18. Oktober 2014

Die Gilde der Gamer-Girls

Cory Doctorows und Jen Wangs Graphic-Novel „In Real Life“

Lesezeit: 2 min.

In seinem Jugendbuch „For the Win“ (im Shop) beschäftigte sich Bestseller-Autor und Internet-Visionär Cory Doctorow 2010 ausgiebig mit der Verknüpfung zwischen dem realen und dem virtuellen Leben, und das anhand des Aufhängers Massive Online Role-Playing Games, kurz: MORPGs. Doch bereits in seiner Gamer-Cyberpunk-Kurzgeschichte Anda’s Game von 2004 waren im Grunde alle Themen und Aspekte des Romans vertreten – von den Goldfarmern, die das Geld- und Wertesystem einer digitalen Multiplayer-Spielewelt manipulieren, bis hin zu ihren Bossen, die arme Teenager z.B. in China quasi an den Rechner ketten, damit sie an viel zu langen Arbeitstagen im Game Gold und Items abbauen, um durch einen Verkauf in der realen Welt bare Münze zu machen.

Nun hat die kalifornische Künstlerin und Illustratorin Jen Wang mit Doctorow als Vorwort-Lieferant und nominellem Co-Autor dessen Prosa-Erzählung als Graphic Novel mit dem Titel „In Real Life“ adaptiert.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht nach wie vor die junge Anda, die für eine Gilde im Fantasy-Game Coarsegold Online rekrutiert wird, in der ausschließlich weibliche Spieler mit weiblichen Avataren geduldet werden. Anda schlägt sich gut, und so dauert es nicht lange, bis sie von einer ihrer erfahreneren Mitspielerinnen eingeladen wird, mit ihr auf Goldfarmer-Jagd zu gehen, um auf bezahlten Missionen gegen die Mischung aus Cheaten und Spamming vorzugehen, die Goldfarmer verkörpern. Allerdings erkennt Anda rasch, dass hinter den unbedeutenden Figuren, die die Spielewelt schröpfen und von Andas Avatar dafür digi-bru-tal niedergemetzelt werden, echte Menschen mit echten Schicksalen stehen, die unter schweren Bedingungen arbeiten und regelrecht ausgebeutet werden. Als Anda sich mit einem der chinesischen Farmer aus der Ferne anfreundet und ihn dazu überredet, für bessere Arbeitsverhältnisse zu streiken, merkt sie zu spät, dass das Internet und die Globalisierung nicht alle ökonomischen und realen Unterschiede zwischen den USA und der Volksrepublik aus der Welt geschafft haben…

Jen Wang, die in der berühmten Flight-Anthologie und im LA Magazine veröffentlichte, ihr Graphic-Novel-Debüt 2010 mit „Koko Be Good“ bestritt und zuletzt in der populären Welt von Adventure Time ihr Unwesen trieb, hat einen tollen Stil. Dessen Manga-Anteile stehen den Szenen in der bunten Fantasy-Spielewelt, die einen Großteil der Handlung von „In Real Life“ ausmachen, richtig gut zu Gesicht. Und auch sonst sind ihr Duktus, ihr Storytelling und ihr Pacing prima, selbst wenn das familiäre und schulische Umfeld von Anda ein bisschen blass bleibt oder eher beliebig wirkt.

„In Real Life“ mag hier und da also etwas Tiefe fehlen – für einen Erstkontakt mit Doctorows Ideen und Lieblingsthemen in einem anderen Medium als seinen Büchern ist der Comic aber bestens geeignet. Aber auch ohne jedwedes Interesse an oder für Mr. Doctorow garantiert die gelungene Panel-Umsetzung durch Ms. Wang eine unterhaltsame Comic-Lektüre.

Cory Doctorow & Jen Wang: In Real Life • First Second, Berkeley 2014  • 112 Seiten • $ 9,99 • Sprache: Englisch

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