4. Februar 2015 3 Likes 1

Mindfuck revisited

Amazon Studios verwandeln P.K. Dicks zugänglichsten Roman in eine sehr gute Serie – mit Zuschauerbeteiligung

Lesezeit: 4 min.

Philip K. Dick war kein guter Romanautor.

So, jetzt ist es raus. Der Fünf-Bände-Schuber mit Dicks Erzählungen und Kurzgeschichten, der seit Jahren in immer neuen Auflagen vom Haffmanns Verlag und dem Vertrieb Zweitausendeins in die Läden geschaufelt wird, der gehört zum Weltkulturerbe, den kann man immer wieder lesen, der Reihe nach Band für Band oder auch komplett durcheinander – egal. Aber „Die drei Stigmata des Palmer Eldrich“ – der früher den viel ehrlicheren deutschen Titel „LSD-Astronauten“ trug –, die „Blade Runner“-Vorlage „Träumen Roboter von elektrischen Schafen?“ oder der Paranoia-Roman „Der dunkle Schirm“ sind schon ziemlich schwerer Stoff. Und ein Ziegelstein wie die „Valis“-Trilogie bewegt sich ehrlicherweise im Bereich des unleserlichen. Dennoch – oder vielleicht gerade weil der Platz für Interpretationen bei P. K. Dick schon immer groß war – avancierte der 1928 in Chicago Geborene nach seinem frühen Tod im Jahr 1982 zu „Hollywoods heißesten Toten“, der immer wieder erfolgreich verfilmt wurde.

Der neueste Streich kommt nun von den Amazon Studios, die sich für die Pilotfolge einer Serie nach „The Man in the High Castle“ (deutsch „Das Orakel vom Berge“) gleich eine Gruppe von alten Dick-Spezis ins Boot geholt haben: Ridley Scott („Blade Runner“) ist dabei, der die Serie vor fünf Jahren ursprünglich für die BBC entwickelte, Kalen Eagan, dessen Firma die sträflich unterschätzte Dick-Verfilmung „Der Plan“ ins Kino brachte, sowie der „Akte X“-Produzent Frank Spotnitz. In den nächsten Wochen und Monaten kann man sich den Pilotfilm auf der Amazon-Plattform Prime Instant Video ansehen und anschließend darüber abstimmen, ob man den Stoff gerne als Serie weiter gucken möchte. In ungefähr einem Jahr könnte man dann eine komplette Staffel der Serie bei Amazon sehen. Aber ausgehend vom Pilotfilm wäre es ein Wunder, wenn diese Serie nicht zustande kommt. Denn „The Man In The High Castle“ ist ganz zweifellos eine der besseren Dick-Verfilmungen, so wie die Vorlage „Das Orakel vom Berge“ einer der zugänglicheren Romane des Amerikaners ist.

Der schmale Band, 1963 mit dem Hugo Gernsback-Award ausgezeichnet und Anfang der 70er Jahre in einer gekürzten Übersetzung bei Bastei Lübbe erschienen, ist ein Parallelweltroman, in dem die Achsenmächte Deutschland und Japan 1947 den 2. Weltkrieg gewonnen und anschließend die USA unter sich aufgeteilt haben. Das NS-Regime hat an der Ostküste eine Schreckensherrschaft errichtet, während das japanische Kaiserreich die Westküste mit harter, aber nicht immer sichtbarer Hand regiert. Zwischen beiden liegen als Pufferzone die Rocky-Mountains-Staaten. Flüge zum Mond und Mars sind 1962 – in diesem Jahr spielt der Roman – alltäglich, zwischen Ost- und Westküste, zwischen Europa und den USA sind Reisen in Passagierraketen eine gewöhnliche Sache. Hitler ist abgetreten und krepiert gerade an der Syphillis, als jedoch sein Nachfolger Martin Bormann stirbt, kommt es hinter den Kulissen zwischen verschiedenen Nazi-Größen zum Machtkampf. Auch zwischen Japan und Deutschland kriselt es.

Vor diesem Hintergrund platziert Dick verschiedene Protagonisten, deren Schicksal miteinander verwoben ist, auch wenn sie sich im Buch nicht treffen. Ein Handlungsstrang, den Dick in einem geplanten zweiten Teil fortsetzen wollte, dreht sich um den geheimen Kampf der deutschen und japanischen Spionageorganisationen. Hauptaugenmerk wird jedoch auf die Judolehrerin Juliana Frink gelegt, der ein Buch des Autoren Hawthorne Abendsen, „Die Plage der Heuschrecke“, in die Hände fällt. In diesem Buch gewinnen die Alliierten den Krieg, was folgt ist ein Kalter Krieg zwischen Großbritannien und den USA, den der ewige Premier Churchill für sich entscheidet. Juliana sucht und findet Abendsen, der behauptet, sein Buch mit Hilfe des chinesischen I-Ging-Orakels geschrieben zu haben, dass ihm – und schließlich auch Juliana – die „innere Wahrheit“ enthüllt hat: Die Welt, in der sie leben, ist – Dick liebte mindfucks dieser Art – eine Fiktion.

Schwerer Stoff also, doch wie immer bei P. K. Dick leicht verpackt und mit Symbolismus angefüllt: In unserer Geschichte etwa war der „Alte vom Berge“ Raschid ad-Din Sinan, Anführer eine mörderischen Sekte zur Zeit des 3. Kreuzzugs, der zwischen dem Sultan Saladin und den Kreuzfahrern taktierte. Aber was heißt „unsere Geschichte“ schon in Dicks Welt? Lediglich immaterielle Werte – Religion, Psychologie, Wissenschaft – bilden laut Dick den Kitt, der Menschen verbindet. Und alles, was man tut, führt sowieso unweigerlich in die Katastrophe, die Erkenntnis des eigenen Wahnsinns und damit die Vertreibung aus dem eigenen Paradies. Dick ist hier ganz und gar ein postmoderner, antiaufklärerischer Autor, denn die einzige Erkenntnis, die wir haben, ist die Unsicherheit. Die Grenzen zwischen objektiver und subjektiver Realität verschwimmen.

Gerade vor diesem philosophischen Hintergrund ist es interessant, wie Amazon den Roman verändert und vereinfacht. Die Pilotfolge hat im Prinzip drei Handlungsstränge: Da sind die Botschaftsangehörigen Nippons und Deutschlands, die in San Francisco den Besuch (und die Ermordung) des japanischen Kronprinzen vorbereiten; da ist Juliana, die hier kein Buch findet, sondern alte Wochenschauaufnahmen, die den Sieg der Alliierten zeigen; und da ist der Abwehragent Joe, der in New York in den Widerstand eingeschleust wird. Beeindruckend ist vor allen Dingen das Setting: Die Rocky-Mountain-Staaten etwa sehen aus, als wären sie direkt aus „Twin Peaks“ entsprungen, während das New York des Anti-Nazi-Untergrunds an alte Walter-Hill-Filme erinnern.

Während Joe durch das Land fährt, läuft im Radio eben kein Rock’n’Roll, sondern gute, alte Crooner-Musik aus den Fifties. Hitler rennt nur noch mit den Händen in den Taschen herum, um seine fortgeschrittene Parkinson-Krankheit zu verbergen. Und aus den interkontinentalen Passagierraketen des Buchs sind Überschallflugzeuge geworden, die wie eine Mischung aus Concorde und Tupolew 144 aussehen. In einer Szene in einem Diner faltet ein Komparse ein Origami-Einhorn, das nicht ganz zufällig an das aus „Blade Runner“ erinnert. Solch liebevolle Einzelheiten gibt es in jeder Szene zu entdecken, die Atmosspäre ist glaubhaft getroffen und die Darsteller zum größten Teil frisch und unverbraucht. Auf die komplette Serie wartet man gerne.

Abb. via Amazon.

The Man in the High Castle • USA 2014 • 57min • Regie: David Semel • Darsteller: Alexa Davalos, Rupert Evand, Luke Kleintank, Cary-Hiroyuki Tagawa, Rufus Sewell

Kommentare

Bild des Benutzers Elisabeth Bösl

Ich bin tatsächlich schwach geworden und jetzt Amazon-Prime-Kunde, nur um diesen Pilotfilm zu sehen. Umso gespannter bin ich jetzt auf die Serie (aber ich werde das Gefühl nicht los, vorher nochmal das Buch lesen zu müssen - irgendwie ist mir von allen Romanen PKDs dieser am wenigsten im Gedächtnis geblieben ...)

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