12. Juni 2015 2 Likes

Saurier macht (nicht) lustig

Out of Focus: Jurassic World

Lesezeit: 7 min.

Im Jahr 1993 war Steven Spielberg längst auf dem Weg vom zuverlässigen Blockbuster-Lieferanten und Publikumsliebling zum respektierten Filmautor, der auch bei den Kritikern reüssieren konnte. Selbstverständlich waren beide Aspekte seines Werks – kommerzieller Appeal und persönliche Handschrift – immer schon integraler Bestandteil seines Schaffens und nur für notorisch blasierte Arthouse-Fans ein radikaler Widerspruch. Doch in jenem Jahr veröffentlichte er gleich zwei Filme, die diese Dichotomie für die breite Masse sichtbar machten: Schindlers Liste und Jurassic Park. Diese Dichotomie war jedoch nur recht oberflächlicher Art: auf der einen Seite die hochpersönliche Auseinandersetzung des jüdischen Filmemachers mit dem Holocaust und seinen Implikationen in expressionistischem Schwarzweiß, auf der anderen Seite das Monstermovie über wiederbelebte Dinosaurier, erzählt mit den innovativsten filmtechnischen Tricks, die das Kino Anfang der 90er-Jahre zu bieten hatte. Beide Titel wurden Hits und essentieller Bestandteil eines kontinuierlich beeindruckenden Oevres, das bei aller thematischen und tonalen Diversität immer von einer ganz genuinen écriture filmique getragen wurde und bis zum heutigen Tag getragen wird.

Jurassic Park lag der Romanbestseller Dino Park des Wissenschafts-Thriller-Experten Michael Crichton zugrunde, der das Thema der Saurier-De-Extinktion in den Kontext eines Themenparks stellte und auf diese Art für ihn konstitutive Themen behandelte: Wissenschafts-Hybris, Entertainment-Obsession, Mensch-Natur-Antinomie. Ein nettes, spannendes Buch in der Tradition des leicht ökofizierten Crichton-Backkatalogs von Fünf Patienten (1970) bis Congo (1980), der ein tatsächlich faszinierendes Gedankenspiel zur Grundlage seiner Thrillerhandlung machte: Was wäre, wenn Menschen und Dinosaurier nach 65 Millionen Jahren zum ersten Mal aufeinanderträfen? Was die ganze Jurassic Park-Manie dann aber tatsächlich auslöste, war die Bebilderung dieser Fantasiewelt durch Spielberg, der das Projekt nach eigenen Aussagen nicht zuletzt übernahm, um sich eine Auszeit von der dunklen Materie seines Auschwitz-Dramas zu gönnen.

Und was der Regisseur aus dem Roman machte, war bahnbrechend: Nicht nur erschuf er mit Hilfe der boomenden CGI-Technik zum ersten Mal Dino-Bilder von beeindruckendem Naturalismus und ehrfurchteinflößender Grandeur, sondern verstand es, seine gesamte Expertise als immens einfallsreicher Filmemacher und die thematischen Schwerpunkte seines Werks zu einem Blockbuster zu verbinden, der nicht nur auf bloße Schauwerte setzte, sondern tatsächlich als purer Spielberg funktionierte. Licht, Kamera, Musik, Montage, dazu eine Figurenkonstellation wie aus dem Spielberg-Handbuch – so konnte nur einer diesen Film machen. Dass dabei quasi ganz nebenbei ikonische Einstellungen fast greifbar wiederbelebter Urzeit-Echsen entstanden, trug zum Gesamtbild als essentieller Meilenstein entscheidend bei. Das Ganze funktionierte vor allem deshalb, weil hier ein Meister seines Fachs ganz bei sich war.

Vier Jahre später dann das Sequel Vergessene Welt: Jurassic Park. Ebenfalls ein fantastischer Film, auf andere Art. Dunkler und viszeraler als der edle Vorgänger, doch nicht ein Deut weniger gelungen, auch wenn die allgemeine Rezeption das anders sah. Doch auch hier wieder ganz entscheidend: der Regisseur.

Was man dann beim dritten Teil der mittlerweile zur „Saga“ aufgeblähten Reihe feststellen konnte: Spielberg beschränkte sich auf die Produzentenrolle und Joe Johnston lieferte mit Jurassic Park 3 im Jahr 2001 einen eher uninspirierten Thriller ab, der zwar den Protagonisten des ersten Films wieder ins Boot holte, aber ansonsten nicht viel mehr zu bieten hatte als Rennen, Retten, Flüchten, Schreien. Das wollte dann auch niemand wirklich sehen – dass mit Fortsetzungen erst mal Schluss war, ergab dementsprechend Sinn. Doch im Lauf der Jahre wurden immer wieder Rufe nach einem vierten Dino-Film laut; auch Spielberg selbst brachte sich wiederholt ins Spiel, war als nomineller Produzent mehr als gewillt, die Reihe zu reaktivieren. Nach vielen Gerüchten, Anläufen und Versuchen erhielt schließlich der recht unbekannte Colin Trevorrow den Regie-Job. Fast ein Debütant: Jurassic World ist erst sein zweiter Kinofilm nach dem wirklich sehr gelungenen, doch in einer völlig anderen Liga spielenden SF-Comedy-Drama Safety Not Guaranteed (2012). 14 Jahre nach Johnstons Film und ganze 22 Jahre nach dem Original geht’s nun also zurück auf die Isla Nublar, den Schauplatz von Jurassic Park.

Hier wurde mittlerweile der Traum John Hammonds verwirklicht – der Park, nun unter dem Namen „Jurassic World“, ist längst eröffnet und lockt als eine Art Seaworld für Dinosaurier Touristen aus aller Welt auf die Insel. Doch zunehmende Abstumpfungstendenzen im Entertainmentsektor machen selbst vor Raptoren, Brachiosauriern und T-Rexen nicht halt – die Besucherzahlen schwinden, die Menschen haben sich an den Anblick der Echsen gewöhnt. Also erhöht man den Einsatz und schafft ein Hybridwesen, das die furchteinflößenden Charakteristika einer ganzen Reihe von prähistorischen Killermaschinen in sich vereint. Eine genuine Kreation aus dem Genlabor ohne naturhistorische Referenz – ein waschechtes Monster. Das natürlich nicht lange in seinem Gehege bleibt. Chaos folgt: Der Park wird von im Zuge der Indominus-Rex-Attacke freigesetzten Sauriern überrollt.

Dass in diesem kurzen Handlungsabriss keine menschlichen Charaktere vorkommen, ist Absicht – denn was hier bei allen kompetent in Szene gesetzten Schauwerten komplett fehlt, sind gut geschriebene Figuren und deren Konstellationen. Zwar bemüht sich das Drehbuch, mit Chris Pratts Raptor-Trainer und Bryce Dallas Howards angespannter Park-Leiterin eine Art von gegensätzlicher Dynamik zu kreieren, die so bereits in Indiana Jones und der Tempel des Todes nicht wirklich funktionierte. Doch beide Figuren bleiben ebenso flach wie der Rest des überraschend breit aufgestellten Ensembles, das keinen wirklichen Identifikationspunkt bietet. Hier fehlt schlicht der Fokus: Immer wieder springt Trevorrow von Pratt/Howard zu einem im Park verlorenen Brüderpaar, in die Kommandozentrale zum als Comic Relief installierten Jack Johnson, zu den dunklen Machenschaften des bösen InGen-Mitarbeiters Vincent D’Onofrio, um dann wiederholt völlig unbedeutenden Nebendarstellern in den Mittelpunkt überpropotionierter Sequenzen zu stellen. Das ist im schlimmsten Sinne „all over the place“ – was ja nicht schlecht sein muss, schließlich ist dieser Park nun eine mit Tausenden von Besuchern bevölkerte Anlage von enormen Ausmaßen. Doch das Fehlen einer klaren Perspektive führt leider dazu, dass man sich hier in einem undefinierten Kladderadatsch aus immergleichen Saurierattacken ohne jeglichen Suspense verliert. Spannung kann halt nicht entstehen, wenn nichts auf dem Spiel steht. Und wenn mir die Leute da oben auf der Leinwand egal sind, wird letzten Endes alles herzlich egal.

Dies ist das mit Abstand größte Manko von Jurassic World; während Spielberg seine Figuren nie aus den Augen ließ und mit der ihm ganz eigenen Vater-Sohn-Thematik wunderbare Ergebnisse erzielte, bleibt die Charakterisierung hier völlig außen vor. Versuche in diese Richtung, wie etwa der vielbeschäftigen Parkleiterin ein Aufmerksamkeitsdefizit in Hinblick auf ihre zwei Neffen anzudichten, scheitern kläglich. Auch sind diese ganzen Darsteller irgendwie seltsam flach in Szene gesetzt – zahlreiche Szenen wirken wie First Takes und lassen jegliches Gespür für Dialoginszenierung vermissen. Hier entsteht wiederholt der Eindruck, dass Trevorrow einfach zu viel anderes zu tun hatte, um sich auf die Erfordernisse „einfacher“ Eins-zu-eins-Unterhaltungen einzustellen. Hier geht es in erster Linie um Exposition im schlimmsten Sinne, uninspiriert und stumpf. Ähnliches gilt für die Einführung der Bad Guys. Schon früh macht Vincent D’Onofrio in einem langen und (man muss es so sagen) langweiligen Monolog deutlich, dass er nichts Gutes im Sinn hat. Als dann sein Team aus Dark InGens den Park übernimmt, kommt dies völlig aus dem Nichts und führt auch wieder genau dahin. Schwarzgekleidete Bösewichte ergänzen plötzlich das Antagonistenfeld aus losgelassenen Sauriern, der Jurassic Park-Wissenschaftler der ersten Stunde Dr. Wu wird unvermittelt zum sinistren Mad Scientist inkl. wirrem Predigen und irrem Grinsen, ein weiterer Subplot erscheint aus dem Nirgendwo. Dass dann am Ende die aus allen Trailern bekannte Jagd von Pratt und seinen trainierten Raptoren wie eine Mischung aus Ego-Shooter und einer besonders prägnanten Sequenz aus James Camerons Aliens daherkommt (der hier komischerweise gleich zweimal zitiert wird), ist dann wahrscheinlich einfach Zugeständnis an den Gamer-Zeitgeist, was den ganzen Quark aber nicht besser macht.

Es knarzt hier einfach an allen Ecken und Enden, es fehlt der Fokus, es fehlt an guten Charakteren und ihren Konstellationen, es fehlt an allem, vor allem an guter Regie. Dass die Dinos sehr OK aussehen, ist klar, darüber muss man nicht reden. Was man jedoch erwähnen muss, ist die Tatsache, dass wirkliche Franchise-Begründer immer nur zum Teil durch massenwirksame Inhalte und Schauwerte bestechen. Schaut man sich einfach mal an, was zur Zeit so wiederbelebt wird, dann findet man am Anfang immer den immens kraftvollen Ausdruck einer einzigartigen künstlerischen Vision. Ob Camerons Terminator, Millers Mad Max, Lucas’ Star Wars oder eben Spielbergs Jurassic Park – der geniale schöpferische Funke des Beginns trägt diese Reihen bis heute. Dass gerade Millers eigene Neuauflage seiner Mad Max-Reihe so gut funktioniert, zeigt die existienzielle Wichtigkeit einer ordnenden Hand, die weiß, was sie mit dem Material anzustellen hat. Und dass man zunehmend dazu übergeht, den weiteren Verlauf dieser Serien in die Hände junger Nachwuchsregisseure zu legen, ist sicherlich lobenswert, trägt aber das furchterregende Potenzial millionenschwerer Fan Fiction in sich. Jurassic World ist das perfekte Beispiel dafür, was passiert, wenn offenbar niemand den Hut auf hat. Dies ist ein reiner Studiofilm, eine Geldmaschine, ein uninspiriertes Stück Massenentertainment für ein Publikum mit minimaler Aufmerksamkeitsspanne. Eben all das, was Spielbergs Original nicht war. Und damit im Grunde genommen der Anti-Jurassic Park, mit Abstand der schlechteste Film der Reihe und bedauerlicherweise mit großer Wahrscheinlichkeit der Indikator dafür, wie es nun weitergeht. Ausdruck einer ökonomischen Logik, die man überhaupt nicht beklagen möchte. Aber ansehen will und muss man sich das auch nicht.

Jurassic World ist seit dem 11.6. bei uns im Kino zu sehen.

Jurassic World (USA 2015) • Regie: Colin Trevorrow • Darsteller: Chris Pratt, Bryce Dallas Howard, Ty Simpkins, Vincent D’Onofrio, Irrfan Khan, Nick Robinson, Jack Johnson

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