23. Mai 2014 2 Likes 5

Endlich schwerelos!

Die Zahl 137 macht Schluss mit der Schwerkraft – Eine Kolumne von Uwe Neuhold

Lesezeit: 5 min.

Tagebucheintrag 17. Mai 2039: Mit der Erkenntnis, dass Gravitation nichts anderes als ein Äquivalent von Elektromagnetismus ist, änderte sich unser kompletter Alltag. Viel zu lange hatten wir angenommen, sie sei eine eigene Kraft unter den vier Wechselwirkungskräften der Natur. Dabei hätte uns schon längst stutzig machen sollen, dass „Gravitonen“ – ihre hypothetischen Überträgerteilchen – niemals gefunden wurden.

Klar, dass mir solche Dinge durch den Kopf gehen, wenn ich morgens einen Meter über dem Bett aufwache. Das Schlafen auf Antischwerkraft-Kissen ist halt extrem angenehm: kein verspannter Rücken mehr am Morgen, keine wirre Frisur, kein zerknülltes Bettlaken. Wie war das steinzeitlich damals, bevor das WWG (Wien-Weyl-Greulich)-Prinzip entdeckt wurde! Auf dem Zero-Gravity-Teppich im Badezimmer schwebend lasse ich mir beim Zähneputzen die WWG-Zeitleiste im Holospiegel anzeigen …

Sie beginnt mit zwei alten wissenschaftlichen Arbeiten vom Beginn des 20. Jahrhunderts: Die erste war vom deutschen Physiker Wilhelm Wien im Dezember 1900 in den Berichten der Société hollandaise des sciences à Harlem publiziert  worden. Aufbauend auf einer Idee von H.A. Lorentz untersuchte er darin die Möglichkeit, dass Gravitation auf elektrostatische Anziehungen zwischen den aus Ionen bestehenden Elementen eines Körpers zurückzuführen sei. Seine Idee fand keinen großen Anklang, doch 1929 griff sie ein Landsmann, der Mathematiker  Hermann Weyl in Princeton auf: In seiner Abhandlung entwarf er die komplementäre Theorie, dass Elektrizität nicht als Begleitphänomen der Materie sondern der Gravitation erscheinen könnte. Doch auch ihm war keine allzu große Aufmerksamkeit beschieden und rückblickend ist es nachgerade erstaunlich, dass diese heiße Spur nicht weiter verfolgt worden war. Ich sprühe mir Stammzellenspray zur Hauterneuerung ins Gesicht und schiebe die Zeitleiste mit einer Augenbewegung weiter.

Die etablierte Wissenschaft ignorierte schlichtweg, dass es zwischen Elektromagnetismus und Gravitation frappierende Ähnlichkeiten gibt: Beide lassen Massen aufeinander wirken und verändern sich mit zunehmender oder abnehmender Entfernung. Zudem besitzen beide Gleichungen dieselbe Struktur. So lautet die von Isaac Newton formulierte berühmte Gravitationsformel:

Zwei Objekte mit der Masse M und m ziehen einander mit der Kraft F an. Und zwar umso stärker, je kleiner der Abstand r zwischen ihren Mittelpunkten ist. Verstärkt wird diese Kraft laut Newton durch den Wert G: der Gravitationskonstanten, welche überall im uns bekannten Universum den gleichen Wert haben soll, nämlich G ≈ 6,6726 × 10 -11 N m2 kg -2.

Das der Elektrostatik zugrunde liegende coulombsche Gesetz (von Charles Augustin de Coulomb um 1785 entdeckt, wie mir der Badezimmerspiegel mitteilt) postuliert eine auffallend ähnliche Kraft:

Wobei q1 und q2 zwei jeweils kugelsymmetrisch verteilte Ladungsmengen bezeichnen, r den Abstand zwischen deren Mittelpunkten und ɛ0 die elektrische Feldkonstante ist, welche 8,85418781762 × 10−12 F/m beträgt. Auffallend sind natürlich die unterschiedlichen Werte der beiden Konstanten. Zudem wirkt die elektromagnetische Kraft zwischen positiven und negativen Ladungen anziehend bzw. abstoßend, während die Gravitationskraft lange Zeit nur als anziehend betrachtet wurde. Ab 2012 jedoch mehrten sich jedoch die Hinweise, dass diese beiden Kräfte so unterschiedlich gar nicht sind – und auf eine noch grundlegendere Kraft zurück gehen könnten.

Während ich mich anziehe, lasse ich mir von der Wandmembran den Cloud-Artikel über Karl-Otto Greulich vorlesen: Dieser Professor vom Fritz-Lipmann-Institut der Universität Jena stieß bei der Untersuchung von Photonen (den Überträgern der elektromagnetischen Kraft) auf ein Modell der materiellen Welt, in dem die Zahl 137 (genauer: 137,036) eine zentrale Rolle spielt. Als Ausgangspunkt wählte er die so genannte Feinstrukturkonstante alpha: sie bestimmt die Aussendungsrate von Licht sowie die Kraft, mit der sich elektrisch geladene Teilchen anziehen oder abstoßen – und sie weist den Wert 1 geteilt durch 137 auf. Auch die Masse eines Elektrons hängt mit dieser Zahl zusammen: Sie beträgt 511 Kiloelektronenvolt. Dieser Wert wurde experimentell gemessen, lässt sich aber auch errechnen, und zwar aus dem Quadrat des Kehrwerts von alpha, also 137 mal 137, multipliziert mit dem doppelten Wert der Rydberg-Energie. Letztere, so klärt mich die Wandmembran auf, ist eine weitere Grundgröße der Physik, benannt nach dem schwedischen Physiker Johannes Rydberg. Sie beträgt 13,6 eV und stellt eine der wichtigsten Energien im Universum dar: die Ionisierungsenergie von Wasserstoff.

Greulich multiplizierte die 511 keV erneut mit 137 bzw. einem Vielfachen davon – und erhielt als Ergebnisse die Massen für alle anderen Elementarteilchen! Daraus formulierte er die Theorie, dass es in Wahrheit nur ein einziges Elementarteilchen gibt, das im Urknall entstand, nämlich das Elektron. Demnach lagerten sich anfangs 137 Elektronen zusammen und bildeten den Grundbaustein der Materie, aus welchem die übrigen Teilchen entstanden. Dass es sich bei Greulichs Berechnungsmethode nicht um Zahlenmystik handelte, zeigte die Tatsache, dass sie die Massen der meisten Teilchen, welche zuvor mühsam auf andere Art bestimmt wurden, auf ein Prozent genau angeben konnte.

Bald erkannte man einen weiteren seltsamen Zusammenhang: Neben der Ladung des Elektrons gibt es eine weitere grundlegende Ladung in unserem Universum, nämlich die „Planck-Ladung“. Sie besteht aus 11,7 Elektronen-(oder Elementar-) Ladungen: und diese Zahl ist nichts Anderes als die Wurzel aus 137. Mit Hilfe der Planck-Ladung gelang den Physikern 2020 eine veritable Revolution: die Entwicklung eines neuen Konzepts der Gravitation! In wenigen Rechenschritten und mit entsprechenden Umformungen ließ sie sich mit dem Gravitationsgesetz verbinden. Seither können wir jede Gravitationskraft auch in Form einer elektrischen Kraft ausdrücken.

 Auch die irdische Schwerkraft ist also nichts als eine Spielart der elektromagnetischen Kraft: Eine zwischen Teilchen unterschiedlicher Ladung bestehende Anziehungskraft, welche sich für jedes Partikel genau ausrechnen lässt. Nach über hundert Jahren, in denen sich die Gravitation einer Vereinheitlichung von Quantenphysik und Relativitätstheorie hartnäckig widersetzt hatte, ließ sie sich plötzlich ganz einfach erklären! Selbst die Ansicht, dass Gravitation (im Gegensatz zum Elektromagnetismus) stets nur anziehend wirkt, wurde widerlegt, als man erkannte, dass die 1998 erstmals beschriebene „Dunkle Energie“ (welche das Universum immer schneller auseinander zieht) in Wirklichkeit nichts anderes als Antigravitation ist.

Die Erkenntnis, dass Gravitation ein elektromagnetisches Phänomen ist, hatte ungeheure Konsequenzen für unser Leben. Denn Elektromagnetismus lässt sich technisch steuern und nutzen. Nach demselben Prinzip – nur mit höherem Energieaufwand, der sich anhand der sogenannten WWG-Transformationen berechnen ließ – können wir die Schwerkraft heute ein- und ausschalten wie eine Retroglühbirne: Spezialgürtel lassen uns trotz tonnenschwerer Brennstoffzellen sanft über dem Boden schweben, immer größere Teile unserer Städte wachsen wie umgedrehte Pyramiden hoch in den Himmel, und Antigrav-Motoren treiben nicht nur Autos, Kräne und Flugzeuge an, sondern lassen auch Raumschiffe problemlos die lästige Erdschwerkraft überwinden.

Ich schließe die biosensorische Tür der Wohnplattform und mache mich auf den Weg zur Arbeit. Von meinem autonom steuernden Hover-Car aus ist der Anblick levitierender Gebäude im Sonnenaufgang ein wahrer Genuss. Von ferne sind Explosionen zu hören, offenbar haben die Aufständischen immer noch nicht kapiert, dass ihre Geschosse und Raketen wirkungslos in die Lüfte steigen, sobald sie den Antigrav-Ring unserer Wohngebiete überqueren: ohne Schwerkraft eben auch keine Ballistik mehr. Genauso wenig verstehen sie, dass Antigravitation nun mal enorme Mengen Energie verschlingt – pro Minute das Äquivalent von zehn Atomkraftwerken – und sie daher nur für uns zu haben ist, die industrielle Elite des Planeten. Neidisch blicken sie aus ihren erdenschweren Tiefen zu uns auf, verfolgen uns mit Suchscheinwerfern und erkennen nicht, dass es doch immer schon so gewesen ist, Gravitation hin oder her: wenn unten viele schwitzen, können einige oben sich höheren Zielen widmen. In diesem Sinne: Auf zu neuen Taten!  Ende des Tagebucheintrags.

Kommentare

Bild des Benutzers Hans Schilling

Wie Sie ja wissen ist uns, den Wissenschaftlern des U.N. Institutes, gelungen das Lawson-Kriterium zu erfüllen und es sogar weit darüber hinaus zu expandieren. Somit steht dem Bau von DT (Deuterium/Tritium) Kernfusionsreaktoren nichts mehr im Wege. So ist damit zu rechnen das wir in 10 Jahren die Energie zur Verfügung haben um auch den Neidischen die Antigravitation zu ermöglichen.

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Mein herzlicher Dank ans Institut, aber sollten wir nicht berücksichtigen, dass eine Freigabe von Antigravitationssystemen unseren Aktionären keine Freude machen wird? Neid hin, Rechte her: Antigravitation ist ein noch größeres Geschäft als damals das Erdöl...

Bild des Benutzers Peter Kohl

Der GraviMod- Generator des saarländischen Herstellers PeKoTec ist seit 2005 in Entwicklung. Er kommt mit haushaltüblichen Energiemengen aus, indem über elektromagnetische Resonanzeffekte der Atomradius eines gravitophilen Elementes ellipsoidförmig manipuliert wird. Dieses atomar deformierte, flüssige Material zeigt dann in der Ebene zweier Körperachsen normale Gravitation, in der dritten orthogonal dazu jedoch bei minimal verkleinertem Atomradius stark reduzierte oder aufgehobene Schwerkraft bis hin zu 137- facher Antigravitation.
Diese kompakte Antriebseinheit braucht im Fluggerät dann nur, an drei oder besser mehreren Randpunkten montiert, mechanisch gekippt zu werden, um die Wirkrichtung zu steuern.
Vor einer globalen Nutzung zwingend erforderlich wäre jedoch ein weltweit gültiges Raumkrümmverbot, damit ein störungsfreier Geradeausflug überhaupt möglich wird.

Gravitus Interruptus (freier Kohlumnist) :-)

Bild des Benutzers Uwe Neuhold

Werter Gravitus, ich hätte höchstes Interesse an Geschäftsanteilen von PeKoTec!
Aber wie bekommen Sie die Stabilisierung der manipulierten Antriebsatome hin, damit sich die Flüssigkeit nicht sofort wieder "eingravitiert"? Mit fluxkompensatorischen Elektronenbremsen? ;-)

Bild des Benutzers Peter Kohl

Es ist ja bekannt, dass Magnetare die Gasatome in ihrer Umgebung in die Länge ziehen, also ist zunächst ein getunter, supraleitender Kernspin- Tomographenmagnet im Teragaußbereich notwendig.
Sind die Flüssigkeitsatome so erst einmal deformiert, braucht die erzwungene anisotrope Quaderstruktur dieser Moleküle (doppeltkubisch raumzentriert) einfach nur noch eingefroren zu werden, um einen Festkörper mit den genannten Eigenschaften zu erhalten.
Mehr will ich vom Know How jedoch noch nicht verraten, - ich habe sowieso schon viel zuviel gesagt!

Gruß aus der Atomdeformiererei von PeKoTec

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