12. Mai 2015 5 Likes 1

Äther-Steampunk im alten Bayern

„Das Schloss in den Sternen“: Zwischen Jules Verne, Sissi und Hayao Miyazaki

Lesezeit: 3 min.

Im ersten Album von „Das Schloss in den Sternen“ verbindet der französische Künstler Alex Alice („Siegfried“) Science-Fiction mit der deutschen Romantik und garniert das Ganze mit unverhohlenen Anleihen bei Jules Verne sowie Hayao Miyazaki und dem legendären Anime-Studio Ghibli. So entstand eine hinreißend erzählte und prächtig visualisierte Ätherpunk-Alternativweltgeschichte über eine historische, archaische Expedition ins All …

Frankreich, 1868. Die waghalsige Mutter des jungen Seraphin versucht, mithilfe eines Heißluftballons den legendären Äther dort einzufangen, wo der Atem gefriert und die Luft entschwindet. Dabei wird sie aus dem Leben ihres Mannes und ihres Sohnes gerissen. Ein Jahr später hat Seraphin den Kopf voller Gedanken an den Weltraum und deshalb einigen Ärger in der Schule, während sein Vater Professor Dulac als herausragender Ingenieur für ein Bergwerksunternehmen arbeitet. Als ein Telegramm aus Bayern eintrifft und den brillanten Witwer auf Schloss Neuschwanstein bei Füssen einlädt und einen Auftrag sowie das geborgene Logbuch seiner Frau in Aussicht stellt, werden der Professor und Seraphin am Bahnhof in Lille plötzlich von preußischen Spionen gejagt. Denn Bismarck ist ebenfalls scharf auf das Geheimnis des Äthers, träumt er doch von Super-Bomben, die ganze Städte vernichten, und preußischen Kolonien im All. Trotz des heftigen Widerstands bei ihrer Abreise, erreichen Seraphin und sein Vater das edle Märchenschloss im schönen Bayern, wo sich herausstellt, dass der Professor einen Äther-Anzug und ein Äther-Raumschiff für niemand geringeren als König Ludwig II. bauen soll, den schwermütigen, eigensinnigen Herrscher von Bayern!

Auf dem Schloss entsteht ein Schiff, das mit Äther-Motoren ins All und in die Äther-Schicht vordringen soll – bis zu den Sternen. Während sein Vater Antrieb und Vehikel entwickelt und die Produktion überwacht, findet Seraphin im prunkvollen, romantischen Gemäuer des bayrischen Königs neue Freunde und ferner Verbündete, mit deren Hilfe er gegen Bismarcks skrupellose Spione antreten muss, um die Baupläne und Erkenntnisse seines Vaters und den Traum des Königs zu beschützen. Das scheint gelegentlich ein aussichtsloser Kampf zu sein, selbst wenn Ludwigs schöne Cousine Sissi im Ernstfall die Fingerknöchel knacken lässt und sich schützend vor den König und seine ätherischen Spleens, Ambitionen und Visionen stellt…

Bayrischer All-Age-Äther-Steampunk aus Frankreich: Was für eine Mischung! Nach seiner bildgewaltigen Fantasy-Neuinterpretation der Nibelungen-Sage beschreitet Autor und Zeichner Alex Alice völlig neue Wege. Der etwas luftigere Ansatz schadet seinem Artwork jedoch genauso wenig wie die allgemein etwas lieblichere Ausrichtung der Geschichte, bei der es dem Franzosen besonders wichtig war, dass sie für Leser jeden Alters taugt. Das spiegelt sich auch im guten Humor des ersten Bandes wider, und nicht zuletzt in der starken Figur von Seraphins Vater: Jugendbuch-typisch, hätte der Professor auch alles falsch verstehen und falsch machen, ein ständiger Stein im Wege seines Sohnes sein können. Doch Alice hat Monsieur Dulac als strengen, aber rationalen und fairen alleinerziehenden Vater angelegt, was der Geschichte besser tut als der strenge Archetyp des autoritären Hardliners, der zwar ebenfalls nur das Beste für seinen Sohn möchte, damit aber leider gegen ihn arbeitet und Leser und Sohn gleichermaßen verzweifeln lässt.

Zum kuriosen Mix, den vertrauten Inspirationsquellen und gelungenen Hommagen, der guten Story, den sympathischen Figuren und Gags, den tollen Zeichnungen und den faszinierenden Designs einer Science-Fiction-Geschichte aus dem bayrischen 19. Jahrhundert kommt noch die fantastische Aufmachung: „Das Schloss in den Sternen“ ist ein herrlich aufgemachtes „Artefakt“, wie es auch dem bibliophilen britischen Steampunk-Comic-Gott Bryan „Grandville“ Talbot gefallen würde. Im Anhang des in jederlei Hinsicht absolut vereinnahmenden Hardcover-Albums gibt es zudem einen Anhang mit Skizzen, Entwürfen und einem Interview, in dem Alex Alice über die Motive und den Entstehungsprozess seines zunächst auf zwei Bände angelegten Comics spricht.

Klare Sache: Die Eroberung des Äthers und des Himmels durch Ludwig II. hätte nicht besser starten können.

Alex Alice: Das Schloss in den Sternen 1 • Splitter, Bielefeld 2015 • 72 Seiten • € 15,80

 

Kommentare

Bild des Benutzers Horusauge

Sehr farbenprächtig und interessant! Meine Merkliste kriegt Zuwachs :)

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