30. September 2014 1 Likes

Isnoguds Dilemma

Ist die Science-Fiction ohne Gegenwart denkbar? – Eine Kolumne von Hartmut Kasper

Lesezeit: 3 min.

In der Reihe von Comic-Novellen um den bitterbösen Großwesir Isnogud, dessen Lebensziel und -zweck es bekanntlich ist, Kalif anstelle des Kalifen zu werden ‒ ein Unterfangen von sisyphosischem Ausmaß ‒, erzählen René Goscinny und Jean Tabary die Geschichte vom „Magischen Katalog“. In dieser Episode erhält Isnogud (infolge mannigfacher und auf diesem engen Raum kaum glaubwürdig zu referierender Verwicklungen) einen Versandkatalog, von dem es heißt, dort seien „Waren aufgeführt, die es überhaupt noch nicht gibt … solche Sachen werden erst lange nach unserer Zeit erfunden ‒ und du“ ‒ erfährt Isnogud ‒  „kannst sie jetzt bestellen!“

Der Großwesir hört seine große Stunde schlagen und blättert im Katalog. Jedoch das Sortiment ‒ Pistolen, Karabiner, Haubitzen, Nitroglyzerin ‒ sagt ihm nichts; er findet nichts, jedenfalls „nichts, das einen Kalifen erschüttern könnte“. Und weitergeblättert. Endlich wird er fündig ‒ und bestellt einen Hometrainer, von dem der Katalog verkündet: „Ihr Gewicht schmilzt wie Butter in der Sonne.“ Was einem Kalifen, der das eine oder andere überflüssige Pfündchen auf die Waage bringt, nichts Gutes zu verheißen scheint.

Der Hometrainer wird prompt geliefert ‒ und sogar voll verchromt; die Ereignisse nehmen ihren schicksalhaften Lauf. Und wir verraten nicht zu viel, wenn wir an dieser Stelle mitteilen, dass auch der neue Streich des infamen Höflings fehl schlägt und sich das Komplott am Ende gegen seinen Urheber wendet.

Warum eigentlich das Desaster? Bequemer wäre ein Staatsstreich doch nicht zu haben. Wir wollen zudem festhalten, dass Isnogud alles andere als ein Depp ist: Er arbeitet als Spitzenbeamter, hoch motiviert, jederzeit kreativ, und entwickelt unermüdlich Eigeninitiative. Warum erkennt er die Zeichen der Zeit nicht, warum greift er nicht beim katalogisierten Karabiner zu oder beim hoch explosiven Sprengstoff – Lieferung aus der Zukunft und frei Haus? Offenbar gibt es, was das Künftige angeht, einen blinden Fleck in seinem Geist, einen toten Winkel in seiner Einbildungskraft.

Ist er damit ein Einzelfall? Kaum. Eher scheint er mir – Turban und Spitzbart einmal weggedacht – uns Heutigen wie aus dem Gesicht geschnitten. Die Zukunft stellen wir uns zwar gerne als „terra nova“ vor, als unentdecktes Land und fern von hier. Jedoch bevölkern wir es mit Menschen, uns so ähnlich, dass sie (die Nachfahren) die Welt wie durch unsere Augen sehen. So wird aus der Zukunft, wenn sie beispielsweise in den Lichtspielhäusern von den Science-Fiction-Blockbustern ausgemalt wird, von computergenerierten 3D-Winzigkeiten abgesehen ein wohl vertrauter Raum. Ganz so, als hätten Drehbuchautoren, Regisseure und Zuschauer einen Pakt geschlossen, dem zufolge die Zukunft als Zeitraum gedacht werden muss, in dem nur unseresgleichen haust. Wehe, wenn dort und dann ein Klingone, ein Na’vi von Pandora oder ein Bewohner der Matrix tut, was heutzutage hierzulande niemand tut! Dann ist von Logikbruch und ähnlichem Gesums die Rede, ganz so, als hätten Klingonen, Na’vi und Matrixgeborene sich gefälligst nach demselben Verhaltenskodex zu richten, wie er in Köln-Nippes (nur zum Beispiel) gilt, und zwar im Jahre des Herrn 2014.

Könnte es also sein, dass manche Zukunftsvision gerade mit Rücksicht auf die Rezipienten so visionär nicht ist, dass sie im Gegenteil ihren Betrachter versichert: manch technisch Wunderding hin oder her, mancher Kontakt mit mordlüsternen Aliens zugestanden, manche Endzeit mittels Meteoriteneinschlag, Weltenplage und Zombietum ‒ nur die Ruhe: im Wesenskern bleibt immer alles, wie es ist? Verewigt sich in derartiger Zukunftsmusik nur die Gegenwart? Und schätzt der Liebhaber solcher Zukunftsbilder sie gerade deswegen? Findet man ‒ dem Selbstbild dieser Rezipienten ganz entgegen ‒ unter den Science-Fiction-Lesern womöglich die nachhaltigsten und unnachgiebigsten Konservativen? Steckt – um es auf den Punkt zu bringen – die Science-Fiction im Isnogud-Dilemma? Der ja auch einen Blick ins Übermorgen werfen darf, doch nicht bedenkt, dass diese Zukunft ihm unbegreiflich sein könnte, ja, dass diese Unbegreiflichkeit ihr wahres Wasserzeichen wäre …

 

Hartmut Kasper ist promovierter Germanist, proliferanter Fantast und seines Zeichens profilierter Kolumnist.
 

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