist“ (im Shop) auf Deutsch erschienen ist, noch einmal ganz genau anzusehen…

Henry Palace, Ich-Erzähler und ein grüblerischer Polizist in Concorde, hat als Vollwaise einen Hauch von Bruce Wayne in seiner Biografie, und als Lieblingsbuch bezeichnet er den Sammelband von Alan Moores Übercomic „Watchmen“. Das macht ihn als Protagonisten ebenso sympathisch wie seine Vorliebe für Bob Dylan oder seine Fähigkeit, Shakespeare zu zitieren. Aber was am Wichtigsten ist: Henry Palace ist kein Harry Stamper. Als die Weltbevölkerung gesagt bekommt, dass der gewaltige Asteroid, der seit geraumer Zeit auf die Erde zurast, definitiv einschlagen wird, zieht Henry Palace nicht los, um den Brocken aus dem Weg zu bomben. Er dreht allerdings auch nicht durch und tut, was er sich bisher nie zu tun getraut hat, wie viele andere. Er macht einfach weiter – macht seinen Job, in dem er erst vor Kurzem vom Streifenpolizisten zum Detective befördert wurde.

Seither schlägt er sich mit mehr Selbstmorden denn je herum in Concorde, der „Stadt der Hänger“, wo das Benzin so gut wie ausgegangen ist, wo kaum noch Autos auf den winterlichen Straßen fahren, wo es neue Gesetze zu Drogen und Schusswaffen gibt, wo das Militär irgendwas vertuscht, und wo das Handynetz zusammengebrochen ist – wo alles anders ist in den letzten Monaten bis zum errechneten Einschlag. Alles, außer, dass Henry Palace, Detective der Abteilung für Erwachsenenkriminalität, mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit, Gründlichkeit und Nachdenklichkeit seinem Job nachgeht.

In dem Fall heißt das, den offensichtlichen Selbstmord eines Versicherungsmenschen in einer Toilettenkabine so oft abklopfen, bis es das ist, was Palace’ Instinkt ihm vom Anfang an sagt: Ein Mord. Aber wer sollte ein halbes Jahr vor dem Ende der Welt, vor Armageddon und der Apokalypse, bevor alles endgültig vor die Hunde geht, noch einen Mord begehen? Palace ermittelt, wenn er nicht gerade das konfuse Privatleben seiner Schwester auf der Seele lasten spürt, und er lässt sich auch nicht dadurch beirren, dass die paar Kollegen, die ihm geblieben sind, sich endgültig dem Zynismus derer ergeben haben, die schon immer mit den menschlichen Schattenseiten in Berührung gekommen sind. Und die Dunkelheit wird größer und dichter, da einzelne Menschen sich genauso auflösen wie das Kollektiv…

Was Ben Winters, der auch als Journalist und Theaterautor tätig ist, mit dem ersten Band um Detective Palace vorlegt, ist ein gelungener Blick auf die Psyche der Menschheit, die weiß, dass ihre letzte Stunde bald geschlagen hat, eingeläutet durch einen unförmigen Todesboten aus dem All – und damit lupenreine Science-Fiction. Doch „Der letzte Polizist“ ist vor allem auch ein Krimi, ein Cop-Krimi, genauer gesagt, und mehr noch, dabei ein richtig guter. Der Ton, mit dem Winters seinen Ich-Erzähler die aufreibende Laufarbeit und die labyrinthischen Gedankengänge eines Detective im Schatten des Weltenkillers aus dem Weltraum beschreiben lässt, erinnert oft genug an die herausragenden Polizei-Reportagen „Homicide“ und „The Corner“ von David Simon, und so wundert es nicht, dass „The Last Policeman“ – so der Originaltitel des Romans – trotz des grundlegenden SF-Settings mit dem Edgar Award ausgezeichnet wurde, einem der wichtigsten amerikanischen Krimipreise.

Ein Asteroid rast auf die Erde zu, in Endzeit-Stimmung auseinanderbrechende Zivilisation, Krimi um einen aufrichtigen Cop – alles nicht neu. Ben Winters hat all das in „Der letzte Polizist“ dennoch erstklassig verknüpft und inszeniert, obwohl reinrassige Science-Fiction-Leser mit diesem überzeugenden, fesselnden Genre-Bastard womöglich nicht ganz so viel Freude haben werden wie Krimi-Fans, die dafür umso mehr auf ihre Kosten kommen.

Ben Winters: Der letzte Polizist • Heyne, München 2013 • 351 Seiten • € 7,99

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