7. Juni 2015 2 Likes

Perspektivenwechsel hinter Gittern

James Goss’ Doctor-Who-Roman „Die Blutzelle“

Lesezeit: 2 min.

In James Goss’ Doctor-Who-Roman „Die Blutzelle“ hat der Gouverneur eines abgelegenen, gut gesicherten Gefängnis-Asteroiden ein Problem, oder besser gesagt, einen Problemfall. Gefangener 428, der Doktor genannt werden möchte, ist ein echter Querulant und Plagegeist. Dauernd probiert er zu fliehen, obwohl das technisch unmöglich ist, und sein Mangel an Respekt erweist sich als mindestens so nervtötend wie das überhebliche Amüsement oder die Zuversicht, die der distinguierte Träger der orangefarbenen Gefängnistracht ungebrochen zur Schau trägt. Kurzum, Gefangener 428, der sich Garfield aus der Gefängnisbibliothek leiht, nach Lust und Laune aus seiner Zelle und durch den Weltraum-Knast spaziert und harmlose Löffel für seine Unterfangen schamlos zweckentfremdet, ist ein einziges Ärgernis, und zugleich ein gewaltiges Mysterium. Doch auch der Gouverneur hat ein paar dunkle Geheimnisse, genauso wie sein Gefängnis – und am Ende könnte das eine gefährliche, wenn nicht sogar mörderische Mischung ergeben …

Merkwürdigkeiten aller Art sind gewissermaßen Pflichtprogramm einer guten Doctor-Who-Geschichte. Geht es nicht merkwürdig zu in einer TV-Episode, einem Buch oder einem Comic mit dem außerirdischen Gutmenschen aus der BBC-Kultserie, fehlt ein wichtiger Bestandteil, der zum Charme des Doktors in all seinen Charakter- und Multimedia-Inkarnationen beiträgt. Allerdings ist es wirklich ganz schön merkwürdig, ein Buch mit dem Doktor aus der Ich-Perspektive einer anderen, namen- und überdies weitgehend reizlosen Figur zu lesen. Autor James Goss gibt den Gedanken und Gefühlen des Gouverneurs, der dem Leser von den Ereignissen in seinem Space-Kittchen berichtet, viel Raum. Dadurch kann Goss zwar durchgehend einen etwas anderen Blick auf den Doktor werfen, opfert für diese stilistische Abwechslung und vom Standard abweichende Perspektive zugleich jedoch viel Vertrautheit und Gewohnheit. Zumal der Gouverneur nicht gerade die spannendste aller Persönlichkeiten oder die interessanteste aller Stimmen hat.

Das macht den ersten offiziellen Roman, der die momentane zwölfte TV-Inkarnation des Doktors samt Sidekick Clara beinhaltet, zu einem Serien-Beitrag mit eher streitbarem Blickwinkel. Dieser und der alles andere denn flotte Aufbau der Story sorgen dafür, dass „Die Blutzelle“ von James Goss, der sichtlich um einen aus dem Muster ausbrechenden Roman bemüht war, nicht unbedingt als Pageturner glänzt. Ziemlich schade, denn Goss besitzt aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit im Umfeld des erfolgreich reanimierten und revitalisierten britischen Science-Fiction-Franchise spürbar viel Erfahrung mit dem berühmtesten TARDIS-Besitzer der gesamten Galaxie und schreibt absolut witzige, charakteristische Dialoge sowie einen überzeugenden Doktor.

Vielleicht ist alles ja also wirklich nur eine Frage der Perspektive. Im November erscheint ein weiterer von Goss’ Doctor-Who-Prosa-Beiträgen auf Deutsch: „Die Stadt des Todes“, die Adaption des wohl bekanntesten und erfolgreichsten Doctor-Who-Serials überhaupt, an dem Douglas Adams (im Shop) als Script-‚Doktor’ maßgeblich mitgewirkt hat. Im August folgt unter dem Titel „Silhouette“ zuvor die Übersetzung des nächsten Romans mit der aktuellen Peter-Capaldi-Version des Time Lords, geschrieben von Who-Veteran Justin Richards.

James Goss: Doctor Who: Die Blutzelle • Cross Cult, Ludwigsburg 2015 • 260 Seiten • € 12,80

Kommentare

Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.
Sie benötigen einen Webbrowser mit aktiviertem JavaScript um alle Features dieser Seite nutzen zu können.