24. August 2014 1 Likes

Gespenster ohne Zukunft

Es gibt keinen treffsichereren Gegenwartstheoretiker als den Briten Mark Fisher

Lesezeit: 4 min.

Neben den vielen fiktiv-literarischen ertönen gegenwärtig nicht wenige hörenswerte reflexiv-erklärende Stimmen, die sich zur Zukunft äußern. Etwa die von Sascha Mamczak: „Die Zukunft lässt uns nicht los. Und wir lassen die Zukunft nicht los – wir hören einfach nicht damit auf, uns ein Bild von ihr zu machen.“ Oder die von Barbara Kirchner und Dietmar Dath: „Eine andere Welt ist nicht nur möglich, sie war es auch immer, zum Gewesenen gehört das, was möglich war, aber nicht wurde, und daraus ergibt sich die Denkbarkeit des Fortschritts endlich anders, nämlich objektivierbar unabhängig von spezifischen, konkret zweckhaft bestimmten Idealen oder Utopien […].“


Mark Fisher

Während sich Mamczak dem Nachdenken über das, was vor uns liegt oder liegen könnte, mit seinem Essay „Die Zukunft. Eine Einführung“ (im Shop) auf elegant propädeutische und fundamentalontologische Art hingibt und Kirchner/Dath mit ihrem Begriffsroman „Der Implex. Sozialer Fortschritt: Geschichte und Idee“ eine Vielzahl von Ansichten und Aussichten bündeln, denen die denk- und machbaren Möglichkeiten eines besseren, freieren, gerechteren Morgen implizit sind, lautet die Diagnose des englischen Kulturkritikers, Hochschuldozenten und Publizisten Mark Fisher, die Gegenwart des 21. Jahrhunderts zeichne ein erdrückendes Gefühl von Endlichkeit und Erschöpfung aus, ein Zustand „in which life continues, but time has somehow stopped.“ Im ZEIT-Interview mit Daniel Herbstreit konstatiert Fisher einen „Verlust von Zukunft und Historizität“ sowie: „Die Zukunft spielt keine Rolle mehr.“ Und gegenüber Hartwig Vens, der sich für die diesjährige Juli-Ausgabe des Magazins konkret mit Fisher unterhielt, führt dieser aus: „Es wird immer schwieriger, ein Jahr vom anderen zu unterscheiden. Epochen ähneln einander, man bewegt sich durch die Geschichte wie von Flughafen zu Flughafen, von Einkaufscenter zu Einkaufscenter. So wie man irgendwo sein kann, kann man irgendwann sein.“


Das klingt zunächst – nicht zuletzt gegenüber den basal doch eher zukunftsemphatischen Thesen von Mamczak, Kirchner und Dath – so, wie es sich für einen Kulturkritiker gehört, nämlich düster, müde, trauernd um etwas vermeintlich oder tatsächlich Verlorenes. Aber Mark Fisher ist kein konservativer, das Alte und Vergangene idealisierender Kulturpessimist, sondern ein unsentimentaler linker Aufklärer, dessen sowohl auf Begriffsgeschichte wie auch diverse Phänomene der Populär- und Alltagskultur gerichteter kategorial-theoretischer Stringenz und erhebend luzid artikulierten Diagnosen und Analysen nur wenige zeitgenössische Weltdeutungsversuchsansätze das Wasser reichen können. Kurz: Das Zeug ist schlau, originell, verständlich, lehrreich, mutig und wahr. Es ist keine sonderlich heitere, aber eine belebende Angelegenheit, sich mit Fisher durch „die lange, dunkle Nacht am Ende der Geschichte“ zu begeben, wie es in seiner Flugschrift „Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?“ heißt; darin beschreibt der Autor die absolute, alternativlose Realität des Kapitalimus als „das „Ding“ aus dem gleichnamigen Film von John Carpenter: eine monströse, unendlich formbare Entität, die fähig ist, alles zu absorbieren und zu verdauen, mit dem sie in Kontakt kommt.“

Die neue Essay-Sammlung „Ghosts Of My Life“ enthält Schriften, die größtenteils in Vor- oder kürzeren Fassungen ursprünglich auf Fishers Blog k-punk.org veröffentlicht wurden. Sie nehmen – ausgehend von der im ersten Buch identifizierten Alltotalität neoliberaler Ideologie, der analytischen Relevanz der eigenen Depressionen und metaphorisch-methodisch geleitet von dem, was Jacques Derrida Hauntology, also Gespenster-Seins-Kunde nannte – Science-Fiction-Filme, die Musik Burials oder die Romane von David Peace in den Blick. Vielleicht ist Depression keine psychische Pathologie, sondern ein gesamtkulturell-politisches Symptom; Niedergeschlagenheit, Hoffnungs- und Sinnlosigkeit hätten dann noch andere und bessere Gründe als den alleinigen einer bloßen Individualstörung, ohne das Individuelle damit aus der Verantwortung zu nehmen. Die Gespenster der Vergangenheit, die nicht aufhören, uns heimzusuchen und in ihrem paradoxen Status zwischen Sein und Nicht-Sein an die Trübnis der Freuden des Lebens im kapitalistischen Realismus zu erinnern, sind die Gespenster vor nicht allzu langer Zeit gemachter und nie erfüllter Zukunftsversprechen, einer Zukunft, die sich nie als Gegenwart materialisierte und nun, im Stillstand der Zeit, verloren ist. Eben davon sprechen, singen, handeln gespenstisch-depressive Künste. So könnte man Fishers Thesen entlang des Untertitels von „Ghosts Of My Life“ grob zusammenfassen.

Was Fisher mit verlorener Zukunft beziehungsweise dem Verlust der „very distinction between past and present“ meint, erläutert er im konkret-Gespräch am Beispiel populärer Musik: „Im 20. Jahrhundert war es üblich, eine bestimmte Epoche durch Musik aufzurufen. Im Dokumentarfilm wurde das sogar zum Klischee. Musik war zeitcodiert, das ist heute schwierig geworden. Ich habe eine deutliche Vorstellung davon, wie 1974 klang oder 1984. Aber wie klingt der Sound von 2008? Wie der von 2004? Ich könnte das recherchieren, aber es hat sich nicht so festgesetzt wie bei früheren Zeitabschnitten. Die Musik haftete quasi an wichtigen Ereignissen. Es war, als wenn sie nur aus dieser und keiner anderen Zeit hätte kommen können. In den Neunzigern brach das ein.“


Zweifellos sind Melancholie und Wut wichtige Triebkräfte dieses Denkens, doch es folgt energisch den (mitunter gar nicht so kleinen) Spuren von Hoffnung, die von der Trostlosigkeit der Gegenwartskultur (eventuell klingt das blanke Wort „Kultur“ ja nicht umsonst wie ein ungefähres Anagramm von „Cthulhu“) gelegt werden. Selbstverständlich schaut man mit Mark Fisher in die Zukunft. Nicht nur deshalb wünscht man sich ihn zusammen mit Sascha Mamczak, Barbara Kirchner und Dietmar Dath auf einem Podium.

Mark Fisher: Ghosts Of My Life. Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures · Zero Books, Alresford 2014 · 234 Seiten · £ 12,99

Ders.: Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? Eine Flugschrift · Aus dem Englischen von Christian Werthschulte, Peter Scheiffele und Johannes Springer · VSA, Hamburg 2013 · 120 Seiten · € 12,80

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