27. November 2014 4 Likes 1

Hilfe, mein E-Book brennt!

Warum wir vor der Digitalisierung der Buchkultur keine Angst haben sollten – Eine Kolumne von Sascha Mamczak

Lesezeit: 4 min.

E-Books – irgendwann müssen wir an dieser Stelle ja einmal darüber reden. Immerhin lässt die Website, die Sie gerade besuchen, nichts unversucht, Ihnen diese seltsamen Dinger anzudrehen. Und immerhin geht es, wenn davon in gutbürgerlichen Feuilletons und Wohnzimmern die Rede ist, um nichts Geringeres als um das Ende einer von Gutenberg aufwärts etablierten kulturellen Theorie und Praxis. Das E-Book (einmal mehr hat es die deutsche Sprache versäumt, einen nervigen Anglizismus zu verhindern) ist das, was anderswo Wladimir Putin ist: Man traut ihm nicht über den Weg, aber man kann ihm auch nicht aus dem Weg gehen.

Nähern wir uns dem Thema also aus denkbar neutraler Perspektive. Ganz objektiv sind die seit vier, fünf Jahren – also seit die Lesegeräte einigermaßen erschwinglich und alltagstauglich sind – signifikant gestiegenen E-Book-Verkäufe ein Teil jenes zivilisatorischen Prozesses, der einst mit Turing begonnen und seither ordentlich an Fahrt aufgenommen hat: die Digitalisierung des menschlichen Kommunizierens, Wirtschaftens, Lebens. Man kann sich diesem Prozess nur schwer verweigern (in manchen Regionen der westlichen Welt ist man ohne Smartphone inzwischen ebenso immobil wie ohne Auto), aber wenn man sich ihn etwas näher betrachtet, wird klar, dass wir noch in einer chaotischen und ziemlich langwierigen Übergangsphase stecken, in der sich das profan Analoge hinter allerlei digitalem Popanz verbirgt. Zum Beispiel wissen wir dank Edward Snowden, dass der moderne Spion eben nicht nur Informatiker sein muss, sondern wie zu früheren Zeiten an bestimmten Orten einfach seine Drähte verlegt. Und dank der Piratenpartei und ihrer (vorerst) gescheiterten Übung in „Liquid Democracy“ wissen wir, dass es im Inneren einer politischen High-Tech-Organisation ebenso menschelt wie anderswo auch.

Diese Übergangsphase verspricht bei Büchern besonders lang zu werden. Denn ein Buch – dieses raschelnde, nach bedrucktem Papier riechende, ästhetisch gestaltete Produkt – ist nicht nur der Inbegriff des intellektuellen Austausches, des, wie Borges einmal sagte, „Denkens mit fremdem Gehirn“. Es ist zugleich ein Symbol der innerkulturellen Ausdifferenzierung und Identitätsbildung. Ein Buch zu kaufen und zu besitzen heißt mehr als es nur zu kaufen und zu besitzen – es heißt, sich sein eigenes kulturelles Ich zu schaffen: So stehen bei dem einen die Kafka-Tagebücher im Regal und beim anderen die Konsalik-Taschenbücher (und bei manchem beides, da wird es dann richtig interessant). Wollen wir darauf künftig wirklich verzichten?

Wegen mir nicht. Ich hätte gerne noch weiterhin von dem einen oder anderen Text eine gedruckte Version – schon allein, um weiter meiner persönlichen Marotte zu frönen, selbst in dem trashigsten Roman Stellen mit Bleistift zu markieren. Aber das macht mich noch nicht zum Maschinenstürmer. Ich sehe das E-Book ganz nüchtern als eine weitere Ausgabeart, ganz so wie es auch die Verlage sehen: eine Ausgabeart, die gewisse Vorteile hat (kein Papierverbrauch, keine umständlichen Distributionswege, umfassende Backlistpflege) und gewisse Nachteile (Preisverfall, Überflutung des Marktes, Eigentums- und Urheberrechtsprobleme). Eine Ausgabeart, die in Konkurrenz zu anderen, früheren Ausgabearten steht und sich in dieser Konkurrenz behaupten muss (und es ist noch gar nicht mal ausgemacht, wie sich dieser Konkurrenzkampf in den kommenden Jahren entwickelt).

Aber so nüchtern wird die Diskussion natürlich nicht geführt. Denn das E-Book ist gefühlt mehr als nur eine Ausgabeart. Das E-Book ist etwas Fremdes, Diffuses, in dem sich die Sache selbst, der zugrundeliegende Text, wandelt, seine Form verliert, manipulierbar wird. Schon ist die Rede davon, dass Amazon weiß, welche Stellen eines Romans wir besonders gut finden, und diese Erkenntnisse dann bei der Programm- und Marketingplanung berücksichtigt. Das ist Kapitalismus bis zum letzten Komma: Man verkauft uns das, was wir sind, und wir sind das, was man uns verkauft. Es ist eine Welt, wie sie Ray Bradbury in „Fahrenheit 451“ vor über sechzig Jahren beschrieben hat: „Man leere die Bühne bis auf den Clown, man statte die Räume mit Glaswänden aus, über die hübsche Farbenspiele laufen …“ Ein Horror.

In Bradburys Roman sind es allerdings die Bücher, die diesem zur Diktatur geronnenen Hyperkapitalismus als erstes zum Opfer fallen, und seit alle Welt – nun, zumindest der Teil der Welt, dem Texte noch etwas bedeuten – von E-Books redet, habe ich mich gefragt, ob der große Autor dieser neuartigen Ausgabeart im Rahmen seiner Romanhandlung nicht doch etwas hätte abgewinnen können. Denn was für ein Mittel hätten seine Widerstandskämpfer da zur Verfügung! Unendlich kopierbar, überall deponierbar – vielleicht sogar, Gott bewahre, à la Johnny Mnemonic per Implantat im Kopf: die Texte von Fjodor Dostojewski, Arno Schmidt, Harlan Ellison. Die Texte von Ray Bradbury. Was könnten die bücherverbrennenden Feuerwehrleute dagegen ausrichten? Bücher brennen, Worte nicht. Und darauf kommt es doch an: auf die Worte, auf ihren Sinn, auf das, was sie in uns auslösen, welche Welten sie in uns erzeugen. Auch im digitalen Zeitalter gilt Walter Benjamins Feststellung: „Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition.“ Wir können ein Kunstwerk reproduzieren, kopieren, downloaden, sharen – es ist immer das, was wir daraus machen. Und es ist immer wieder neu.

Unbestritten: Das Digitale schafft viele neue Möglichkeiten der Manipulation. Aber es schafft auch viele neue Möglichkeiten der Subversion – und man muss kein großer Prophet sein, um vorherzusagen, dass trotz aller Zensurmaßnahmen irgendwann auch ein so autoritäres Regime wie das chinesische dadurch ins Wanken kommen wird. Das E-Book und alles, was wir damit an Schrecklichem oder Segensreichem verbinden, ist also – wie oft in der Geschichte der Menschheit – gar kein technisches, sondern ein kognitives Problem. Denn zum Manipulieren gehören immer zwei.

Und zum kulturellen Ausverkauf auch.

 

Sascha Mamczaks Buch „Die Zukunft – Eine Einführung“ ist im Shop erhältlich.

Kommentare

Bild des Benutzers Sebastian Pirling

Stichwort "Manipulieren": So richtig handschmeichelnd sind E-Books auch noch nicht. Wo bleibt das Äquivalent zur taktilen Befriedigung des Streichelns über mattgestrichenes Papier, wo die Möglichkeit, jemandem die digitale Kafka-Werkausgabe an den Kopf zu werfen? Wie ließe sich mit E-Book-Covern das Flann-O'Briensche Buchregal-Imponiergehabe simulieren? Fragen, die ihrer elektroliterarischen Benantwortung noch harren ...

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