31. Mai 2014

Hemmungslose Sauereien

Stuart Gordons „From Beyond“ jetzt auch als Director’s Cut

Lesezeit: 4 min.

Ursprünglich ist der unermüdliche Preiswerthorror-Dynamo Stuart Gordon ja ein Mann der Bühne, nämlich Gründer des nach wie vor existenten Chicagoer „Organic Theater“. Obwohl der Name der 1970 von Gordon und seiner Frau ins Leben gerufenen Institution mehr viszeralen Horror verspricht, als das Programm tatsächlich hält, orientiert man sich in punkto Theatertheorie, Dramenpoetik, Stückauswahl und Inszenierungsstil durchaus an der Tradition des Pariser Grand Guignol-Theaters sowie Artauds Konzepten eines Theaters der Grausamkeit. Es liegt also nahe, irgendwann mal handfest mit Organen herumzuspielen und sich mit dem Organic-Ensemble an einer sechsteiligen Fernsehserie zu versuchen, die auf einer Kurzgeschichte eines großen amerikanischen Horrorautors basieren soll.

Heraus kommt 1985 Re-Animator, die Verfilmung der ausgerechnet dümmsten Erzählung H. P. Lovecrafts. Gordon gelingt es nicht nur zu zeigen, wie viel Saft in Lovecrafts dünner, komplett humorfreier und vergleichsweise dezent präsentierter Zombie-Geschichte steckt, indem er diese buchstäblich und hemmungslos ausweidet, sondern im Gefolge von Sam Raimis The Evil Dead (1983) auch, der Welt das neue Subgenre „Splatstick“ zu schenken. Nachgelegt wird im Folgejahr mit einer weiteren Lovecraft-Adaption. Dieses Mal liegt der Haken nicht in der Dummheit der Vorlage, sondern in deren drehbuchuntauglicher Kürze (fünf Seiten). Aber da Werktreue für Gordon den kreativen Schub bedeutet, ein Werk erst mal tüchtig auf links zu ziehen, zu zerhacken und die noch dampfenden Überreste frisch zusammenzubacken, packt er in From Beyond die gesamte Lovecraft-Story einfach in den Vorspann, um danach erst so richtig entspannt Gas geben zu können.

Und was für eine Überraschung: wenn man den bemerkenswert verrückten From Beyond nun erneut sichtet, in erstmals vollständig restaurierter Fassung und all seiner schleimigen Glorie, bleibt der als Genreklassiker kanonisierte Re-Animator deutlich dahinter zurück. Als Lovecraft-Adaptionen funktionieren beide Filme hervorragend, weil sie sich jeweils nicht einfach von den Vorlagen entfernen, sondern als böse Zwillinge bzw. streng dialektische Antithesen das den formalistischen Textgebilden des erklärten „mechanistischen Materialisten“ Lovecrafts implizite Material freisprengen. Es handelt sich also weniger um werkgetreue Umsetzungen als um freigeistige Umformungen.

Gordons Filme zeigen, was Lovecraft nicht sagen wollte; die hemmungslosen visuellen Sauereien von From Beyond hätten dem Gentleman aus Providence knallrote Ohren verpasst. In dessen Kurzgeschichte wird die Zirbeldrüse als Sinnesorgan schlechthin entdeckt, das nach gezielter Stimulation dem Gehirn jenseits beschränkter Standardwahrnehmung visuelle Bilder von Dingen übermittelt, die besser ungesehen bleiben – und vor allem kraftvoll zubeißen können. Während Lovecraft seiner Figur des monströs übererfolgreichen Transhumanisten einen diskreten Schlaganfall gönnt, serviert Gordon noch vor dem Vorspann die erste glibberige Enthauptung. Es folgt ein so expliziter und überdrehter wie kindlich-unbekümmerter Reigen von Sadomasochismus, Schleim, Metamorphosen, Gummitentakelgezitter und Hirnheißhunger, der Lovecrafts scheu beschworene „tausend schlafende Sinne“ mit infernalischem Kreischen zu äußerst formenreich schillerndem, bildlich blühendem Leben erweckt.

So holzig und handgemacht dieser wackere Versuch, dem Lovecraftschen Markenzeichen des Unsag- und Undarstellbaren Gestalt zu verleihen, auch daherkommt: abstrahiert man von der Mutwilligkeit und dem Geldmangel dieser im engeren Sinne surrealen Bilder, stehen sie in ihrer Übererfüllung des zirbeldrüsenstimulierenden Robert-Bresson-Regieanspruchs „Lass sichtbar werden, was ohne dich vielleicht niemals gesehen würde“ plötzlich in anderer Nachbarschaft als ausschließlich derjenigen billigen Horrorschunds.

Denn verblüffend ist, wie heftig und unangenehm einem diese im Vergleich mit z.B. David Cronenbergs distinguierten filmischen Körper-Diskursen subtext- und hochkulturwertfreie Groteske in die Eingeweide fährt – als unkultivierte Trash-Version von Shivers plus Videodrome plus The Fly. Für eine reine, splattersatirische Lovecraft-Dekonstruktion (eine Lesart, die nicht zuletzt durch die in dieser Form mittlerweile ausgestorbene, schauderhaft-bezaubernde Schauspiel-Unkunst der Gesamtbesetzung gestützt wird – alle Akteure sind in ihrem liebenswerten Mangel „einer enigmatischen Technik des Mienenspiels“ (Karl Heinz Bohrer) ideale B-Film-Entsprechungen von Lovecrafts abziehbildflachen Charakteren) gehen die Leib-, Lust- und Leidexzesse in From Beyond ein deutliches Spürchen zu weit, weiter jedenfalls als die schock-, weil gänzlich geist- und ideenfreien „torture porn“-Deppereien von beispielsweise Eli Roths Death-Metal-Kitsch Hostel 2.

In der Schauspielerei und dem ganzen großen, absolut wiederentdeckenswerten Rest von From Beyond hat Stuart Gordon vielleicht doch noch eine Menge organisches Theater hinübergerettet. Forcierte Expressivität, der Einsatz sämtlicher Bühnentricks, ein verzeihlicher Mangel an Zurückhaltung, Überfluss an Leidenschaft sowie der Bereitschaft, nahezu unbegrenzte Körperarbeit zu leisten: das ist sie doch, die unschlagbare Unmittelbarkeit des Theaters, in dem man, wie Rainald Goetz sagt, „angespuckt wird von den Schauspielern, wenn man in der ersten Reihe sitzt.“ Oder eben angeschleimt.

From Beyond – Director’s Cut • USA 1986 • Regie: Stuart Gordon • Darsteller: Jeffrey Combs, Barbara Crampton, Ken Foree, Ted Sorel

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